Musik schafft Nähe trotz Abstand
Nur 100 Zuhörer durften in der Tonhalle das Pfingstkonzert der Düsseldorfer Symphoniker verfolgen.
Ein Beinah-Geisterkonzert hätte es werden können. 100 Besucher in der Tonhalle, die exakt 1854 Plätze aufweist, gehen förmlich unter. Und das wirkte zunächst wahrlich gespenstisch. Doch dann kam es auf geheimnisvolle Weise anders bei der Wiedereröffnung mit den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Adam Fischer. Denn eine Macht, die integrierende Kräfte besitzt, war ja mit von der Partie: die Musik.
Das Ankommen (mit Maske) und die ersten Augenblicke wirkten allerdings ernüchternd: Leere Reihen prägten das Bild, als zum ersten Mal nach zehn Wochen Schließung der Saal wieder erleuchtet und fürs öffentliche Musizieren freigegeben war. Das Publikum saß ausschließlich auf dem Rang, meist in Zweiergrüppchen, die deutlich voneinander getrennt waren. Dadurch machte auch der Rang noch einen
Ein derart auseinandergezupftes Orchester kann keine gute Dauerlösung sein
leicht verwaisten Eindruck. Doch das Hygiene-Konzept zum Schutz vor den Corona-Viren ließ eine größere Zahl von Hörern nicht zu.
Chef-Dirigent Fischer hatte abermals Stücke von Joseph Haydn und Gustav Mahler aufs Programm gesetzt. Bis auf Haydns „Abschiedssymphonie“, die in der zweiten Konzerthälfte erklang, gab es nur Einzelsätze: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“aus Haydns „Sieben letzten Worten“und das Adagietto aus Mahlers Fünften Symphonie. Die Besetzung passte aufgrund der Abstands-Vorschriften nicht ganz aufs Podium. Darum war das ganze 1. Parkett in die Musiker-Aufstellung einbezogen. Der Dirigent hatte sein Pult ebenfalls im Parkett-Bereich und stand dabei nicht vor dem Orchester, sondern mitten drin. Das hatte etwas von einer sonderbaren Inszenierung.
Das Orchester spielte unterdessen sehr konzentriert, feinnervig, aber anfangs noch unterkühlt. Darum klang alles zunächst wie es aussah: distanziert. Dass ein derart auseinandergezupftes Orchester keine gute Dauerlösung sein kann, zeigte sich vor allem nach der Umbaupause als die kleiner besetzte
Haydn-Symphonie aufgeführt wurde. Da saßen zumindest alle Spieler wieder ausschließlich auf dem Podium. Und das Zusammenspiel entwickelte mehr Dynamik und Wärme. Dann war die optische Leere im Saal wie kompensiert durch die musikalische Interaktion der Spieler.
Fischers setzte wieder einmal alle Akzente so zielsicher, dass alle Pointen, die Haydn in seiner Partitur platziert hatte, zündeten wie kleine Feuerwerkskörper. Und davon gibt es in dem Opus viele – abgesehen vom leicht theatralischen Schluss-Gag. Dieser besteht in der Abschiedssymphonie darin, dass während des Finalsatzes ein Musiker nach dem anderen plötzlich abbricht und mit seinem Instrument vom Platz geht. Hier nun löschte auch jeder Instrumentalist sein Pultlicht. Und die Tonhallen-Techniker dimmten zusätzlich die Podiumsbeleuchtung. Der Anblick der immer dünner besiedelten Bühne passte zu unserer Zeit der Abstandsregeln auf zugleich ironische und melancholische Weise.
Das ganze Programm dauerte kaum mehr als eine Stunde inklusive Pause, die man aber im Saal verbringen musste. Ausgefüllt wurde die Zeit des leisen Umbauens mit einem Interview, das Tonhallen-Intendant Michael Becker mit Adam Fischer führte. Wann er das letzte Mal vor dem Shutdown dirigiert habe, lautete eine Frage: Das sei in der Tonhalle gewesen mit Mahlers „Sechsten“, sagte Fischer. Danach sei schon alles abgesagt gewesen. Wagners „Ring“in Wien und ein Abend in der Mailänder Scala.
Der Eröffnungsnachmittag endete mit langem Beifall der wenigen ausgelosten treuen Stammgäste, die wegen der Absagen nicht ihr Geld zurückverlangt hatten. Doch so groß die Freude über das Live-Erlebnis auch war: Man verließ doch etwas beklommen die Tonhalle mit der Erinnerung an die Zeit des vollen Hauses.