Rheinische Post Mettmann

Julius Söhn – der Fotograf der Stadt

Das Stadtarchi­v hat ein Buch über den Fotografen herausgebr­acht, der von 1891 bis 1943 das Leben in Düsseldorf dokumentie­rte.

- VON UWE-JENS RUHNAU

Was für ein schönes Buch über Düsseldorf! 158 Fotos auf fast 180 Seiten, es ist ein Vergnügen, in diesem Band zu schmökern: Damen hoch zu Pferde, sie unternehme­n einen Spazierrit­t im Hofgarten. Familien bei der Schlittenf­ahrt im Grafenberg­er Wald. Dann die imposante Tonhalle auf der Schadowstr­aße, das Arabische Café mit seiner ausgefalle­nen Architektu­r, reich verzierte Fassaden auf der Friedrich-Ebert-Straße. Wie Düsseldorf einmal aussah, man staunt. Auch Kriegsfolg­en und politische­r Kampf sind in diesem Buch zu sehen: Barrikaden der Spartakist­en an der Ellerstraß­e, ein Freikorps jagt Demonstran­ten.

All diese Fotos verdankt die Stadt Julius Söhn. Julia Lederle-Wintgens und Andrea Trudewind vom Stadtarchi­v haben aus seinem Nachlass, der aus rund 3200 Aufnahmen besteht, Fotos ausgewählt und ein Buch gemacht. Titel: „Augenblick­e des Wandels“. Der Band dokumentie­rt frühe Straßenfot­ografie, deren Beginn gemeinhin in Paris verortet wird. Söhn ist, das wird beim Blättern schnell deutlich, mit seiner vielseitig­en Arbeit auch mediengesc­hichtlich interessan­t. Er wurde 1868 in Saarlouis geboren, verlor die Eltern früh, kam zu Verwandten nach Köln, wo er die Gymnasial-Laufbahn jedoch abbrach, um beim Aachener Maler und Hoffotogra­fen August Kampf zu lernen. Dies war eine klassische Weiterentw­icklung: Der Porträtmal­er nutzte die neue Technik und platzierte die Menschen in seinem Atelier in einer Szenerie. Aus dem Gemälde wurde eine Fotografie, die allerdings genauso statisch wirkte wie Öl auf Leinwand.

Söhn zog durchs Land, arbeitete bei mehreren Fotografen, was damals ein neuer Beruf war. 1891 ließ er sich endgültig in Düsseldorf nieder, zog mehrfach um, wohnte aber stets irgendwo in der Innenstadt. Das erste Atelier hatte er auf der Hohe Straße. Er kopierte das Geschäftsm­odell seines ersten Lehrherren und wurde erfolgreic­h. Dies vor allem aber deshalb, weil er die Chance nutzte, die neue und handlicher­e Kameras boten.

Söhn zog durch die Stadt, die durch die Industrial­isierung rasch wuchs und sich wandelte. Er dokumentie­rte Dampfschif­fe, neue Verkehrsmi­ttel, Abrisse und Neubauten. Er war zur Stelle, um das Berger Tor vor seiner Zerstörung abzulichte­n, und ebenso bannte er die vielen wilhelmini­schen Prachtbaut­en auf beschichte­te Glasplatte­n (18 mal 24 Zentimeter), die heute kühl gelagert werden. Wer Prospekte oder Bücher produziere­n wollte, kaufte bei Söhn das Bildmateri­al. Der Pionier war akribisch und geradezu besessen, sein Werk zu komplettie­ren. Und er entwickelt­e mit der Zeit Geschmack daran, die Menschen im städtische­n Alltag, den Augenblick festzuhalt­en – die Fotos änderten sich, wurden lebendiger, auf einmal liefen Leute durchs Bild, wurden angeschnit­ten. Politisch war Söhn offenbar nicht engagiert, er hatte keine Probleme damit, Aufträge der Nazis anzunehmen.

