Die Geschichte der Bienen
Damals hatte ich versucht, seine Faszination zu teilen, und damit gerechnet, dass er mir, wenn die Zeit reif war und ich es auch, mehr Raum für meine eigenen Projekte gewähren würde. Doch dieser Tag kam nie, und mir wurde schnell klar, dass ich meine eigene Forschung in der Freizeit durchführen musste, indem ich mit den Grundlagen begann und mich dann langsam vorarbeitete. Doch dafür blieb trotzdem nie Zeit, weder vor noch nach Thilda.
Rahms Haushälterin servierte Tee und Kuchen. Wir tranken aus filigranen Tassen, die fast zwischen den Fingern verschwanden, ein Service, das er auf einer seiner vielen Forschungsreisen im Fernen Osten gekauft hatte, ehe er sich hier aufs Land zurückzog.
Während wir den Tee schlürften, erzählte er von seiner Arbeit. Von seiner aktuellen Forschung, seinen jüngsten wissenschaftlichen Vorträgen,
seinen künftigen Artikeln. Ich lauschte nickend, stellte Fragen, bemühte mich um qualifizierte Kommentare und lauschte erneut. Ich sah ihn an und wünschte, er würde meinen Blick erwidern. Doch meistens schweifte sein Blick durch den Raum, über die Gegenstände, als spräche er zu ihnen.
Dann wurde es still, nur der Wind, der draußen die braunen Blätter von den Bäumen zerrte, war noch zu hören. Ich trank vom Tee, und mein Schlürfen ertönte viel zu laut in der Stille. Meine Wangen wurden heiß, hastig stellte ich die kleine Tasse ab. Er schien jedoch nichts bemerkt zu haben, saß nur schweigend da, ohne mich weiter zu beachten.
„Heute ist mein Geburtstag“, sagte er schließlich.
„Bitte verzeihen Sie … ich ahnte ja nicht … meinen herzlichen Glückwunsch!“
„Wissen Sie, wie alt ich geworden bin?“Jetzt sah er mir in die Augen.
Ich zögerte. Wie alt mochte er sein? Ziemlich alt. Weit über fünfzig. Vielleicht sogar an die sechzig? Ich wand mich, merkte plötzlich, wie heiß es im Zimmer war, räusperte mich. Was sollte ich antworten?
Als ich nichts sagte, schlug er den Blick nieder. „Es ist auch nicht weiter wichtig.“
War er enttäuscht? Hatte ich ihn enttäuscht? Wieder einmal?
Seine Miene verriet nichts dergleichen. Er stellte die Tasse ab, nahm einen Kuchen, wie alltäglich, einen Kuchen, obwohl sich unser Gespräch langsam in eine Richtung entwickelte, die alles andere als alltäglich schien.
Er legte den Kuchen wieder auf seinen Teller, ohne davon abzubeißen. Die Stille im Raum war quälend. Es war an mir, etwas zu sagen.
„Werden Sie feiern?“, fragte ich und bereute es sofort.
Was für eine alberne Frage, als sei er ein Kind.
Und er ließ sich auch nicht zu einer Antwort herab, saß mit dem Teller in der Hand da, aß jedoch nicht, sondern blickte nur auf das kleine, trockene Kuchenstück hinab. Als er die Finger bewegte, glitt der Kuchen zum Tellerrand, aber er hielt ihn schnell wieder auf, rettete das Gebäck und stellte den Teller ab.
„Sie waren ein vielversprechender Student“, sagte er mit einem Mal.
Er holte tief Luft, als wollte er noch mehr sagen, doch die Worte kamen nicht.
Ich räusperte mich. „Ja?“Er änderte seine Haltung, ließ die Arme nach unten baumeln und blieb einfach so sitzen, mit geradem Rücken.
ERPELINO