„Wir gehen auf jeden Fall“
Morschenich wird wohl vom Tagebau Hambach verschont. Doch viele Bewohner sind schon nach Neu-Morschenich umgesiedelt. Wer noch ausharrt, will gehen; wer schon weg ist, will nicht zurück. So bleibt die Zukunft des Orts ungewiss.
MORSCHENICH Nebel wabert in der gigantischen Tagebau-Mulde von Hambach, nur die Spitze eines turmhohen Schaufelradbaggers ragt aus der Suppe hervor. Ein grandios gespenstisches Bild. Noch geisterhafter wirkt nur ein Spaziergang durch Morschenich, unmittelbar am Rand der Braunkohle-Grube. Trotz strahlenden Sonnenscheins ist im Dorf niemand unterwegs, die meisten Häuser wirken unbewohnt, fast trutzig mit ihren heruntergelassenen Rolläden und verbretterten Fenstern. „Hambi bleibt, RWE nicht“ist auf eine Fassade gesprüht. Tagebaugegner, die auch für den Erhalt des Hambacher Forsts kämpften, campieren gleich auf der nächsten Wiese. Die Aktivisten sind für Anwohnerin Sandra Laws neben RWE ein wesentlicher Grund, warum sie dem Ort den Rücken kehren will. „Man kommt sich allein gelassen vor“, sagt sie. „Deshalb gehen wir auf jeden Fall.“
Die Laws sind eine der letzten Familien, die noch in Morschenich ausharren. 28 Häuser seien noch bewohnt, sagt Manfred Laws. Das weiß er, weil er die Zeitung austrägt. Zu Spitzenzeiten lebten mehr als 500 Menschen in dem Ortsteil der Gemeinde Merzenich. Dann kam der Tagebau und das Dorf musste weichen. Seit 2015 läuft die Umsiedelung ins nur wenige Kilometer entfernte Neu-Morschenich. Bis 2024 sollte der alte Ort verschwunden sein. Doch nun machen die Bagger wohl einen Bogen um Morschenich, wie der Energiekonzern RWE am Montag mitteilte. Die aktuellen Planungen des Unternehmens gingen davon aus, „dass die Ortslage Morschenich (alt) nicht bergbaulich in Anspruch genommen werden muss“. Eine abschließende Entscheidung werde im Rahmen der erforderlichen Genehmigungsverfahren
erfolgen. Zu spät für die Morschenicher.
„Warum habt ihr uns das angetan?“, fragt Kimberly Joras. Fast alle Bewohner sind weg, sogar die Toten auf dem Friedhof wurden bereits umgebettet. Geschäfte gibt es nicht mehr, der Busverkehr ist so gut wie eingestellt. In den kleinen Bus, der noch fährt, passen we- der Kinderwagen noch Gehhilfe.
„Schön ist es hier nicht mehr“, sagt
Joras. Dennoch würde die 26-Jährige gerne bleiben, weil die Familie ihres Partners Eigentum besitzt, das nicht RWE gehört. Aber Joras bekommt bald ihr zweites Kind, und die neue Kita entsteht in Neu-Morschenich. Schwierig, sagt sie, ohne Bus. „In Morschenich wird nicht mehr investiert.“
Sandra Laws lebt seit 43 Jahren im Dorf, sie wurde hier geboren, sie hängt an dem Ort. Weil er ihre Heimat ist. Deshalb leidet sie besonders darunter, wie alles verfällt. In viele verlassene Häuser regne es herein, etliche seien von Aktivisten besetzt. Überhaupt würden die Tagebau-Gegner
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alles verschandeln, ihren Müll verbrennen und keine Rücksicht nehmen. „Früher habe ich gesagt, man kriegt uns hier nicht weg“, sagt sie. „Doch mittlerweile sind wir froh, dass wir gehen dürfen.“Ob die Bagger nun kommen oder nicht. Im Garten schnattern zwei riesige Gänse. Die müssen hierbleiben, erklärt Laws, und man spürt, wie schwer ihr das fällt. „Na gut“, sagt sie, „wir reden uns das auch ein wenig schön.“
Eine Straße weiter packt ein Pärchen Habseligkeiten auf einen kleinen Anhänger. Ihre Namen wollen die beiden nicht nennen. Vor einem halben Jahr sind sie ausgezogen in Morschenich und hadern nicht damit. Auch dann nicht, wenn der Ort stehen bleiben sollte. „Schauen Sie sich doch mal um“, sagt der Mann. Eine Rückkehr könne er sich nicht vorstellen. Wer einmal in Neu-Morschenich lebe, der wolle nicht zurück. Wohin auch? Da sei nichts mehr, wohin es sich lohne zurückzukehren.
Das will Georg Gelhausen (CDU)
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Kerpen ändern. Der Bürgermeister von Merzenich will gemeinsam mit RWE in Morschenich einen „Ort der Zukunft“schaffen. „Mit dem RWE-Beschluss können wir nun loslegen“, sagt er. Denn das Dorf sei der einzige Ort, der vom Tagebau verschont werde. Ausgereift sei die Idee nicht, gibt er zwar zu, träumt aber davon, renommierte Stadtplaner einzuladen und einen Lernort zu schaffen. Als ersten Erfolg verbucht er, dass Thomas Rachel, Staatssekretär aus dem Bundesforschungsministerium, am Donnerstag in Morschenich einen Förderbescheid für ein Bio-Ökonomie-Projekt überreicht.
Dass die ehemaligen Einwohner zurückkommen, gehört nicht zum Konzept. „Die Umsiedlung muss konsequent zu Ende geführt werden“, sagt Gelhausen. In Neu-Morschenich gebe es schon einen Supermarkt. Sportanlage, Kita und Kirche würden gerade gebaut. Gelhausen: „Die Menschen sind glücklich am neuen Standort.“
Ob in Morschenich der Zukunft, so die Bagger es tatsächlich verschonen, also jemand wohnen wird, steht in den Sternen. Gelhausen sagt, die Alt-Morschenicher hätten ihm freie Hand mit ihren früheren Häusern gelassen, ihn aber gebeten, dort niemanden wohnen zu lassen. Den Gedanken könnten sie nicht ertragen. „Wir müssen uns also fragen, was das für ein Ort sein soll“, sagt Gelhausen. Kimberly Joras formuliert die Frage etwas anders: „Wenn wir in Morschenich bleiben, wollen wir hier alleine wohnen?“