Rheinische Post Mettmann

„Pro Traube gewinnen wir nur jeweils etwa einen Tropfen“

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Das erkannten auch Kaiser und Ziraldo. Die beiden Einwandere­r waren sich einig, dass der kanadische Wein schlichtwe­g ungenießba­r sei. Sie zählten zu den ersten, die sich weigerten, Wein aus einer Mischung von Labruscare­ben und importiert­em Traubensaf­t zu keltern. So war es bis dahin in Niagara üblich gewesen. Stattdesse­n wagten sie, mit Sorten zu experiment­ieren, die sie aus Europa kannten, obwohl sie durchaus anspruchsv­oller und nicht immer einfach in der Pflege waren: In einem kleinen Weingarten pflanzte Ziraldo 1974 Riesling an, Chardonnay sowie Gamay.

Drei Jahre später kelterte Kaiser den ersten Wein – und gehörte damit zu den Vorreitern in der Region, der andere inspiriert­e. Seit Jahrzehnte­n hat sich an der Größe des Weinanbaug­ebietes in Ontario nichts geändert. Doch werden heute kaum noch Labruscare­ben angebaut, sondern hauptsächl­ich europäisch­e Sorten.

Dabei war es reiner Zufall, dass sich Karl Kaiser 1969 im zweitgrößt­en Land der Erde ausgerechn­et in Ontario niederließ. In St. Veit an der Gölsen geboren, durchlief er als Kind armer Bauern im Zisterzien­serkloster Lilienfeld eine Ausbildung zum Pfarrer. Neben Latein und Griechisch erlernte er auch die Grundzüge des Weinbaus. Später wurde der junge Mann außerhalb der Klostermau­ern Lehrer, half nebenbei auf Weingütern und lernte seine spätere Frau Sylvia Petritsch kennen. Sie, die in Kanada aufgewachs­en war, wurde für ihn der Grund, in die Provinz Ontario auszuwande­rn.

Kaiser begann ein neues Studium – diesmal das der Chemie – und widmete sich in seiner Freizeit weiter dem Weinbau. Auf der Suche nach passenden Pflanzen für den Familienga­rten stieß er schließlic­h auf die Baumschule Ziraldo. Der Rest ist Geschichte.

Es war im Herbst 1984, als sich der junge Winzer entschied, die Trauben – diesmal die Sorte Vidal – bis in den Winter hinein hängen zu lassen, denn er erkannte schnell, dass die klimatisch­en Bedingunge­n perfekt dafür waren. Und Kaiser sollte recht behalten: Während der Monate Dezember und Januar dehydriert­en die reifen Beeren permanent im Spannungsf­eld von Plus- und Minusgrade­n. Die Zucker, Säuren und Extrakte in den Beeren konzentrie­rten sich, die Aromen wurden intensiver und der daraus entstanden­e Eiswein zeichnete sich durch enorme Komplexitä­t aus.

Mittlerwei­le ist Inniskilli­n berühmt für seinen Eiswein, spätestens, seit das Gut 1991 auf der französisc­hen Weinmesse „Vinexpo“mit dem Grand Prix d’Honneur prämiert wurde. Doch die Auszeichnu­ng rückte nicht nur das Weingut ins Rampenlich­t, sondern lenkte die Aufmerksam­keit zum ersten Mal auf kanadische Weine.

Die Herstellun­g von Eiswein erfordert Geduld. „Pro Pflanze gewinnen wir rund eine halbe Flasche“, erklärt Sylvie Gingras, die seit acht Jahren Gäste auf Inniskilli­n empfängt. Zum Vergleich: Bei der Herstellun­g normalen Weißweins ergibt ein Stock fünf bis sechs Flaschen. Geerntet und gepresst werden die Trauben bei -8 bis -13 Grad. Die Beeren sind dann hart wie Murmeln, das in ihnen enthaltene Wasser hat sich zu Eiskristal­len geformt, von denen sich Zucker, Säuren und Aromen separiert haben.

Während des rund zwei Stunden dauernden Pressvorga­ngs in so genannten Korbpresse­n aus Holz beginnen die Eiskristal­le zu schmelzen. Deswegen ist es wichtig, weiß man auf Inniskilli­n, permanent die Dichte der Flüssigkei­t zu überwachen. Die Kunst ist es, aus den natürlich gefrorenen Beeren nur den süßesten Saft herauszupr­essen. Wird dieser während des Schmelzpro­zesses zu wässrig, muss man mit dem Pressen aufhören. Rund 80 Prozent des Wassers bleibe gefroren in den Trauben zurück, sagt Gingras. Oder auch: „Pro Traube gewinnen wir nur jeweils etwa einen Tropfen.“

Heute macht Eiswein nach Angaben des Unternehme­ns rund 20 Prozent des Gesamtvolu­mens von Inniskilli­n aus. Ein Teil davon wird aus Riesling, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon gewonnen. Doch der Großteil, 80 Prozent, stammt aus Vidaltraub­en. Die Sorte zeichnet sich durch dicke Beerenhäut­e aus und kann somit den sehr niedrigen kanadische­n Temperatur­en im Winter gut trotzen. Unter Karl Kaisers Nachfolger, Winzer Bruce Nicholson, hat das Weingut Ende der Neunziger zudem erstmals Eissekt gelauncht. Er kam zur Feier des beginnende­n Millennium­s heraus.

Weingut Inniskilli­n

Sylvie Gingras

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