Die grüne Versuchung
Die Corona-Krise bietet die Chance, die Wirtschaft ökologisch und klimaneutral umzubauen. Doch manche Ideen könnten die Gesellschaft überfordern und sind Gift für eine schnelle Erholung.
Das Coronavirus hat geschafft, wovon der Blogger Rezo nur träumen konnte. Die Bundesrepublik wird das selbstgesteckte Klimaziel einer Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen von 40 Prozent gegenüber 1990 in diesem Jahr mit Sicherheit einhalten. Die Denkfabrik Agora-Energiewende aus Berlin hat nachgerechnet. Danach könnte der CO2-Ausstoß in Deutschland 2020 zwischen 670 und 747 Millionen Tonnen liegen. Das sind im besten Fall 45 Prozent weniger als 1990.
Rezo wollte die
CDU zerstören. Das Coronavirus vernichtet wirtschaftliche Werte. Allein die Stahlproduktion, einer der zentralen Emittenten von Kohlendioxid, wird 2020 um ein Viertel zurückgehen. Die anderen Einsparungen kommen vom geringeren Auto- und Luftverkehr, dem milden Winter und der eingeschränkten Industrieproduktion. Schlecht für die Wirtschaft, gut für das Klima. Die Erderwärmung legt in Deutschland und weltweit eine Pause ein.
Der Preis ist freilich viel zu hoch: die größte Rezession seit dem Kriegsende, zehn Millionen Kurzarbeiter, Lohnverzicht und eine bedrohliche Staatsverschuldung. Zugleich mehren sich die Stimmen, welche die Erholung der Wirtschaft zu einem ökologischen und klimaneutralen Umbau nutzen wollen. Andere würden am liebsten einige Umwelt-Standards zumindest temporär außer Kraft setzen, um die Produktion schneller in Gang zu bringen.
Schnelle Wirtschaftserholung gegen ökologische Wende – das bestimmt die Debatte derzeit, vor allem, weil die Produktion erst schrittweise wieder hochgefahren wird. Deshalb werden die staatlichen Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft stark unter Aspekten des Klima- und Umweltschutzes diskutiert. „Man sollte die Konjunkturhilfen als Impulse für eine Green Recovery,
also eine klimafreundliche Erholung, der Wirtschaft nutzen“, fordert etwa Frank Peter, stellvertretender Direktor des Energiewende-Instituts Agora. Dagegen argumentieren der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und der europäische Verband der Autohersteller ACEA genau in die andere Richtung. Die Europäische Union (EU) müsse die CO2-Grenzwerte krisenbedingt lockern. So gilt seit 2020 EU-weit ein Limit von 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer für den Flottenverbrauch von Neufahrzeugen. Das würden die Auto-Lobbyisten gerne aussetzen. Und beim kommenden Autogipfel am 2. Juni machen sich die Chefs der drei großen MobilitätsKonzerne VW, BMW und Daimler auch für Kaufanreize für herkömmliche Pkw stark. Sonst drohe ein unkontrollierbarer Stillstand in den für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Autofabriken.
Der Energieexperte Peter hat durchaus Verständnis für die Nöte der Autoindustrie und anderer Branchen. „Noch verläuft das Hochfahren der Wirtschaft schrittweise, und die Wiederherstellung der Lieferketten ist schwierig.“Darin lägen aber auch Chancen. Peter: „Wir sollten die Zeit des Stillstands so weit wie möglich nutzen, um die Fabriken zumindest teilweise auf die Herstellung von Elektroautos umzurüsten. So geht die Zeit nicht verloren. Ein Hochfahren der konventionellen Fahrzeugproduktion auf den Stand vor der Krise wird es wahrscheinlich so schnell nicht geben.“
Doch ganz so einfach lassen sich solche Umbaupläne nicht umsetzen. Denn anders als der Elektromobilitäts-Pionier Tesla, der in anderthalb Jahren eine neue Fabrik in Brandenburg hochzieht, sind die Produktionslinien der deutschen Autokonzerne ganz auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet. Radikale Veränderungen bräuchten mehr Zeit, ein Netz mit Ladeinfrastruktur steht nicht zur Verfügung. Auch ein Verzicht auf manche Stahl-Hochöfen und eine entsprechende Umstellung auf gasbasierte Produktion ist in wenigen Monaten nicht möglich. Und Jahre kann die Stahlindustrie nicht warten. Schließlich zeigt das unfreiwillige Corona-Experiment auch, dass der weltweite Verzicht auf Flüge, Züge oder Autos nur mal eben zu einer Einsparung der globalen Emissionen von acht Prozent führt, wie die Internationale Energiebehörde IEA errechnet hat. Man wird also nicht die Klimawende allein mit einer grünen Erholung der Wirtschaft schaffen.
Der niederländische Ökonom Jan Tinbergen, der 1969 als erster Wirtschaftswissenschaftler den für dieses Fach neugeschaffenen Nobelpreis erhielt, hat dafür plädiert, jedem wirtschaftspolitischen Ziel genau ein Maßnahmenpaket zuzuordnen. Wenn es also um die ökonomische Erholung geht, müssen die staatlichen Programm vor allem darauf abheben. Wenn der Klimaschutz das Ziel ist, sind die Instrumente entsprechend anders auszurichten. Nach der Tinbergen-Regel ist es geradezu fatal, mit einem Maßnahmenpaket zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen. Es wird dann keines der beiden wirklich erreicht.
Trotzdem könnte bei der Erholung der Wirtschaft einiges für das Klima und andere Umweltziele getan werden. So sind ökologische Anreize beim Kauf neuer Geräte, beim Neubau von Wohnungen oder dem Erwerb von Autos durchaus sinnvoll. Daneben müssen aber andere Impulse wie bessere Abschreibungen, oder Investitionen in die Infrastruktur im Vordergrund stehen. Auch wenn die CO2-Emissionen zeitweilig wieder ansteigen: Ohne eine Wiederbelebung der Wirtschaft werden die viel ehrgeizigeren Ziele für 2030 nicht erreicht.
Das bedeutet nicht, im Klimaschutz nachzulassen. Noch nie war die Voraussetzung für eine Wirksamkeit der CO2-Bepreisung so gut wie jetzt. Wenn Unternehmen ihre Produktion wieder aufnehmen, werden sie genau nachrechnen. welche Erzeugnisse sich lohnen und welche Prozesse noch effizient sind. Hier sollte man die Gunst der Stunde nutzen. Dann ist trotz Tinbergen beiden gedient: der Wirtschaft und der Umwelt.
„Man wird also nicht die Klimawende allein mit einer grünen Erholung der Wirtschaft
schaffen“