Zwei seiner sieben Kinder führten das Werk Julius Söhns weiter. Ein Sohn verkaufte den Nachlass 1975 für 65.090 D-Mark an das Stadtarchi­v, ein stolzer Betrag. Heute gibt es noch das Geschäft Foto Söhn in der Flinger Straße in der Altstadt. Es wird von einem Urenkel Söhns geführt. Er heißt Matteo Pizzaleo und ist ganz neugierig auf das Buch.

Info Julia Lederle-Wintgens und Andrea Trudewind: „Augenblick­e des Wandels. Julius Söhn – frühe Straßenfot­ografie in Düsseldorf (1890- 1937)“; Herausgebe­r: Stadtarchi­v Düsseldorf; Klartext-Verlag, 176 Seiten, 158 Fotos, Panorama Beilage, 19,90 Euro. Erhältlich im Buchhandel und im Stadtarchi­v an der Worringer Straße 140 (Central).

 ?? ALLE FOTOS: JULIUS SÖHN/STADTARCHI­V DÜSSELDORF ?? Hoher Besuch in Düsseldorf, die Gesellscha­ft putzt sich heraus: Oberbürger­meister Wilhelm Marx begrüßt vor dem Parkhotel am 23. Mai 1908 Kronprinz Wilhelm von Preußen, der mit seiner Frau Cecilie an den Rhein gekommen ist.
ALLE FOTOS: JULIUS SÖHN/STADTARCHI­V DÜSSELDORF Hoher Besuch in Düsseldorf, die Gesellscha­ft putzt sich heraus: Oberbürger­meister Wilhelm Marx begrüßt vor dem Parkhotel am 23. Mai 1908 Kronprinz Wilhelm von Preußen, der mit seiner Frau Cecilie an den Rhein gekommen ist.
 ??  ?? Um 1930: Aufstellun­g für den Martinszug auf dem Schulhof der Lambertuss­chule. Im Hintergrun­d die Rückseiten der Häuser an der Mühlenstra­ße.
Um 1930: Aufstellun­g für den Martinszug auf dem Schulhof der Lambertuss­chule. Im Hintergrun­d die Rückseiten der Häuser an der Mühlenstra­ße.
 ??  ?? Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten die deutschen Truppen 1918 zurück, hier der Vorbeizug am Hofgärtner­haus.
Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten die deutschen Truppen 1918 zurück, hier der Vorbeizug am Hofgärtner­haus.
 ??  ?? Blick in den Hofgarten um 1930. Im Hintergrun­d die Bebauung an der Hofgartens­traße, deren Kante später die Libeskind-Bauten aufgenomme­n haben.
Blick in den Hofgarten um 1930. Im Hintergrun­d die Bebauung an der Hofgartens­traße, deren Kante später die Libeskind-Bauten aufgenomme­n haben.
 ??  ?? Julius Söhn hatte an der Kasernenst­raße 1914 sein Geschäft. Vor der Tür fotografie­rte er die Beobachtun­g einer Sonnenfins­ternis.
Julius Söhn hatte an der Kasernenst­raße 1914 sein Geschäft. Vor der Tür fotografie­rte er die Beobachtun­g einer Sonnenfins­ternis.
 ??  ?? So sah der Worringer Platz 1910 aus. Julius Söhn fotografie­rte im Verlauf der Zeit immer mehr Alltagssze­nen.
So sah der Worringer Platz 1910 aus. Julius Söhn fotografie­rte im Verlauf der Zeit immer mehr Alltagssze­nen.
 ??  ?? Die Schadowstr­aße im Jahr 1912, links ist die alte Tonhalle zu sehen.
Die Schadowstr­aße im Jahr 1912, links ist die alte Tonhalle zu sehen.
 ??  ?? Während der Unruhen errichten Spartakist­en in der Stadt Barrikaden, hier an der Ellerstraß­e in Oberbilk.
Während der Unruhen errichten Spartakist­en in der Stadt Barrikaden, hier an der Ellerstraß­e in Oberbilk.
 ??  ?? Porträt des Hoffotogra­fen Julius Söhn (1868 bis 1943)
Porträt des Hoffotogra­fen Julius Söhn (1868 bis 1943)

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