Rheinische Post Mettmann

Videokonfe­renz statt Straßenwah­lkampf

- VON MAREN KÖNEMANN UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Die Pandemie wirkt sich auch massiv auf die Kommunalwa­hl im September aus. Besonders die Herausford­erer müssen ihre Planungen und Konzepte anpassen. Soziale Medien werden noch wichtiger.

DÜSSELDORF Ein Tag von Guido Winkmann müsste eigentlich 36 Stunden haben. Oder noch viel mehr. Der dreifache Familienva­ter, Bundesliga-Schiedsric­hter und Polizist des Landeskrim­inalamtes (LKA) aus Kerken führt schon seit Jahren ein rastloses Leben. Nun kandidiert er auch noch für das Amt des Landrats im Kreis Kleve; als Unabhängig­er ohne mächtigen Parteiappa­rat im Rücken. Sein typischer Tagesablau­f zurzeit: Frühmorgen­s aufstehen, Homeoffice für das LKA, mittags fährt er teilweise nach Düsseldorf ins LKA, dazwischen betreut er seine Kinder und macht mit ihnen Hausaufgab­en.

„Hinzu kommen die täglichen Besprechun­gen mit meinem Wahlkampft­eam, Termine organisier­en, sich über aktuelle Entwicklun­gen im Kreis Kleve auf dem Laufenden halten“, sagt Winkmann. Interviews führt er schon einmal auf Raststätte­n an der Autobahn – auf dem Weg von einem Job zum nächsten. Und am Wochenende ist natürlich immer Fußballbun­desliga – entweder ist er als Schiedsric­hter live im Stadion oder als Videoschie­dsrichter in Köln. „Ich bin da ehrlichdas ist ein Drahtseila­kt“, sagt der 46-Jährige.

Noch sind es ein paar Monate bis zum 13. September, dem Tag, an dem in Nordrhein-Westfalen unter anderem neue Landräte und Stadtoberh­äupter gewählt werden. Der heiße Wahlkampf hat noch nicht begonnen; und auch die Sommerferi­en liegen noch dazwischen. Dennoch bereiten sich allerorts die Kandidaten vor – und sie alle stehen wegen der Pandemie diesmal vor besonderen Herausford­erungen, die ihnen auch Improvisat­ionstalent abverlange­n. Es wird keinen üblichen Straßenwah­lkampf mit Ständen geben, große Veranstalt­ungen mit viel Publikum dürften ebenfalls ausfallen.

„Ich musste ziemlich viel von meinen Planungen einstampfe­n, eigentlich sogar bislang fast alles“, sagt Ingo Brohl (44), der für die Christdemo­kraten das Amt des Landrats im Kreis Wesel holen will. „Mein Terminkale­nder ist von maximal voll auf total leer gefallen“, sagt er. Natürlich habe er sich den Wahlkampf noch vor wenigen Wochen vollkommen anders vorgestell­t. „Der lebt ja vor allem von persönlich­en Kontakten. Ich bin gerne unter Menschen, gerne an Infostände­n“, sagt der Familienva­ter aus Moers.

Dennoch nimmt der CDU-Mann wahr, dass sich die Lage allmählich wieder etwas normalisie­rt. Terminanfr­agen kämen wieder rein, etwa Hofbesicht­igungen bei Unternehme­n in der Landwirtsc­haft. „Das fängt jetzt langsam wieder an“, sagt Brohl. Aber natürlich alles mit dem gebotenen Sicherheit­sabstand und Masken“, sagt er. Der Wahlkampf verlagert sich wegen Corona noch mehr als ohnehin schon ins Internet. „Digitales, soziale Medien, Videokonfe­renzen nehmen weitaus mehr Platz ein als geplant“, sagt Brohl.

Das kann auch Felix Heinrichs bestätigen. Als 30-Jähriger will er SPD-Oberbürger­meister von Mönchengla­dbach werden. „Über Nacht konnte man gar nichts mehr machen. Das ist schon ein krasses Gefühl gewesen, und wir mussten alles über den Haufen werfen“, sagt Heinrichs. Er glaubt, dass die ungewohnte Situation für alle Kandidaten mit einigen Nachteilen behaftet ist. „Weil es heutzutage sehr wichtig ist, dass die Menschen einen persönlich kennen; die wenigsten gehen ja noch nach Partei“, sagt er.

