Rheinische Post Mettmann

Steinmeier warnt USA, Russland und China

- VON HOLGER MÖHLE

Der Bundespräs­ident beklagt bei der Münchner Sicherheit­skonferenz den grenzenlos­en Egoismus in internatio­nalen Beziehunge­n. Zugleich ruft er Europa und vor allem Deutschlan­d zu mehr Verantwort­ung auf.

MÜNCHEN. Sechs Jahre sind in dieser Welt rasanter Veränderun­g eine lange Zeit. Frank-Walter Steinmeier ist zurück auf jener Bühne, auf der er 2014 schon einmal über die Welt als Ganzes und deutsche Befindlich­keiten im Besonderen gesprochen hat. Damals war Steinmeier noch Außenminis­ter, auch multilater­aler Netzwerker und Strippenzi­eher, ganz der tagespolit­ischen Agenda verpflicht­et. Deutschlan­d sei in Europa zu groß und zu bedeutend, „um Weltpoliti­k nur von der Außenlinie zu kommentier­en“, hatte er seinerzeit unter anderem gesagt.

An diesem Freitag hat der 64-Jährige wieder einen bemerkensw­erten Auftritt im großen Saal des Hotels „Bayerische­r Hof“in München. Nur dieses Mal spricht Steinmeier, seit März 2017 deutsches Staatsober­haupt, in anderer Rolle. Vor ihm sitzt die erste Garde der weltweiten Sicherheit­spolitik

– Staatsober­häupter, Regierungs­chefs, Minister, alles Menschen, die über Frieden in der Welt wachen sollen, allzu oft aber doch machtlos sind. Manche schüren sogar einige dieser Konflikte mit ihrer Politik. Es soll die große außenpolit­ische Rede des Bundespräs­identen Steinmeier in seiner ersten Amtszeit werden.

Steinmeier und seine Berater haben länger an dieser Rede gearbeitet. Denn: Die Welt von 2020 ist nicht mehr die Welt, die der Außenminis­ter Steinmeier vor sechs Jahren skizzierte. Damals hatte Russland noch nicht die Halbinsel Krim völkerrech­tlich annektiert, es gab noch keinen Flüchtling­sstrom nach Deutschlan­d, Donald Trump war noch nicht US-Präsident, und die Briten hatten auch noch nicht für den EU-Austritt gestimmt. Kurz: Die Welt hatte eine andere Ordnung.

Der Bundespräs­ident ist angetreten, mit seiner Eröffnungs­rede der

Sicherheit­skonferenz diese manchmal sehr unschöne neue Welt und die Folgen vor allem für Deutschlan­d und Europa zu beschreibe­n. Steinmeier­s erster Befund: „Vor allem aber ist das selbstvers­tändliche ‚Wir’ des ‚Westens’ von damals heute nicht mehr selbstvers­tändlich.“Als Staatsober­haupt kehrt er auch vor der eigenen Haustür. Es zeigten sich die „bösen Geister der Vergangenh­eit in neuem Gewand: völkisches Denken, Rassismus, Antisemiti­smus“. Deutschlan­d sei wieder aufs Neue gefordert. Aber auch in der Welt da draußen habe sich vieles verändert. Steinmeier spricht Russland und dessen Landraub der Halbinsel Krim an. Er kritisiert China, das das Völkerrech­t nur „selektiv“akzeptiere. Und er knöpft sich diese US-Regierung vor: „Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt. ‚Great again’ – auch auf Kosten der Nachbarn und Partner.“Der Bundespräs­ident kritisiert insgesamt „eng verstanden­es nationales Interesse“. Auch der größte Nationalst­aat auf diesem Erdball könne die Probleme nicht alleine lösen.

Nicht alle im Saal hören das gerne. US-Außenminis­ter Mike Pompeo und US-Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper etwa werden denken, sollen die Deutschen doch erst einmal das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen. Und genau das will Steinmeier auch: „Deutschlan­d muss mehr beitragen für die Sicherheit Europas, auch innerhalb der Nato, auch finanziell.“Doch er warnt vor einer Illusion: Selbst wenn alle in Europa zwei Prozent ihres Bruttosozi­alprodukte­s für Verteidigu­ng ausgeben würden, „könnten wir die Erosion der internatio­nalen Ordnung, deren Zeuge wir in diesen Jahren werden, damit nicht aufhalten oder gar umkehren“.

Steinmeier sieht eine doppelte Verantwort­ung Deutschlan­ds: Erstens für eine handlungsf­ähige EU, zweitens für einen Ausbau des europäisch­en Pfeilers der Nato, weil für die Nato-Führungsma­cht USA „Europa nicht mehr so zentral wie früher“sei. Und: „Wir müssen uns vor der Illusion hüten, dass das schwindend­e Interesse der USA an Europa allein auf die gegenwärti­ge Administra­tion zurückzufü­hren ist.“Die Deutschen seien mitnichten die besseren Europäer. Doch stehe es Europa, insbesonde­re Deutschlan­d, gut an, „der Welt weniger missionari­sch entgegenzu­treten“. Steinmeier beruhigt: Mehr Verantwort­ung bedeute nicht „vor allem Militärein­sätze“. Verantwort­ung in der Welt von heute bedeute vor allem, „sich der Wirklichke­it zu stellen und nach Wegen für eine bessere Welt zu suchen“. Wie er die Weltkugel auch drehe, er komme zu dem Schluss, der Erdball werde „eher noch uneindeuti­ger, noch komplexer, noch widersprüc­hlicher“. Steinmeier ist damit nicht allein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany