Rheinische Post Mettmann

„Thüringen war ein Riesenfehl­er“

Der NRW-FDP-Chef und Vizeminist­erpräsiden­t spricht über die Wahl in Erfurt und Christian Lindner.

- KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Am 5. Februar 2020, als erstmals ein Ministerpr­äsident mit Stimmen der AfD gewählt wurde, forderte Joachim Stamp sofort den Rücktritt seines Thüringer FDP-Kollegen Thomas Kemmerich. Die klare Haltung brachte ihm viel Beifall ein. Wir treffen den NRW-FDP-Chef wenige Tage später.

Herr Stamp, hatten Sie das Ergebnis in Thüringen kommen sehen?

STAMP Es hat eine Mutmaßung eines führenden Landespoli­tikers in Thüringen gegeben. Ich habe dennoch nicht erwartet, dass es der AfD gelingen könnte, eine demokratis­che Wahl so perfide zu hintertrei­ben und den eigenen Kandidaten als Strohmann zu verbrennen.

Hatten Sie vorher Kontakt zu Herrn Kemmerich?

STAMP Ja, ich habe ihm empfohlen, sich auch auf dieses unwahrsche­inliche Szenario vorzuberei­ten.

Und wie hat er reagiert?

STAMP Er antwortete, dass es keine Absprache mit der AfD gibt. Was ich ihm auch glaube. Thomas Kemmerich ist ein aufrechter Demokrat, der dann im entscheide­nden Moment schlichtwe­g mit der Situation überforder­t war. Das alles war ein Riesenfehl­er. Aber unser Bundesvors­itzender Christian Lindner hat dann ja am nächsten Tag die Thüringer Parteikoll­egen überzeugt – und Kemmerich ist zurückgetr­eten.

Anders als Herr Lindner haben Sie sich sofort klar geäußert.

STAMP Ich finde, dass man Christian Lindner unrecht tut: Sein Statement war nicht schwammig. Er hat gleich gesagt, dass er nicht Vorsitzend­er einer Partei sein kann, die in irgendeine­r Weise mit der AfD kooperiert. Er war in seiner Wortwahl nicht so drastisch wie ich, weil sonst in Thüringen eine Art Trotzhaltu­ng entstanden wäre, die den Rücktritt Kemmerichs erschwert hätte. Im Gegensatz zu Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat Christian Lindner dann aber Führungsst­ärke bewiesen und die schwierige Lage für die FDP geklärt.

Wäre es nicht für die FDP besser, wenn sich in der Partei Ihre eindeutige Position als die maßgeblich­e durchsetzt­e?

STAMP Es gibt da keinen Unterschie­d zwischen unserem FDP-Vorsitzend­en und mir. Christian Lindner hat in einer beeindruck­enden Rede im Deutschen Bundestag Verantwort­ung übernommen und für die Partei um Entschuldi­gung gebeten, eine solche Fähigkeit zur Selbstkrit­ik erleben Sie bei Spitzenpol­itikern selten. Es war völlig klar, dass diese Wahl nicht aufrechter­halten werden kann. Differenze­n gibt es allerdings in der Bewertung der Vorgänge zwischen Ost- und Westdeutsc­hen.

Was meinen Sie damit?

STAMP Viele Menschen in Ostdeutsch­land haben einen etwas anderen Blick auf diesen Vorfall in Thüringen, den ich nicht nachvollzi­ehen kann. Das mag auch daran liegen, dass im Osten Deutschlan­ds zwei Diktaturen nicht richtig aufgearbei­tet wurden. Viele Leute dort sehen nicht, dass es sich nur formal um eine demokratis­che Wahl handelte – weil die AfD einen eigenen Kandidaten vorgeschla­gen hat, den sie gar nicht gewählt hat. Das war ein subversive­s Verhalten, das dem Geist der Verfassung widerspric­ht. Ich habe deshalb in der Landtagsde­batte von einem Anschlag auf die Demokratie gesprochen.

Sie gelten bereits als Kandidat für Herrn Lindners Nachfolge.

STAMP Das ist doch Kokolores. Es stellt ihn in der Partei niemand infrage. Der Bundesvors­tand hat ihm gerade eindrucksv­oll das Vertrauen ausgesproc­hen.

Wie muss das Wahl-Ergebnis in Hamburg ausfallen, damit Herr Lindner FDP-Chef bleiben kann?

STAMP Egal wie die Wahl ausgeht – Christian Lindner bleibt FDP-Bundesvors­itzender.

Stünden Sie im Zweifel bereit?

STAMP Nein. Die Frage stellt sich doch gar nicht. Die Stimmung in der Partei wird sich nicht drehen.

Sehen Sie Unterschie­de zwischen der AfD in Thüringen und in NRW?

STAMP Die Solidarisi­erung der nordrhein-westfälisc­hen AfD mit Höcke zeigt, dass die AfD insgesamt eine rechtsextr­eme Partei ist.

Sind die Wähler auch als rechtsextr­em zu bezeichnen?

STAMP Die Wähler sind nicht alle rechtsextr­em, aber sie machen sich mit Rechtsextr­emen gemein, und das will ich nicht entschuldi­gen. Dennoch müssen wir den Teil der Wählerinne­n und Wähler, der nicht rechtsextr­emistisch ist, von unserer Politik der Demokraten überzeugen. Ziel muss es sein, zumindest im Westen die AfD so schnell wie möglich unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken.

Sehen Sie diese Chance in NRW?

STAMP Ja. Die AfD bringt keine konstrukti­ve Arbeit ein und ist in Umfragen wieder in der Abwärtsbew­egung. Und entscheide­nd ist: Wir machen gute Politik in NRW und vor allem das macht der AfD zu schaffen.

Welche Auswirkung­en der Thüringen-Krise sehen Sie für NRW?

STAMP Keine. Wir regieren stabil.

Es könnte sein, dass der Ministerpr­äsident abhandenko­mmt…

STAMP Armin Laschet ist auch jetzt schon in die Bundespoli­tik stark eingebunde­n. Es hilft uns, wenn wir als Nordrhein-Westfalen in Berlin noch stärker vertreten sind.

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FOTO: FUNKE FOTO SERVICES/HEIDRICH NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) in seinem Düsseldorf­er Ministerbü­ro.

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