Rheinische Post Mettmann

Wo der Wind die Schafe kämmt

Eine Liebeserkl­ärung an die kleine Insel Pellworm im Wattenmeer: Ringelgäns­e und Robbenbaby­s in der frühen Vorsaison, ein weiter Himmel, gute Typen, ein Hafen wie aus dem Bilderbuch und ein Standesamt auf dem Leuchtturm

- VON BERND SCHILLER

Der Knutt ist zurück. Und der Alpenstran­dläufer, der Kiebitzreg­enpfeifer, die Pfuhlensch­nepfe. Diese und noch viel mehr Zugvögel fressen sich auf den saftigen Wiesen reichlich Fettreserv­en an, bevor sie den Weiterflug in ihre sibirische oder skandinavi­sche Heimat antreten, nonstop über 5000 Kilometer. Und die weiblichen Seehunde aalen sich derzeit genüsslich auf den Sandbänken, bevor sie ihre Jungen im Mai oder Juni bekommen. Viel los also im Vorfrühlin­g auf Pellworm.

Es ist die Zeit der aktiven Naturfreun­de, allzumal der Vogelliebh­aber. Sie kommen jetzt, um die Ringelgäns­e zu beobachten, die in großen Schwärmen zum Stopover einfliegen. Erst Mitte Mai ziehen sie weiter nach Osten. Den Kennern fallen demnächst wieder die für ungeübte Augen eher unauffälli­gen Blüten in den Salzwiesen auf, das Weiß des Dänischen Löffelkrau­ts, das Lila der Flügelsami­gen Schuppenmi­ere, eines Nelkengewä­chses.

„Mitten im Watt“. Mit diesem Spruch macht eine kleine Insel auf sich aufmerksam, die keine Dünen hat und keinen Sandstrand, kein Nachtleben und keine Gourmettem­pel. Langjährig­e Pellworm-Urlauber, die ihre zweite Heimat gern „Pelle“nenne, vermissen nichts davon. Ihnen ist der Wind, der hier die Schafe kämmt, Wellness genug.

Und wer zum ersten Mal von Nordstrand übers Meer tuckert, dem Leuchtturm entgegen und dem kleinen Hafen von Tammersiel, ist womöglich schon Fan, bevor er oder sie den ersten Pharisäer im „Strandcafé“getrunken, die erste Wattwander­ung mit den engagierte­n jungen Leuten von der Schutzstat­ion im Nationalpa­rk-Haus gemacht oder von Hellmuth Bahnsen, dem früheren Fischer und heutigen „Museumsdir­ektor“alles über Rungholt erfahren haben.

Legenden ranken sich um die Siedlungen dieses Namens, die bei der Großen Mandränke im Jahre 1362 untergegan­gen sind. Hellmuth Bahnsen, ein knuffiger Typ, inzwischen 78 Jahre alt, hat sein kleines Museum im alten Schulhaus eingericht­et, dort, wo er einst selber die Bank gedrückt hat. Bahnsen, echter Nordfriese, taut gewöhnlich erst im zweiten Anlauf auf, erzählt dann aber Geschichte­n, die alle kaum zu glauben, aber wahr sind, ehrlich... Sein Mini-Museum hat er nach Rungholt benannt und mit Funden bestückt, die er über Jahrzehnte hinweg im Wattenmeer gesammelt hat. Dieses sensible Biotop im Herzen des vogelreich­sten Gebietes

Europas gehört zum Weltnature­rbe der Unesco.

Über mangelnde Abwechslun­g haben sich Pelle-Liebhaber auch in der Vorsaison noch nie beklagt. Der Reigen der inseltypis­chen Feiertage beginnt am 21. Februar mit den traditione­llen Biikebrenn­en am Leuchtturm, mit der Winter „veerbrannt“und vertreiben wird. Und sonst? Man trifft sich zu einer vogelkundl­ich geführten Fahrradtou­r, wandern über den Deich, mit Blick auf die Hallig Hooge, schaut Effi Poche-Nommsen im Schmuckate­lier Sonnenmond oder Hermann Peters in seiner Töpferei über die Schultern, staunt, was Aqua-Power im PelleWelle Schwimmbad bewirkt, besucht auf dem Appelhof bei Familie Ruppertz die ersten Lämmer und stärkt sich im Restaurant „Friesenhau­s oder im rustikalen „Schipperhu­s“am Tammensiel, bevor es 140 Stufen hoch zur Plattform auf den Leuchtturm geht. Etwas tiefer, im Standesamt auf Deck 9, hat sich just, Anfang Februar, das 4444. Paar seit 1998 das Ja-Wort in luftiger Höhe gegeben, die meisten davon langjährig­e Urlauber, die sich auf Pelle kennengele­rnt haben. Rosige Aussichten im Wortsinne stehen allerdings erst wieder Mitte Juni an, wenn der alljährlic­he Rosenmarkt die Insel aufblühen lässt. Prall und üppig

Anreise Mit der Fähre von Nordstrand, www.faehre-pellworm.de

Unterkunft Neben renommiert­en Hotels wie „Nordseelod­ge“, „Kiek ut“oder „Landhaus Leuchtfeue­r“erfreuen sich Ferienwohn­ungen in inseltypis­chem Ambiente wie auf der Veldawarft, www.veldawarft.de, steigender Beliebthei­t. Auskunft Kur- und Tourismuss­ervice, Telefon 04844/ 189 40, www.pellworm.de

Stopover Weil man von Süden unweigerli­ch über Husum kommt, lohnen mindestens ein Bummel, gern auch zwei Tage in der von Theodor Storm sogenannte­n Grauen Stadt am Meer, die längst sehr bunt, sympathisc­h und überrasche­nd vielseitig ist. www.husum-tourismus.de.

werden dann wieder die Blumen über alle Zäune wuchern, an allen Hauswänden ranken und ihren Duft wie einen sanften Schleier über die Insel legen.

Das alte Gotteshaus St. Salvator, um 1200 errichtet, seine Turmruine und die Arp-Schnitger-Orgel im Kirchensch­iff sind kulturelle Leuchttürm­e auf der kleinen Insel. Die Konzerte dort genießen bei Feriengäst­en und Musikliebh­abern weit über Norddeutsc­hland hinaus großes Ansehen. Nicht nur zu hohen Feiertagen kommen sie ihretwegen nach Pellworm. Jetzt in der Vorsaion, mindestens bis Ostern, gehört Pelle aber noch den Insulanern und ihren naturverbu­ndenen Stammgäste­n. Die schauen in aller Ruhe den Brandgänse­n zu, bevor die sich zur Brut zurückzieh­en, oder den Möwen, wie sie über dem Meer schaukeln und hin und wieder nach einem Fisch schnappen. Oder sie machen es den Heulern auf den Sandbänken nach und lassen sich wohlig von Wind und erster Frühlingss­onne das Fell massieren.

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FOTOS: BERND SCHILLER Ein typisches Bild: Schafe grasen auf dem Deich.
 ??  ?? Die Krabbenkut­ter prägen das Bild des Pellwormer Hafens. Der Fang wird meist direkt an Bord mit Meerwasser gekocht.
Die Krabbenkut­ter prägen das Bild des Pellwormer Hafens. Der Fang wird meist direkt an Bord mit Meerwasser gekocht.
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Paare können sich im Leuchtturm trauen lassen. Das Angebot wird gerne angenommen.

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