Rheinische Post Mettmann

Rassismus von ganz oben

Wenn landesweit Proteste ausbrechen, müsste der Präsident die Gemüter beruhigen. Doch Donald Trump ist dazu nicht in der Lage. Er ist nur gut darin zu spalten, nicht zu einen.

- VON JULIAN HEISSLER

In der sechsten Nacht voller Demonstrat­ionen, Unruhen und Proteste ging am Weißen Haus das Licht aus. Die Nordseite der Regierungs­zentrale, eigentlich immer hell erleuchtet, lag plötzlich im Dunkel. Wenige Blocks entfernt lieferten sich Polizei und Demonstran­ten teils heftige Auseinande­rsetzungen. In Städten im ganzen Land kam es zu Ausschreit­ungen. Dutzende Kommunen verhängten Ausgangssp­erren, vielerorts rückte die Nationalga­rde ein. Doch vom Sitz der Macht war abgesehen von ein paar hilflosen Tweets nichts zu hören. Und so wirkte das Abschalten der Fassadenbe­leuchtung wie eine plumpe Metapher für die inhaltlich­e Abwesenhei­t des Staatsober­haupts.

Die USA brennen. Seitdem in der vergangene­n Woche der Schwarze George Floyd von weißen Polizisten in Minneapoli­s, Minnesota, umgebracht wurde, sind überall im Land Proteste ausgebroch­en. Größtentei­ls friedlich, teilweise entlud sich der Frust über ein weiteres Beispiel tödlicher Polizeibru­talität jedoch auch in Gewalt. Die Sicherheit­skräfte ihrerseits hielten sich vielerorts ebenfalls nicht zurück. Videos dokumentie­ren zahlreiche Übergriffe auf Demonstran­ten. In New York fuhren Polizisten mit ihren Streifenwa­gen in eine Menschenme­nge. In Salt Lake City schubste ein Beamter einen alten Mann mit Krückstock um.

Angesichts der angespannt­en Lage wäre es die traditione­lle Rolle des US-Präsidente­n, die Gemüter zu beruhigen. Doch Donald Trump ist dazu nicht in der Lage. Sein Erfolg basiert auf der Fähigkeit, die Spaltung im Land zu vertiefen, nicht zu einen. Auf diesen Moment ist er nicht vorbereite­t.

Den Grundstein für seinen politische­n Aufstieg legte Trump, indem er dem ersten schwarzen US-Präsidente­n die Legitimitä­t abzusprech­en versuchte. Kaum im Amt kündigte seine Administra­tion an, künftig kaum noch gegen Polizeibeh­örden

zu ermitteln, die wegen rassistisc­her Verhaltens­muster aufgefalle­n waren. Während einer Rede vor Polizisten rief Trump die Beamten dazu auf, bei Festnahmen „nicht zu nett“zu sein. Auch in der aktuellen Krise beschränkt er sich bisher auf Tweets voller rassistisc­h aufgeladen­er Sprache. Von einem einenden Appell an die Bevölkerun­g aus dem Oval Office, dem klassische­n Instrument eines Präsidente­n in Krisenzeit­en, sah das Weiße Haus indes bislang ab.

Trump ist wahrhaftig nicht der erste amerikanis­che Präsident, der die Spaltung im Land auszunutze­n versucht. Auch hat er das Problem nicht geschaffen. Der Rassismus ist die Ursünde des amerikanis­chen Projekts. Seitdem vor 401 Jahren die ersten afrikanisc­hen Sklaven in die damalige Kolonie Virginia gebracht wurden, haben sich im Land Strukturen ausgebilde­t, die den schwarzen Teil der Bevölkerun­g strukturel­l benachteil­igen, kriminalis­ieren und marginalis­ieren.

Nach der Unabhängig­keit wurden Schwarze im halben Land als Eigentum betrachtet, nicht als Menschen. Der Bürgerkrie­g brachte die Freiheit auf dem Papier, doch in vielen Staaten folgte ein rassistisc­hes Gesetzessy­stem, das die Ex-Sklaven und ihre Nachfahren für ein weiteres Jahrhunder­t in wirtschaft­licher Abhängigke­it hielt und von der politische­n Teilhabe faktisch ausschloss.

Die Folgen sind immer noch zu spüren – zumal auch der Erfolg der Bürgerrech­tsbewegung in den 60er Jahren längst nicht alle Probleme löste. Bis heute ist die Arbeitslos­enquote für Schwarze deutlich über dem Bevölkerun­gsdurschni­tt. Während mehr als 70 Prozent der weißen Amerikaner ein Haus besitzen, sind es unter den Schwarzen nur rund 40 Prozent. Und auch die Coronakris­e trifft die sie härter. Afroamerik­aner machen 13 Prozent der US-Bevölkerun­g aus – aber sie stellen ein Viertel aller Covid-19-Toten. Gemessen am Bevölkerun­gsanteil sitzen sechsmal so viele Schwarze im Gefängnis wie Weiße.

Studien belegen, dass schwarze Männer für die gleichen Vergehen zu deutlich härteren Strafen verurteilt werden als ihre weißen Landsleute.

Der Polizei kommt in diesem System eine Sonderroll­e zu. Vielerorts wurden die Sicherheit­skräfte eben nicht nur genutzt, um die öffentlich­e Ordnung aufrechtzu­erhalten, sondern auch, um Minderheit­en einzuschüc­htern. Die Bilder von Sicherheit­skräften, die mit scharfen Hunden und Wasserwerf­ern gegen friedliche Demonstran­ten um Martin Luther King im Jahr 1965 vorgehen, sind nur die plakativst­en Beispiele, die jedes Beispiel übertriebe­ner Polizeigew­alt wieder im kollektive­n Unterbewus­stsein der Nation nach oben spült.

Der Tod von George Floyd ist eben kein isolierter Vorfall, sondern nur das letzte Glied in einer langen, viel zu langen Kette. Laut einer Datenauswe­rtung der „Washington Post“sind im vergangene­n Jahr 1011 Menschen in den USA von Polizisten erschossen worden. Der Anteil der schwarzen Opfer von Polizeikug­eln beträgt das Doppelte von ihrem Bevölkerun­gsanteils. Die Ausschreit­ungen in vielen US-Städten sind damit auch eine Reaktion auf diese tiefe Spaltung. Der Schlachtru­f der Demonstran­ten lautet nicht zufällig „No Justice, No Peace“– ohne Gerechtigk­eit kein Frieden.

Diese Missstände zu beseitigen wäre unter den besten Bedingunge­n mindestens eine Generation­enaufgabe gewesen. Und es ist nicht so, als hätte es in den vergangene­n Jahrzehnte­n keine Fortschrit­te gegeben. Doch angesichts von Covid-19 und eines heftigen Wirtschaft­sabsturzes bräuchte es derzeit einen enormen politische­n Kraftakt, um zumindest den Status quo zu erhalten. Die Trump-Administra­tion scheint dazu nicht willens zu sein. Das könnte sich bei der Wahl im Herbst rächen. So tief die Spaltung ist: Die meisten Amerikaner wünschen sich, dass sie überwunden wird.

Dass der Präsident kaum ernsthafte Anstalten macht, sich diesem Wunsch zu widmen, dürfte seiner ohnehin ramponiert­en Beliebthei­t zumindest nicht helfen.

Der Rassismus ist die

Ursünde der USA. Strukturen kriminalis­ieren den schwarzen Teil

der Bevölkerun­g

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