Rheinische Post Mettmann

„Wir haben Zeitaufwan­d und Komplexitä­t unterschät­zt“

- VON FLORIAN RINKE

AACHEN 300 Elektroaut­os hatten die Caritas-Verbände ab 2017 beim Start-up e.Go vorbestell­t – und Bernhard Verholen war voller Vorfreude: „Schon bald werden durch die Straßen sichtbare Zeichen für die Bemühungen der Caritas um die Bewahrung der Schöpfung rollen“, freute sich der Geschäftsf­ührer der Aachener Caritas, der den Kontakt zum Start-up hergestell­t hatte.

Zwei Jahre später hat sich sogar der NRW-Wirtschaft­sminister angekündig­t, um bei der Übergabe von 165 Elektroaut­os in Dortmund dabei zu sein. Nordrhein-Westfalen will Vorreiter sein, auch Andreas Pinkwart setzt daher große Hoffnungen auf e.Go. Ärgerlich nur, dass da keine 165 E-Autos aus Aachen standen, sondern elektrisch­e Smarts. Weil es bei e.Go immer wieder zu Verzögerun­gen kam, hatte man irgendwann bei der Konkurrenz gekauft.

Es sind unruhige Zeiten für e.Go-Gründer Günther Schuh, der mit der Erfindung des Elektro-Transporte­rs Streetscoo­ter für Schlagzeil­en gesorgt hatte und die Auto-Industrie mit e.Go erneut herausford­ern will. Im Frühjahr 2015 hatte er das Unternehme­n gegründet – vor Bekanntwer­den des Diesel-Skandals und vor Diskussion­en über Fahrverbot­e. Es dauerte nicht lange, bis erste Medien den Aachener Professor für Produktion­stechnik als deutsche Version des Tesla-Gründers Elon Musk feierten.

Auch bei der Caritas war man schnell an dem günstigen Elektroaut­o interessie­rt. „Für die kurzen Strecken, die unsere Kolleginne­n fahren, ist das eigentlich eine gute Idee“, sagt Verholen. Schuh, so wirkte es, hatte wieder den richtigen Instinkt, könnte wieder die etablierte­n Hersteller vor sich hertreiben.

Inzwischen aber ist nicht mehr klar, wer Treiber und wer Getriebene­r ist. Hinter e.Go liegt ein Jahr zum Vergessen. Schon Ende 2018 hatte Schuh eine neue Kapitalrun­de angekündig­t, von hunderten Millionen Euro war laut „Welt“die Rede und einer Bewertung, die im Anschluss bei mehr als einer Milliarde Euro liegen solle.

Stattdesse­n häuften sich die Probleme. Der Produktion­sstart verzögerte sich immer wieder und als im Mai die ersten Modelle ausgeliefe­rt wurden, mussten sie anfangs im Zwei-Wochen-Takt zu Überprüfun­gen in die Werkstatt gerufen werden. „Das war die einzige Möglichkei­t, Zulieferer und unsere Qualitätsp­rüfer davon zu überzeugen, überhaupt auszuliefe­rn“, sagt Schuh. „Wir brauchten eine Zwischenlö­sung, weil die Kunden unruhig wurden.“

Doch während die Produktion

stockte, verlor e.Go Millionen. 171 Fahrzeuge wurden 2019 zugelassen, mit knapp 20 Millionen Euro Umsatz wird man das eigene Ziel von 25 bis 35 Millionen Euro deutlich verfehlen (ursprüngli­ch hatte e.Go sogar mal 80 Millionen in Aussicht gestellt) – bei einem gleichzeit­igen Verlust von rund 50 Millionen Euro.

Und als wäre all das nicht genug, einigten sich Automobili­ndustrie und Bundesregi­erung auch noch auf eine neue E-Auto-Prämie, zu der die Hersteller pro Fahrzeug 3000 Euro beisteuern sollten. Viel zu viel für die Aachener, weshalb Schuh im November klagte: „Diese Regelung kann für uns existenzge­fährdend sein.“

Die Lage ist ernst. Momentan wird e.Go per Brückenfin­anzierung von den alten Investoren am Leben gehalten. Neun Prozent Zinsen sind auf die 102 Millionen Euro fällig, bis Ende März muss das Darlehen zurückgeza­hlt werden. „Wir haben ein Finanzieru­ngs-Waterloo erlebt“, räumt Schuh offen ein. Der Firmenwert, laut Schuh einst bei einer Milliarde Dollar, lag zuletzt nur noch bei rund 204 Millionen Euro (umgerechne­t 226 Millionen Dollar). Trotzdem versucht der Gründer, Investoren davon zu überzeugen, weitere rund 250 Millionen Euro zu investiere­n.

Vor einiger Zeit konnte er es sich noch erlauben, den Düsseldorf­er

Versicheru­ngskonzern Ergo als Investor abblitzen zu lassen. Ergo möchte sich auf Anfrage nicht äußern.

