„Jeseit ess jeseit“
Dialekte vermögen es in besonderer Weise, lebenskluge und liebenswerte Einsichten zum Ausdruck zu bringen, die in Erinnerung bleiben.
Sofie Konnertz, meine Oma, Jahrgang 1900, wusste noch, was Wahrheit und Klarheit in Wort und Rede bedeutet. „Jeseit ess jeseit“, sagte sie, wenn sie auf Verlässlichkeit in Ausdruck und Aussage bestand. Das konnte sich auf das Versprechen des Enkels beziehen, im Garten mit anzupacken, oder auf die Sonntagsrede des Pastors, der Genügsamkeit predigte, aber beim Festbraten zulangte.
Ihre Sprache war das heimische Platt, das – ganz anders, als der Begriff vermuten lässt – keineswegs flach, sondern tiefsinnig daherkommt. Ihre Weisheiten (gesagt ist gesagt) waren geprägt von der Erfahrung aus Kriegs- und Notjahren, aber auch vom Erleben von Freude und Frohsinn bei Feuerwehrball und Schützenfest. Sie sprach gern, redete viel, aber sie schwätzte nie. Jedes Wort war mit Bedacht gewählt. Jede Botschaft – gerade den Enkeln gegenüber – lehrreich.
Während der Opa alles erklären konnte, regelte sie vieles. Er gab von unten lautstark die besten Hinweise, während die Kameraden der Feuerwehr die Leiter erklommen. Sie brannte „stickum“ (ein Wort, das übrigens aus dem Jiddischen entlehnt ist und so viel heißt wie „klammheimlich“) den Schnaps, wenn in der kargen Nachkriegszeit das Hochprozentige fehlte. Und klagte einmal jemand in Familie oder Nachbarschaft darüber, dass es anderen deutlich besser ergehe, mahnte sie (auf Platt, hier übersetzt) zur Zufriedenheit: „Guck dich bloß nicht arm.“
Was sie damit meinte? Wer immerzu allein aus dem Vergleich mit seinen Mitmenschen ableitet, wie gut oder schlecht es ihm geht, macht sich im Zweifel ärmer, als er tatsächlich ist. Gleichzeitig war ihr wichtig, den kleinen, eigenen, hart erarbeiteten Wohlstand nicht protzig zu präsentieren. Ihren Enkeln gab sie Kirmesgeld in Münzen und kleinen Scheinen, immer verbunden mit der sanften Mahnung: „Zahle nie mit großem Geld!“
Viel hatte sie nicht, denn Opa war schon mit 59 Jahren gestorben. Was sie sparte, steckte sie an Weihnachten, Namenstag und eben Kirmes ihren Lieben zu. Ihre Sorge galt stets der Familie. Weil ich dem allzu großzügigen Großvater ähnlich schien, gab sie mir mit auf den Weg: „Pass auf, sonst verlierst du das gebettelte Brot aus dem Korb!“
Manchmal habe ich mich mit ihr gezankt, hatten wir in der Küche kleine Wortgefechte. Wenn meine Mutter dazu kam und ob der Lautstärke intervenieren wollte, sprach Oma plötzlich hochdeutsch: „Wir haben uns nur unterhalten.“Meist wollte ich aber das sein, was sie in mir sah – ihr lieber Junge.
Schon als Knirps habe ich wohl versucht, sie gnädig zu stimmen, wenn sie mal Anlass hatte, mit mir zu schimpfen. Überliefert sind Augenaufschlag und Anmerkung, mit der ich das Zerdeppern ihrer Gartenzwerge zu relativieren suchte: „Guck mal, Oma, der kann noch ein ganz klein bisschen sehen …“Auf einer Scherbe war noch ein Äuglein des Tonnmännleins zu erkennen. Oma hat geschmunzelt und mir verziehen. Sie konnte Worte deuten.