Videokonferenz statt Straßenwahlkampf
Die Pandemie wirkt sich auch massiv auf die Kommunalwahl im September aus. Besonders die Herausforderer müssen ihre Planungen und Konzepte anpassen. Soziale Medien werden noch wichtiger.
DÜSSELDORF Ein Tag von Guido Winkmann müsste eigentlich 36 Stunden haben. Oder noch viel mehr. Der dreifache Familienvater, Bundesliga-Schiedsrichter und Polizist des Landeskriminalamtes (LKA) aus Kerken führt schon seit Jahren ein rastloses Leben. Nun kandidiert er auch noch für das Amt des Landrats im Kreis Kleve; als Unabhängiger ohne mächtigen Parteiapparat im Rücken. Sein typischer Tagesablauf zurzeit: Frühmorgens aufstehen, Homeoffice für das LKA, mittags fährt er teilweise nach Düsseldorf ins LKA, dazwischen betreut er seine Kinder und macht mit ihnen Hausaufgaben.
„Hinzu kommen die täglichen Besprechungen mit meinem Wahlkampfteam, Termine organisieren, sich über aktuelle Entwicklungen im Kreis Kleve auf dem Laufenden halten“, sagt Winkmann. Interviews führt er schon einmal auf Raststätten an der Autobahn – auf dem Weg von einem Job zum nächsten. Und am Wochenende ist natürlich immer Fußballbundesliga – entweder ist er als Schiedsrichter live im Stadion oder als Videoschiedsrichter in Köln. „Ich bin da ehrlichdas ist ein Drahtseilakt“, sagt der 46-Jährige.
Noch sind es ein paar Monate bis zum 13. September, dem Tag, an dem in Nordrhein-Westfalen unter anderem neue Landräte und Stadtoberhäupter gewählt werden. Der heiße Wahlkampf hat noch nicht begonnen; und auch die Sommerferien liegen noch dazwischen. Dennoch bereiten sich allerorts die Kandidaten vor – und sie alle stehen wegen der Pandemie diesmal vor besonderen Herausforderungen, die ihnen auch Improvisationstalent abverlangen. Es wird keinen üblichen Straßenwahlkampf mit Ständen geben, große Veranstaltungen mit viel Publikum dürften ebenfalls ausfallen.
„Ich musste ziemlich viel von meinen Planungen einstampfen, eigentlich sogar bislang fast alles“, sagt Ingo Brohl (44), der für die Christdemokraten das Amt des Landrats im Kreis Wesel holen will. „Mein Terminkalender ist von maximal voll auf total leer gefallen“, sagt er. Natürlich habe er sich den Wahlkampf noch vor wenigen Wochen vollkommen anders vorgestellt. „Der lebt ja vor allem von persönlichen Kontakten. Ich bin gerne unter Menschen, gerne an Infoständen“, sagt der Familienvater aus Moers.
Dennoch nimmt der CDU-Mann wahr, dass sich die Lage allmählich wieder etwas normalisiert. Terminanfragen kämen wieder rein, etwa Hofbesichtigungen bei Unternehmen in der Landwirtschaft. „Das fängt jetzt langsam wieder an“, sagt Brohl. Aber natürlich alles mit dem gebotenen Sicherheitsabstand und Masken“, sagt er. Der Wahlkampf verlagert sich wegen Corona noch mehr als ohnehin schon ins Internet. „Digitales, soziale Medien, Videokonferenzen nehmen weitaus mehr Platz ein als geplant“, sagt Brohl.
Das kann auch Felix Heinrichs bestätigen. Als 30-Jähriger will er SPD-Oberbürgermeister von Mönchengladbach werden. „Über Nacht konnte man gar nichts mehr machen. Das ist schon ein krasses Gefühl gewesen, und wir mussten alles über den Haufen werfen“, sagt Heinrichs. Er glaubt, dass die ungewohnte Situation für alle Kandidaten mit einigen Nachteilen behaftet ist. „Weil es heutzutage sehr wichtig ist, dass die Menschen einen persönlich kennen; die wenigsten gehen ja noch nach Partei“, sagt er.