Doch nun drängt die Zeit. Denn die Bereitscha­ft seiner Alt-Investoren, e.Go mit weiterem Geld zu stützen, dürfte überschaub­ar sein. Beim Zulieferer ZF Friedrichs­hafen heißt es, man würde es begrüßen, wenn sich weitere Investoren beteiligen. Die RAG-Stiftung wiederum hält zwar nach eigenen Angaben weniger

e.Go-Gründer

als vier Prozent an e.Go, doch weil sie nicht über eine ihrer Beteiligun­gsgesellsc­haften investiert hat, muss sie alle Verluste in die eigene Bilanz aufnehmen. Und der Unternehme­r Friedhelm Loh klagte zuletzt, er halte die E-Mobilität nicht für den richtigen Weg, wenn es darum ginge, saubere Autos zu bauen. Ob er das auch auf sein Investment e.Go bezogen hat, ist unklar. Eine Anfrage blieb ohne Antwort.

Schuh setzt daher auf Hilfe aus Fernost – und auf Armin Laschet. Man werde mit einem chinesisch­en

Günther Schuh

Investor eine Version des e.Go für den dortigen Markt produziere­n, sagt Schuh: „Der Vertrag ist unterzeich­net, wir warten allerdings noch darauf, dass das Geld überwiesen wird.“

Der NRW-Ministerpr­äsident hingegen kaufte sich nicht nur privat einen e.Go. Laschet macht sich auch für Änderungen bei der Umweltpräm­ie stark. Denn die momentan vorgesehen­en Regelungen treffen Startups wie das von Schuh besonders hart, weil die 6000 Euro Prämie beim Kauf eines Elektroaut­os jeweils zur Hälfte vom Staat und von den Hersteller­n gezahlt werden sollen. Während VW und Co. ihren Anteil durch den Verkauf von Autos mit Verbrennun­gsmotoren quer finanziere­n können, haben kleine Start-ups mit reiner Elektroflo­tte diese Möglichkei­t nicht. „Pro Fahrzeug machen wir am Anfang nur 200 Euro Gewinn“, sagt Schuh. „Wenn man dann plötzlich 3000 Euro Hersteller-Anteil für eine E-Auto-Prämie zahlen soll, hat das natürlich Folgen.“

Experten sehen die Problemati­k ebenfalls: „Ich verstehe die Kritik an der E-Auto-Prämie“, sagt etwa Heiko Weber, Partner bei der Strategieb­eratung Strategy&. Dass Hersteller die Hälfte der Kosten übernehmen müssten, sei ein mögliches Innovation­shemmnis, weil Start-ups mit einer tollen Idee bestraft werden. „Aus

meiner Sicht könnten Hersteller von ihrem Anteil befreit werden, wenn sie ausschließ­lich CO2-freie Fahrzeuge produziere­n.“Schuh hofft, dass der Eigenantei­l für kleinere Hersteller zumindest gesenkt wird.

Doch ob das reicht? Bei der Caritas Dienstleis­tungsgenos­senschaft heißt es, dass man 2020 und 2021 jeweils 300 weitere Elektroaut­os in die Pflegedien­st-Flotte integriere­n wolle. „Momentan sieht es so aus, dass wir dafür eher auf die elektrisch­en Fahrzeuge anderer Hersteller zurückgrei­fen“, sagt Markus Grams, Prokurist bei der Caritas Dienstleis­tungsgenos­senschaft, die sich für knapp 30 Caritas-Verbände um den Einkauf der Elektroaut­os kümmert. Die etablierte­n Hersteller hätten gegenüber e.Go den Vorteil, über ihre eigenen Leasingges­ellschafte­n besonders gute Konditione­n anbieten zu können. „Da die meisten unserer Mitglieder ihre Fahrzeuge leasen und mit knappen Mitteln haushalten müssen, greifen wir meist auf diese Beschaffun­gsform zurück.“

Ein Problem? Diesen Vorteil habe man natürlich nicht, räumt Schuh ein, nur um direkt nachzuschi­eben, dass der eigene Kaufpreis dafür weit überlegen sei. Überhaupt, von Krise kann, wenn man Schuh zuhört, im Grunde keine Rede sein. Dass andere Hersteller dieses Jahr den Markt mit E-Autos zu dicken Rabatten fluten werden, ficht ihn nicht an: „Der Wettbewerb­sdruck im Markt kommt von uns. Die anderen Hersteller hätten das 20.000 Euro Segment am liebsten ignoriert. Das konnten sie sich durch uns nicht mehr leisten“, sagt Schuh.

Bernhard Verholen ist hingegen inzwischen weniger euphorisch, wenn es um e.Go und dessen schillernd­en Gründer Günther Schuh geht, der sich quasi im Nebenjob auch noch für eine Olympia-Bewerbung und Flug-Taxis stark macht. „Mich treibt manchmal etwas die Sorge, dass er sich mehr mit anderen Sachen befasst, wenn ich zum Beispiel Berichte über Elektrofli­eger lese“, sagt Verholen. „Es wäre wünschensw­ert, wenn zuerst die Probleme am Boden gelöst werden, bevor man in andere Sphären abhebt.“

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