„Wir müssen das Rentenalter anpassen“
Chance verpasst! Seit Mai 2018 arbeitet die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, um das Rentensystem ab 2025 auf solide Beine zu stellen. Diesem Auftrag ist die Kommission nicht nachgekommen. Der Abschlussbericht umschifft die wesentlichen Fragen. Dabei liegen die Erkenntnisse seit langem auf dem Tisch, die eine Reform der Rentenversicherung notwendig machen.
Da ist zum einen die steigende Lebenserwartung. Eine heute 65-jährige Frau lebt im Durchschnitt noch 21 Jahre, und ein 65-jähriger Mann noch 18 Jahre. Vor 20 Jahren, zur Jahrtausendwende, waren es noch 19 Jahre für Frauen, und 16 Jahre für Männer. Alle 10 Jahre steigt die Lebenserwartung um etwa 0,95 Jahre für Frauen und 1,22 Jahre für Männer. Die zweite markante Entwicklung ist die Pensionierung der Babyboomer. In diesem Jahr werden rund eine Millionen Menschen 65 Jahre alt. In zehn Jahren sind es 30 Prozent mehr. Drittens ist die geringe Geburtenrate zu nennen. Die Geburtenzifferliegt bei 1,57. Damit unsere Bevölkerung konstant bleibt, bräuchte es etwa 2,1 Kinder pro Frau. Es werden in Zukunft also immer weniger junge Menschen auf zunehmend mehr ältere Menschen treffen. Auch Migration kann diese Entwicklung nicht grundlegend verändern.
Die Wirkung dieser drei Faktoren zeigt sich im Altenquotienten, der die Anzahl der Einwohner im Rentenalter pro 100 Einwohner im Erwerbsalter misst. Dieser wird voraussichtlich rapide von rund 35 Prozent heute bis auf 57 Prozent in 2040 ansteigen. Die Rentenversicherung hat drei Stellschrauben, mit denen sie reagieren kann. Zum einen das Renteneintrittsalter, das bis 2031 auf 67 Jahre ansteigen wird. Zweitens die Höhe der Beiträge der Arbeitnehmern zur Rente, also der Beitragssatz, der derzeit bei 18,6 Prozent liegt. Und schließlich die Höhe der Rente, gemessen am Rentenniveau. Das Rentenniveau beträgt derzeit 48,16 Prozent.
Klar ist: Wenn nichts geschieht, wird der Beitragssatz steigen und das Rentenniveau sinken. Die Regierung ist der Problematik bis 2025 mit der sogenannten doppelten Haltelinie begegnet. Diese schreibt fest, dass der Beitragssatz nicht über 20
Prozent steigen und das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf. Der Fehlbedarf wird über Steuern finanziert. Damit hat die Bundesregierung allerdings zwei der drei Stellschrauben der Rentenversicherung festgedreht. Die dritte, das Renteneintrittsalter, wurde implizit mit festgedreht. Für die Zeit nach 2025 brauchen wir neue Lösungen.
Änderungen im Rentensystem benötigen eine Vorlaufzeit, damit sich die Bevölkerung und die Wirtschaft darauf einstellen können. Und eigentlich ist allen bewusst, dass dabei auch das Renteneintrittsalter eine Rolle spielen wird. So haben etwa die Niederlande oder Italien das Renteneintrittsalter bereits an die Entwicklung der Lebenserwartung angepasst. Leider hat die Rentenkommission
es nicht geschafft, sich bei diesem Thema zu einigen. Laut Kommissionsbericht soll ein Alterssicherungsbeirat sich erst im Jahr 2026 mit dem Thema Rentenalter auseinandersetzen.
In der aktuellen Krise richtet sich der Fokus nun berechtigterweise auf die unmittelbaren Probleme. Allerdings stoßen Haltelinien in Zeiten einer Wirtschaftskrise schnell an ihre Grenzen. Vielleicht wird dann der Handlungsdruck so hoch, dass ein „verlässlicher Generationenvertrag“doch noch zustande kommt. Notwendig wäre es.