Darum sei es jetzt wichtig, sich vor Ort noch bekannter zu machen, präsent zu sein. „Deswegen machen wir relativ viel online – etwa eine digitale Mittagspause, wo die Bürger teilnehmen und mit mir in Kontakt kommen können“, sagt der 30-Jährige. Aber es gebe auch noch einige Termine, allerdings im deutlich kleineren Rahmen als üblich in einem Wahlkampf. „Ich gehe Menschen gezielt besuchen, zum Beispiel Geschäftsinhaber. Mit denen spreche ich dann über die Probleme, die sie haben“, so der Sozialdemokrat.
Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hat die Corona-Krise bereits ein großes Loch in ihren Kampf um das Amt der Oberbürgermeisterin in Düsseldorf gerissen. Wenn die Pandemie nicht dazwischen gekommen wäre, hätten sie und ihr Team längst mit dem Wahlkampf begonnen: „Wir hatten die ersten Aktionen im März geplant, mussten dann aber alles sein lassen“, sagt Strack-Zimmermann.
Der Wahlkampfauftakt fand nun erst vergangenen Samstag statt, mit einer Aktion auf der Straße – selbstverständlich mit Mundschutz und mit Hygiene-Sicherheitsabstand. Strack-Zimmermann lädt Videos der Aktion anschließend auf ihrem Instagram-Account hoch, für die, die nicht dabei waren, weil sie nicht wollten oder nicht konnten. Ein rein digitaler Wahlkampf käme für Strack-Zimmermann in der Corona-Krise aber nicht in Frage. „Ich merke, dass die Menschen das Bedürfnis dazu haben, mit einem zu sprechen.“
Dieser Wahlkampf wird ein ganz anderer, meint auch Bodo Hombach, ehemaliger Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder und Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik. „Er wird durch die Zwänge weniger personell sein.“Durch die Not, den unmittelbaren Kontakt zu vermeiden, verstärke sich der Trend unter den Kandidaten, den Wahlkampf größtenteils ins Netz zu verlegen. Das berge seiner Meinung nach aber auch Gefahren.
Ihm seien die Inhalte noch zu werblich, es fehle bei vielen Kandidaten an konzeptioneller Überlegung und Struktur. „Wenn Wahlkampfagenturen glauben, das Netz sei nur eine andere Plakatwand, dann irren sie sich.“
Das Internet sei heutzutage kein Medium der Überzeugung und Glaubwürdigkeit mehr, sagt Hombach. 50 bis 60 Prozent der Wähler seien ambivalent, wüssten also nicht, wo sie stehen und wen sie wählen sollen. „Diese Gruppe der Verunsicherten ist natürlich eine, die Ansprache und ein Motiv braucht, um bei einer Partei zu bleiben oder zu einer anderen zu gehen.“Das fehle im Netz aber bislang. Ein Video mit einem kleinem Statement dazu, dass etwas städtebaulich verändert werden muss oder dass die Papierkörbe in der Stadt nicht überquellen dürfen, würde bereits reichen, meint Hombach.
Celine Coldewe, mit 23 Jahren die jüngste Kandidatin der OB-Wahl in Düsseldorf, setzt neben klassischen Wahlkampfmaßnahmen auch stark auf soziale Medien. Durch die Corona-Krise sind sie und ihre erst im Februar gegründete Partei „Klimaliste“aber in die Bredouille gekommen. „Ein großer Teil von uns hatte sich beim Einsetzen der Lockdown-Regelung nur zwei bis drei Mal gesehen. Jetzt treffen wir uns regelmäßig per Telefonkonferenz und arbeiten vor allem über Online-Plattformen.“
Doch die digitalen Treffen bergen Schwierigkeiten – vor allem, wenn es um Entscheidungen geht. Ihre Wahl zur Kandidatin bei der Aufstellungsversammlung vom April mussten Coldewe und ihr Team einen Monat später wiederholen. Die Landeswahlleitung hatte die digital abgehaltene Wahl nicht akzeptiert. Für den weiteren Verlauf des Wahlkampfes hofft Coldewe deshalb auf Unterstützung seitens der Landesregierung.