„Da bleibt immer eine offene Wunde“
von ihm gut vertreten fühlten. „Der gibt uns gute Worte“, höre er. Und dann wird Bauer plötzlich wütend. Wer entschädige etwa seine damalige Frau dafür, wie er sie während seiner Depressionen behandelt habe? Wer seine Kinder, die über Jahre einen Vater hatten, „der teilweise ausgeknockt war“? Wer entschädige seinen Arbeitgeber für die ausgefallenen Dienstzeiten? „Wer gibt mir meine in den Therapien verlorene Lebenszeit wieder?“
Denn mit seiner Schule und dem Orden sei er bis auf eine symbolische Anerkennungszahlung von 5000 Euro noch nicht weitergekommen. Dass der Dialog zwischen Kolleg und Eckigem Tisch seit 2017 ausgesetzt sei, bedauert Bauer. Die Opfergruppe dürfe sich nicht Bedingungen für die Fortführung der Aufarbeitung stellen lassen. Er empfinde es erstens als enttäuschend, dass das Ako die Betroffenen bis heute nicht als Zeugen zum Gespräch mit der aktuellen Schülerschaft einlade. „Es ist für mich zweitens unvorstellbar, dass der damalige Tatort Stella Rheni heute von einem Event-Veranstalter als Ort für Feste angeboten werden darf“, kritisiert Bauer.
Es sei für ihn, drittens, unverständlich, dass auf dem Gelände immer noch kein Erinnerungsort an die Opfer geschaffen sei. Bauer kann sich da eine Art Stolperstein-Modell vorstellen, wie es Gunter Demnig für Nazi-Opfer etabliert hat. Und es sei für ihn viertens nicht tragbar, dass der Orden Pater Theo Schneider, ehemals Ako-Internatsleiter in den Jahren 1984 bis 2006) und Rektor (2007-2010), der 2010 zurücktrat, auch heute noch als Superior der Göttinger Jesuiten in Leitungsfunktion belasse. „Die Ordensleitung muss ihn als Mitwisser und Nicht-Verhinderer endlich zur Verantwortung ziehen. Er hat sich bis heute nicht öffentlich entschuldigt.“
Unsere Redaktion hat die Verantwortlichen des Ordens und des Akos um Stellungnahmen dazu gebeten. Provinzial Pater Johannes Siebner, von 2011 bis 2017 selbst Ako-Rektor, antwortet aus München: „Es ist bekannt, dass wir innerhalb des Ordens um die Aufarbeitung von Missbrauch am Ako ringen, ausdrücklich auch mit Pater Schneider.“Es sei ihm nicht nur persönlich, sondern auch als Provinzial ein großes Anliegen, in dieser Frage wirklich voranzukommen, erklärt Deutschlands oberster Jesuit. Zudem wünsche er sich sehr, dass der Gesprächsfaden von Betroffenen, Kollegsgemeinschaft und Orden wieder aufgenommen werde.
Pater Martin Löwenstein, seit 2017 Ako-Rektor, antwortet, er bedaure, dass der Eckige Tisch die Gespräche mit dem Orden abgebrochen habe. „Ich bin deswegen Herrn Bauer sehr dankbar, dass wir beide uns getroffen und miteinander gesprochen haben.“Das Treffen war nach einer Anfrage unserer Redaktion an beide zustande gekommen. „Von unserer Seite gibt es auch weiterhin keine Vorbedingungen für ein Gespräch mit Betroffenen“, bekräftigt der Rektor. Er erlebe „eine ermutigende Bereitschaft aus der ganzen Schulgemeinschaft, unsere intensive Auseinandersetzung mit den Themen Gewalt gegen Kinder und Kultur der Achtsamkeit mitzutragen.“
Diese Achtsamkeit müsse auch gegenüber allen gelten, die damals hier Gewalt erlebt hätten, so Pater Löwenstein. Das öffentliche Gespräch zwischen Betroffenen und Angehörigen des Kollegs, gerade auch interessierten Schülern, habe es durchaus gegeben, betont auch hier der Rektor, und sollte es unbedingt weiter geben „Die Bereitschaft des Eckigen Tischs und anderer Betroffener ist da, unsere auch, denn das Zuhören und das Sprechen miteinander ist bleibend wichtig.“Offenbar hakt es derzeit grundsätzlich bei der Kommunikation.
Patrick Bauer ist anlässlich eines Termins einmal allein auf dem kollegseigenen Patresfriedhof gewesen, auf dem drei von den Kommissionen ermittelte Haupttäter begraben liegen. „Ich bin tief in meinem Glauben verwurzelt“, sagt er. Ohne ihn hätte er das Geschehene nicht überstanden. „Ich bin eben nicht von der Kirche missbraucht worden, sondern von einem Mann, der das System Kirche ausgenutzt hat“, betont er. Am Grab „seines Täters“, der ihm seine schlimmsten Jahre bereitete, habe er kurz überlegt, „ob ich da jetzt draufpinkele“. Zum ersten Mal blitzt beinahe ein Lächeln in Bauers Gesicht auf. „Dann habe ich aber am Grab gebetet, dass Gott diesem Mann die entsprechende Strafe zukommen lässt.“
Er könne dem Pater nicht vergeben, nein. Er glaube fest daran, dass es am Ende durch Gott Gerechtigkeit gebe, wie sie das Glaubensbekenntnis beschreibe: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“