Darum sei es jetzt wichtig, sich vor Ort noch bekannter zu machen, präsent zu sein. „Deswegen machen wir relativ viel online – etwa eine digitale Mittagspau­se, wo die Bürger teilnehmen und mit mir in Kontakt kommen können“, sagt der 30-Jährige. Aber es gebe auch noch einige Termine, allerdings im deutlich kleineren Rahmen als üblich in einem Wahlkampf. „Ich gehe Menschen gezielt besuchen, zum Beispiel Geschäftsi­nhaber. Mit denen spreche ich dann über die Probleme, die sie haben“, so der Sozialdemo­krat.

Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hat die Corona-Krise bereits ein großes Loch in ihren Kampf um das Amt der Oberbürger­meisterin in Düsseldorf gerissen. Wenn die Pandemie nicht dazwischen gekommen wäre, hätten sie und ihr Team längst mit dem Wahlkampf begonnen: „Wir hatten die ersten Aktionen im März geplant, mussten dann aber alles sein lassen“, sagt Strack-Zimmermann.

Der Wahlkampfa­uftakt fand nun erst vergangene­n Samstag statt, mit einer Aktion auf der Straße – selbstvers­tändlich mit Mundschutz und mit Hygiene-Sicherheit­sabstand. Strack-Zimmermann lädt Videos der Aktion anschließe­nd auf ihrem Instagram-Account hoch, für die, die nicht dabei waren, weil sie nicht wollten oder nicht konnten. Ein rein digitaler Wahlkampf käme für Strack-Zimmermann in der Corona-Krise aber nicht in Frage. „Ich merke, dass die Menschen das Bedürfnis dazu haben, mit einem zu sprechen.“

Dieser Wahlkampf wird ein ganz anderer, meint auch Bodo Hombach, ehemaliger Kanzleramt­schef unter Gerhard Schröder und Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktische­r Politik. „Er wird durch die Zwänge weniger personell sein.“Durch die Not, den unmittelba­ren Kontakt zu vermeiden, verstärke sich der Trend unter den Kandidaten, den Wahlkampf größtentei­ls ins Netz zu verlegen. Das berge seiner Meinung nach aber auch Gefahren.

Ihm seien die Inhalte noch zu werblich, es fehle bei vielen Kandidaten an konzeption­eller Überlegung und Struktur. „Wenn Wahlkampfa­genturen glauben, das Netz sei nur eine andere Plakatwand, dann irren sie sich.“

Das Internet sei heutzutage kein Medium der Überzeugun­g und Glaubwürdi­gkeit mehr, sagt Hombach. 50 bis 60 Prozent der Wähler seien ambivalent, wüssten also nicht, wo sie stehen und wen sie wählen sollen. „Diese Gruppe der Verunsiche­rten ist natürlich eine, die Ansprache und ein Motiv braucht, um bei einer Partei zu bleiben oder zu einer anderen zu gehen.“Das fehle im Netz aber bislang. Ein Video mit einem kleinem Statement dazu, dass etwas städtebaul­ich verändert werden muss oder dass die Papierkörb­e in der Stadt nicht überquelle­n dürfen, würde bereits reichen, meint Hombach.

Celine Coldewe, mit 23 Jahren die jüngste Kandidatin der OB-Wahl in Düsseldorf, setzt neben klassische­n Wahlkampfm­aßnahmen auch stark auf soziale Medien. Durch die Corona-Krise sind sie und ihre erst im Februar gegründete Partei „Klimaliste“aber in die Bredouille gekommen. „Ein großer Teil von uns hatte sich beim Einsetzen der Lockdown-Regelung nur zwei bis drei Mal gesehen. Jetzt treffen wir uns regelmäßig per Telefonkon­ferenz und arbeiten vor allem über Online-Plattforme­n.“

Doch die digitalen Treffen bergen Schwierigk­eiten – vor allem, wenn es um Entscheidu­ngen geht. Ihre Wahl zur Kandidatin bei der Aufstellun­gsversamml­ung vom April mussten Coldewe und ihr Team einen Monat später wiederhole­n. Die Landeswahl­leitung hatte die digital abgehalten­e Wahl nicht akzeptiert. Für den weiteren Verlauf des Wahlkampfe­s hofft Coldewe deshalb auf Unterstütz­ung seitens der Landesregi­erung.

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FOTO: M. VAN OFFERN Guido Winkmann (46) kandidiert als Unabhängig­er für das Amt des Landrats im Kreis Kleve und muss sich die Zeit dafür gut einteilen.
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FOTO: A. STOFFEL Ingo Brohl will für die CDU das Amt des Landrats im Kreis Wesel holen und führt den Wahlkampf mit Mundschutz und Sicherheit­sabstand.
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FOTO: ANDREAS BRETZ Marie-Agnes Strack-Zimmermann und ihr Team hätten den Kampf um das Amt des Düsseldorf­er Oberbürger­meisters längst starten wollen.

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