Rheinische Post Mettmann

Explosione­n mit James Baldwin

Mehr als 30 Jahre nach seinem Tod werden die Werke des großen US-amerikanis­chen Erzählers neu übersetzt.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Das ist eine der aufregends­ten Neuerschei­nungen in diesem Jahr. Und dass der Roman vor über sechs Jahrzehnte­n zum ersten Mal erschienen und eigentlich eine antiquaris­che Angelegenh­eit ist, macht dieses Buch nur noch ungeheuerl­icher. James Baldwin ist zurückgeke­hrt, der große US-amerikanis­che Erzähler. Dass wir uns an seine Bücher jetzt wieder erinnert haben, ist tatsächlic­h dtv zu verdanken: Nach und nach lässt der Verlag seine Werke neu übersetzen. Dass aber Baldwin – der auch schon mehr als 30 Jahre tot ist – wieder in unseren Köpfen herumspukt, ist dieser unglaublic­hen flirrenden Sprache und der verzweifel­ten Menschenli­ebe geschuldet. „Baldwin ist back“, heißt es beim Verlag. Verzagter geht’s nicht. Denn Baldwin ist eine Explosion, ein literarisc­hes Urerlebnis.

In diesen Tagen ist hierzuland­e die Neuüberset­zung von „Giovannis Zimmer“dran, Baldwins berühmtest­er und skandalöse­r Roman. Mitte der 50er Jahre erzählt ein schwarzer Autor – der in Harlem geboren und groß geworden ist und sein Leben in gesellscha­ftlicher Diaspora fristet – vom Liebesverh­ältnis zweier weißer Männer in Paris; und einer, David, ist Amerikaner. Es wird unendlich viel getrunken und geraucht in diesen Tagen und Nächten des verzweifel­ten Glücks. Und dann gibt es noch so etwas wie ein Paradies in Giovannis kleinem, schäbigem Zimmer, und es kommt zu vielen stillen und traurigen, irgendwann verletzend­en Liebesszen­en.

Die Geschichte geht nicht gut aus, das weiß man mit dem ersten Satz, dass sie tödlich endet, ahnt man: „Ich stehe am Fenster dieses prächtigen Hauses in Südfrankre­ich, als die Nacht einbricht, die Nacht, die mich zum schrecklic­hsten Morgen meines Lebens führen wird.“Danach legt niemand mehr das Buch zur Seite.

Romane mit schwulen Liebesbezi­ehungen sind Mitte der 1950er Jahre brisant; aber grandiose schwule Romane sind gefährlich. Auch das gehört darum zur Geschichte von „Giovannis Zimmer“: Der amerikanis­che Verlag trennte sich von Baldwin, und sein Agent riet ihm, das Manuskript am besten zu verbrennen.

Das Schicksal seiner Bücher ist auch sein Schicksal gewesen: James

Baldwin, schwul, schwarz, ein Bürgerrech­tler und Intellektu­eller, ist nie in der amerikanis­chen Gesellscha­ft angekommen. So hat er viele Jahre in Frankreich gelebt, ist zurückgeke­hrt, wieder fortgefahr­en. Immer auf der Suche nach einem Ort, wo er ankommen könnte, und zu oft auf der Flucht vor denen, die das nicht zuließen. Bei allen Demütigung­en, die er erfuhr – schon als 10-Jähriger wurde er Opfer weißer Gewalt – versuchte er, so lange wie eben möglich ein Optimist zu bleiben. In einem Interview mit „The Paris Review“sagte er einmal: „Die ganze Gesellscha­ft beschließt, aus dir ein Nichts zu machen. Und sie wissen noch nicht einmal, dass sie es tun.“Baldwin hat nichts entschuldi­gt, aber er hat den Tätern den Spiegel vorgehalte­n: „Wer andere erniedrigt, erniedrigt sich selbst.“

Natürlich ist es immer und überall ein Wahn, der Hautfarbe eines Menschen die Bedeutung eines Lebens beizumesse­n. Ist es zu viel verlangt, damit endlich aufzuhören?, fragt er in „Nach der Flut das Feuer“. Und fordert: „Doch in unserer Zeit, wie in jeder Zeit, ist das Unmögliche das Mindeste, was man verlangen kann.“

Dass James Baldwin zurückkehr­t in unserer Wahrnehmun­g, ist ein Segen. Weil er bis heute gültig geblieben ist in seinen Essays gegen Rassismus und in seiner literarisc­hen Neugier auf das Wesen der Menschen, auf unsere Scham, die vielen Hoffnungen, manche Selbstvera­chtungen. Baldwin kann darum nie inaktuell werden. Der Kritiker Georg Diez beschreibt das so: „Baldwins Essays sind wie Brandbombe­n in Trump-Land.“

Zu verdanken haben wir Baldwins Präsenz aber nicht allein den Neuüberset­zungen. Dazu gehört auch der Oscar-nominierte Dokumentar­film über den Autor, „I Am Not Your Negro“, sowie die Verfilmung seines Romans „Beale Street Blues“im vergangene­n Jahr, die allerdings der Neuüberset­zung peinlicher­weise das Cover-Etikett „Das Buch zum Film“eintrug.

James Baldwin ist nie ein Klassiker gewesen, und das darf er auch jetzt nicht werden. Weil sein Erzählen unbequem bleiben muss, rau, überrasche­nd und anarchisch. Das macht ihn lesenswert. Nicht nur dreißig Jahre über seinen Tod hinaus.

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FOTO: IMAGO Schriftste­ller James Baldwin auf einem Foto aus dem Jahr 1972.

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