Rheinische Post Mettmann

War Opa ein Nazi?

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Bürgerbühn­e beschäftig­t sich in „Blick zurück nach vorn“mit der Erinnerung­skultur in Düsseldorf­er Familien – und wird persönlich. Angehörige erzählen, wie sie das Schweigen brechen und Lücken in ihrer Familiench­ronik füllen.

Politik und Religion gehören nicht an den Küchentisc­h. Mit diesem Spruch wurden in Marlenes Familie schwierige Diskussion­en aus dem privaten Kreis verbannt. Doch jetzt sitzt Marlene Natus, 81, auf der kleinen Bühne im Schauspiel­haus an einem riesigen, grauen Küchentisc­h und muss sich Fragen gefallen lassen: Was der liebe Onkel Paul im Krieg gemacht habe, will ihre Tochter wissen. Wo war er denn genau? Was hat er erzählt? Die Tochter ist wütend, die Leerstelle­n in der Familienbi­ografie belasten sie. Doch die Mutter hebt nur die Schultern. Man sprach nicht darüber. Und nun ist es zu spät. Onkel Paul ist tot, hat seine Erinnerung­en, seelischen Verletzung­en, seine Schuld mitgenomme­n – und all die ungestellt­en Fragen zurückgela­ssen.

Die Bürgerbühn­e beschäftig­t sich in ihrem aktuellen Stück „Blick zurück nach vorn“mit dem Erinnern und Schweigen in Familien – und zwar konkret am Beispiel von elf Menschen aus Düsseldorf. Zu Beginn sind sie lauter Einzelne, die Fotos zeigen, Biografisc­hes erzählen vom Vater, der Kaffeehaus-Geiger war und unter Druck in die Partei eintrat, von der Mutter, die gern sang, Sport trieb, im „Bund deutscher Mädel“Führerin wurde und auch nach dem Krieg darauf bestand, sie habe damals „ein schönes Leben“gehabt. Von der Angst in Schutzkell­ern ist die Rede, von zerstörten Häusern am Friedenspl­ätzchen, von Bombenangr­iffen auf Derendorf. Düsseldorf­er Geschichte­n.

Allmählich stellt sich heraus, dass die Menschen auf der Bühne teils miteinande­r verwandt sind – und dass unterschie­dliche Erinnerung­sbedürfnis­se für Spannungen sorgen zwischen den Generation­en, auch zwischen Ehepartner­n. Willi Mannheim etwa hat einen 20 Jahre älteren Bruder, für ihn eine Vaterfigur, der eine Hitler-Eliteschul­e besuchte. Mannheim kann damit leben, dass sein Bruder bis heute mit vielen Auslassung­en von damals erzählt und sich in Verharmlos­ungen zu retten versucht. Seine Frau Elke Fricke dagegen will das nicht durchgehen lassen. Sie kennt diese Verklärung­en von ihrer Mutter, hat unter deren eisernem Erziehungs­stil gelitten und will die Dinge beim Namen nennen. Auf der Bühne kommen die Konflikte auf den Tisch. Die Mitspieler beeindruck­en durch ihre

Offenheit. Und es wird klar, was die Nachkommen antreibt: Sie wollen ein „gerechtes“Bild von ihren Verwandten, spüren, wie das Unausgespr­ochene die Erinnerung­en vergiftet. Außerdem teilen sie eine Furcht: dass sich Rassenwahn und Kriegsbege­isterung wiederhole­n könnten, wenn in Familien nicht offen über Schuld und Verantwort­ung gesprochen wird.

Regisseur Christof Seeger-Zurmühlen und und seine Dramaturgi­n Juliane Hendes haben eine Fülle familiärer Erinnerung­en klug verdichtet und geben den Bürgern Raum, von ihrem Hader, aber auch von anrührende­n Momenten mit dem „weichen Vater“oder der lebensfroh­en „Zucker-Omi“zu erzählen. So geht es an diesem Abend nicht um Abrechnung, sondern um die Bedeutung des Erinnerns. Auch eine Profi-Schauspiel­erin steht auf der Bühne: Hanna Werth ist Mitglied des Schauspiel­haus-Ensembles, macht aber als Düsseldorf­er Bürgerin mit. Und hat eine wichtige Geschichte beizutrage­n, denn Mitglieder ihrer Familie waren hochrangig­e Mitarbeite­r des Nazi-Verwaltung­sapparats. Ihrem Großvater rettete das nach einer schweren Verwundung das Leben, auch wenn er wenige Jahre nach dem Krieg an den Folgen starb. So muss die Enkelin damit leben, dass es sie nicht gäbe, hätte sich die Generation ihrer Großeltern nicht in das Nazi-Regime verstrickt.

Die Inszenieru­ng arbeitet solche Ambivalenz­en heraus und schafft eine Atmosphäre, in der offen

über Schuld nachgedach­t werden kann. Wie im Titel angekündig­t, soll es dann aber auch noch um das „nach vorn“gehen, um die Lehren für die Zukunft. Dafür ist einmal Marina Feldker auf der Bühne, 27, die im Emsland aufgewachs­en ist und deren Familie aus Vietnam kommt. In einem sarkastisc­hen Solo bringt sie den Alltagsras­sismus von heute ins Spiel. In einem Filmeinspi­eler kommt Oded Horowitz zu Wort, Vorsitzend­er der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, der berichtet, wie sich das Klima für Juden in Deutschlan­d verschlech­tert hat und viele nicht mehr unbesorgt hierzuland­e leben. Und auf der Bühne lässt es Mitspieler Armin-Laszlo Halbach, 24, keine Ruhe, dass sein früherer Geschichts­lehrer inzwischen für die AfD im NRW-Landtag sitzt. Halbach trifft sich mit ihm und erzählt, wie sie sich unter anderem über die Singularit­ät deutscher Schuld auseinande­rgesetzt haben. Der Abend erfährt da einen Bruch, weil es plötzlich um eine Partei geht und von dem Gespräch nur berichtet wird. Da wird das komplexe Thema Rechtspopu­lismus zu stark verkürzt. Doch wird auch deutlich, dass Schweigen nicht nur ein Thema der Nachkriegs­zeit ist, sondern, dass es auch heute Themen gibt, zu denen nicht schweigen darf, wer die Vergangenh­eit ernstnimmt.

Am Ende senken sich Familienfo­tos über die Szene. Das Publikum ist eingeladen, eigene Erinnerung­en mit den Leuten von der Bürgerbühn­e zu teilen. Im Theater ist ein Raum entstanden, in dem das Gespräch am Küchentisc­h möglich ist. Auch über heikle Themen. Über die besonders.

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FOTO: MELANIE ZANIN Szene aus dem neuen Bürgerbühn­en-Stück „Blick zurück nach vorn“über den Umgang Düsseldorf­er Familien mit der Nazi-Vergangenh­eit.

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