Theater macht Kinder und Jugendliche mutig
Das Junge Schauspiel braucht auch die Schulen als Einfallstor zu allen sozialen Gruppen der Gesellschaft.
Wenn Robert Pitz über das Junge Schauspiel spricht, geraten seine Ausführungen zur Liebeserklärung. In zwei Sekunden ist er von null auf hundert. Man kann ihn sich gut vorstellen nach einem gelungenen Theaterabend im Foyer, wo er kurz innehält, um das Bühnengeschehen nachhallen zu lassen, bevor er an der Garderobe seinen Mantel holt. Jetzt, da die Theater noch fürs Publikum verschlossen sind, schwärmt er noch ein bisschen glühender als sonst. Dabei macht ihn die Zwangspause gar nicht so unglücklich. Dankbar ist er für die vielen schönen Momente, die er schon erleben durfte.
Robert Pitz leidet, weil er weiß, dass seine Kinder leiden: Das sind die Schüler der Franz-Marc-Schule, wo er unterrichtet. An der Förderschule werden Kinder und Jugendliche mit geistiger Beeinträchtigung in individuellen Lernprozessen unterstützt. In ihrem Fall ist es komplizierter, ein Freizeit- und Kulturerleben selbstbestimmt zu gestalten. Sie müssen zunächst lernen, ihre Bedürfnisse einzufordern. Diesem Impuls nachzugeben, kostet Kraft.
Das Theater, sagt Pitz, macht Kinder
und Jugendliche mutig. „Die Schüler erleben im Jungen Schauspiel Utopien und Gefühle, Gleichheit. Auf sie schweben Fragen zu, nach denen sie greifen können. Ganz ohne Druck: Möchtest du über dich nachdenken? Das helfe ihnen, sich darüber Gedanken zu machen, wohin der Weg gehen kann. Das Theater sei ein wichtiger außerschulischer Lebensbereich für sie geworden.
Spätestens alle zwei Monate macht Pitz sich mit manchmal mehr als 30 Schülern auf zur Münsterstraße. Der Lehrplan schreibt einen Theaterbesuch pro Schuljahr vor. Pitz organisiert Karten für Vorstellungen an seinen freien Samstagen und nimmt auch Jugendliche seiner früheren Schule für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen mit. „Sie lernen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen und sich eine Karte an der Theaterkasse zu kaufen. Während der Vorstellung kommunizieren sie auf ihre Weise mit den Schauspielern, die die Zugewandtheit so wunderbar zurückgeben.“Das Junge Schauspiel sei den Jugendlichen ein Wohlfühlort geworden, und jetzt, da er ihnen nicht zugänglich ist, ist es schwer. „Vereinsamung ist im Leben all unserer Schüler ein Risiko.“
Kinderarzt Josef Kahl hält den Theaterbesuch für einen „nicht zu unterschätzenden Bildungsbaustein“im Leben aller Kinder. „Es fördert die Intelligenz und die kommunikativen Fähigkeiten, und es stellt Fragen.“Deswegen unterstützt er schon lange die Aktion „Theater auf Rezept“. Dabei beschenken Kinderärzte ihre jungen Patienten mit Theatergutscheinen. Die aktuelle Zwangspause hält Kahl für „eine Katastrophe“. „Für die gedankliche Motivation der Kinder ist die fantasievolle Darstellung von Problemen und schönen Dingen, wie sie sie auf der Bühne erleben, wichtig.“Kinder müssten in Zeiten von Corona schon auf so vieles verzichten: Schule,
Freunde. „Das führt zu Traurigkeit.“Der 16 Jahre alte Ji-Hun Park, Schüler des Görres-Gymnasiums, spielt selbst Theater. Er ist Mitglied im Jugendclub des Schauspielhauses und war in der Peer-Gynt-Produktion der Bürgerbühne zu sehen. Alle zwei Wochen schaut er sich eine Vorstellung an und trifft Freunde im Theater. „Das fehlt mir. Natürlich kann man Stücke streamen oder sich einen Film anschauen, aber das ist nicht dasselbe. Ein Live-Erlebnis, bei dem die Schauspieler alles geben und auch scheitern können, ist unschlagbar.“Kathrin Kuchner, Lehrerin am Geschwister-Scholl-Gymnasium, unterrichtet das Fach „Darstellen und Gestalten“, das erst vor eineinhalb Jahren als Unterrichtsfach in NRW zugelassen wurde. Ein Themenschwerpunkt ist die darstellende Kunst. „Sich in eine andere Rolle hineinzufühlen, hilft bei der Ausbildung von Empathie und Toleranz.“
Stefan Fischer-Fels würde lieber heute als morgen wieder loslegen. Der Intendant des Jungen Schauspiels hat mittels Videokonferenzen Kontakt zu Schülern und Lehrern aufgenommen. „Wir wollten wissen, was sie brauchen und ob wir etwas für sie tun können. Wir gehören zur kulturellen Teilhabe und sind nicht nur für gute Zeiten da.“Mit dem Kultur- und dem Schulministerium wurde jetzt ein Konzept erarbeitet, das zumindest im Frühherbst wieder Begegnungen ermöglichen soll. „Die Schulen dürfen bis auf weiteres keine externen Angebote wahrnehmen. Wie lange die Verordnung gilt, weiß niemand. Es wird mobile Produktionen, etwa eine Variante des Stücks ,Ein Sommer in Sommerby‘, geben, die wir in Grundschul-Aulen zeigen können.“Das Theater brauche die Schulen, sie seien das Einfallstor zu allen sozialen Gruppen. „In Norwegen steht der Theaterbesuch im Schulgesetz, in Deutschland ist er eine freiwillige freundliche Geste.“