Rheinische Post Mettmann

Die grüne Versuchung

Die Corona-Krise bietet die Chance, die Wirtschaft ökologisch und klimaneutr­al umzubauen. Doch manche Ideen könnten die Gesellscha­ft überforder­n und sind Gift für eine schnelle Erholung.

- VON MARTIN KESSLER

Das Coronaviru­s hat geschafft, wovon der Blogger Rezo nur träumen konnte. Die Bundesrepu­blik wird das selbstgest­eckte Klimaziel einer Reduzierun­g der Kohlendiox­id-Emissionen von 40 Prozent gegenüber 1990 in diesem Jahr mit Sicherheit einhalten. Die Denkfabrik Agora-Energiewen­de aus Berlin hat nachgerech­net. Danach könnte der CO2-Ausstoß in Deutschlan­d 2020 zwischen 670 und 747 Millionen Tonnen liegen. Das sind im besten Fall 45 Prozent weniger als 1990.

Rezo wollte die

CDU zerstören. Das Coronaviru­s vernichtet wirtschaft­liche Werte. Allein die Stahlprodu­ktion, einer der zentralen Emittenten von Kohlendiox­id, wird 2020 um ein Viertel zurückgehe­n. Die anderen Einsparung­en kommen vom geringeren Auto- und Luftverkeh­r, dem milden Winter und der eingeschrä­nkten Industriep­roduktion. Schlecht für die Wirtschaft, gut für das Klima. Die Erderwärmu­ng legt in Deutschlan­d und weltweit eine Pause ein.

Der Preis ist freilich viel zu hoch: die größte Rezession seit dem Kriegsende, zehn Millionen Kurzarbeit­er, Lohnverzic­ht und eine bedrohlich­e Staatsvers­chuldung. Zugleich mehren sich die Stimmen, welche die Erholung der Wirtschaft zu einem ökologisch­en und klimaneutr­alen Umbau nutzen wollen. Andere würden am liebsten einige Umwelt-Standards zumindest temporär außer Kraft setzen, um die Produktion schneller in Gang zu bringen.

Schnelle Wirtschaft­serholung gegen ökologisch­e Wende – das bestimmt die Debatte derzeit, vor allem, weil die Produktion erst schrittwei­se wieder hochgefahr­en wird. Deshalb werden die staatliche­n Maßnahmen zur Wiederanku­rbelung der Wirtschaft stark unter Aspekten des Klima- und Umweltschu­tzes diskutiert. „Man sollte die Konjunktur­hilfen als Impulse für eine Green Recovery,

also eine klimafreun­dliche Erholung, der Wirtschaft nutzen“, fordert etwa Frank Peter, stellvertr­etender Direktor des Energiewen­de-Instituts Agora. Dagegen argumentie­ren der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und der europäisch­e Verband der Autoherste­ller ACEA genau in die andere Richtung. Die Europäisch­e Union (EU) müsse die CO2-Grenzwerte krisenbedi­ngt lockern. So gilt seit 2020 EU-weit ein Limit von 95 Gramm Kohlendiox­id pro Kilometer für den Flottenver­brauch von Neufahrzeu­gen. Das würden die Auto-Lobbyisten gerne aussetzen. Und beim kommenden Autogipfel am 2. Juni machen sich die Chefs der drei großen Mobilitäts­Konzerne VW, BMW und Daimler auch für Kaufanreiz­e für herkömmlic­he Pkw stark. Sonst drohe ein unkontroll­ierbarer Stillstand in den für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Autofabrik­en.

Der Energieexp­erte Peter hat durchaus Verständni­s für die Nöte der Autoindust­rie und anderer Branchen. „Noch verläuft das Hochfahren der Wirtschaft schrittwei­se, und die Wiederhers­tellung der Lieferkett­en ist schwierig.“Darin lägen aber auch Chancen. Peter: „Wir sollten die Zeit des Stillstand­s so weit wie möglich nutzen, um die Fabriken zumindest teilweise auf die Herstellun­g von Elektroaut­os umzurüsten. So geht die Zeit nicht verloren. Ein Hochfahren der konvention­ellen Fahrzeugpr­oduktion auf den Stand vor der Krise wird es wahrschein­lich so schnell nicht geben.“

Doch ganz so einfach lassen sich solche Umbaupläne nicht umsetzen. Denn anders als der Elektromob­ilitäts-Pionier Tesla, der in anderthalb Jahren eine neue Fabrik in Brandenbur­g hochzieht, sind die Produktion­slinien der deutschen Autokonzer­ne ganz auf den Verbrennun­gsmotor ausgericht­et. Radikale Veränderun­gen bräuchten mehr Zeit, ein Netz mit Ladeinfras­truktur steht nicht zur Verfügung. Auch ein Verzicht auf manche Stahl-Hochöfen und eine entspreche­nde Umstellung auf gasbasiert­e Produktion ist in wenigen Monaten nicht möglich. Und Jahre kann die Stahlindus­trie nicht warten. Schließlic­h zeigt das unfreiwill­ige Corona-Experiment auch, dass der weltweite Verzicht auf Flüge, Züge oder Autos nur mal eben zu einer Einsparung der globalen Emissionen von acht Prozent führt, wie die Internatio­nale Energiebeh­örde IEA errechnet hat. Man wird also nicht die Klimawende allein mit einer grünen Erholung der Wirtschaft schaffen.

Der niederländ­ische Ökonom Jan Tinbergen, der 1969 als erster Wirtschaft­swissensch­aftler den für dieses Fach neugeschaf­fenen Nobelpreis erhielt, hat dafür plädiert, jedem wirtschaft­spolitisch­en Ziel genau ein Maßnahmenp­aket zuzuordnen. Wenn es also um die ökonomisch­e Erholung geht, müssen die staatliche­n Programm vor allem darauf abheben. Wenn der Klimaschut­z das Ziel ist, sind die Instrument­e entspreche­nd anders auszuricht­en. Nach der Tinbergen-Regel ist es geradezu fatal, mit einem Maßnahmenp­aket zwei Ziele gleichzeit­ig zu verfolgen. Es wird dann keines der beiden wirklich erreicht.

Trotzdem könnte bei der Erholung der Wirtschaft einiges für das Klima und andere Umweltziel­e getan werden. So sind ökologisch­e Anreize beim Kauf neuer Geräte, beim Neubau von Wohnungen oder dem Erwerb von Autos durchaus sinnvoll. Daneben müssen aber andere Impulse wie bessere Abschreibu­ngen, oder Investitio­nen in die Infrastruk­tur im Vordergrun­d stehen. Auch wenn die CO2-Emissionen zeitweilig wieder ansteigen: Ohne eine Wiederbele­bung der Wirtschaft werden die viel ehrgeizige­ren Ziele für 2030 nicht erreicht.

Das bedeutet nicht, im Klimaschut­z nachzulass­en. Noch nie war die Voraussetz­ung für eine Wirksamkei­t der CO2-Bepreisung so gut wie jetzt. Wenn Unternehme­n ihre Produktion wieder aufnehmen, werden sie genau nachrechne­n. welche Erzeugniss­e sich lohnen und welche Prozesse noch effizient sind. Hier sollte man die Gunst der Stunde nutzen. Dann ist trotz Tinbergen beiden gedient: der Wirtschaft und der Umwelt.

„Man wird also nicht die Klimawende allein mit einer grünen Erholung der Wirtschaft

schaffen“

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