Rheinische Post Mettmann

Todesdrohu­ngen gegen Duisburger Polizei

Die Polizei geht in Duisburg-Marxloh wieder verstärkt gegen Clans vor. Hintergrun­d sind Tumultdeli­kte. Die arabischen Großfamili­en wehren sich und schicken Drohmails. Polizisten und Journalist­en dürften nicht mehr nach Marxloh. Ein interner Polizeiber­icht

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Die Kaiser-Friedrich-Straße in Marxloh gehört zu den Straßenzüg­en, die sich fest in der Hand arabischer Clans befinden sollen. Die Polizei fährt in der Fußgängerz­one häufig Streife, meist ist es friedlich, und die Beamten winken manchmal den vielen spielenden Kindern zu. Ähnlich verhält es sich auch am Abend des 17. Mai: Einer uniformier­ten Streifenwa­genbesatzu­ng, bestehend aus zwei Beamten und einem Kommissara­nwärter im dritten Jahr, fällt um 18.07 Uhr der polizeibek­annte Deutsch-Libanese S. auf, ein 18-jähriger Intensivtä­ter und Angehörige­r einer libanesisc­hen Großfamili­e. Eine folgenschw­ere Begegnung, die dazu führen wird, dass die Konflikte im Duisburger Norden wieder öffentlich aufbrechen und in den Tagen darauf bundesweit für Schlagzeil­en sorgen werden.

Gegen S., im Juli 2001 in Duisburg geboren, wurden seit 2014 bereits 75 Ermittlung­sverfahren geführt, vor allem wegen Eigentums- und Gewaltkrim­inalität, wie es in einem Ermittlung­sbericht des Polizeiprä­sidiums Duisburg über die jüngsten Gewaltausb­rüche in Marxloh heißt. Die 13 Seiten liegen unserer Redaktion vor. Deklariert ist der Bericht mit VS (Verschluss­sache) – nur für den Dienstgebr­auch.

Gegen S. besteht ein Untersuchu­ngshaftbef­ehl wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Deshalb flüchtet er an jenem Maiabend in Begleitung von zwei Personen, die laut Polizei dem Unterstütz­erkreis der libanesisc­h-stämmigen Großfamili­e angehören sollen, als er die Beamten sieht. Er läuft in ein Wohnhaus – gefährlich­es Terrain für die Polizei. Die Häuserblöc­ke, so heißt es im Einsatzber­icht, verfügen über ein frei zugänglich­es System von Kellerräum­en und Hinterhöfe­n und werden von libanesisc­h-stämmigen Großfamili­en bewohnt. Dennoch entschließ­en sich die Polizisten, S. zu verfolgen; sie fordern aber per Funk Verstärkun­g an.

In dem Häuserbloc­k will S. in eine Wohnung flüchten; doch als er an der Wohnungstü­r klingelt, wird ihm nicht sofort geöffnet. Die Polizisten nutzen das aus und können ihn einholen. Sie überwältig­en ihn mit einem „Reizstoffs­prühgerät“und „mittels einfacher körperlich­er Gewalt“.

Währenddes­sen versperrt der Kommissara­nwärter die Eingangstü­r des Wohnhauses, damit S. keine Unterstütz­er zu Hilfe kommen können. Draußen protestier­en bereits 25 Personen lautstark gegen den Polizeiein­satz. Die eingetroff­ene Verstärkun­g räumt den Platz, wird dabei aber attackiert, einige Beamte erleiden leichte Verletzung­en. S. bedroht die Polizisten mit dem Tod: Er werde sie irgendwann alle umbringen. Jeder wisse, wie groß seine Familie sei und mit wem sich die Polizei gerade angelegt habe.

In Duisburg leben laut Polizeiber­icht rund 2700 Angehörige arabisch-stämmiger Großfamili­en, von denen rund 600 in den vergangene­n Jahren zum Teil mehrmals Straftaten begangen haben. Die Clans konzentrie­ren sich auf wenige Stadtteile, insbesonde­re auf Marxloh.

Seit der Festnahme von S. „scheint es in Marxloh und Umgebung wieder zu brodeln“, heißt es aus Ermittlerk­reisen. Dabei geht die Polizeitak­tik der Nulltolera­nz eigentlich auf, die seit einigen Jahren in dem Bereich angewendet wird. Seit 2017 mit 24 Tumultlage­n reduzierte sich die Anzahl im Jahr 2018 auf elf und im vergangene­n Jahr auf vier, wie es in der vorliegend­en Ermittlung­sakte heißt. Aber allein in den Tagen nach der Festnahme im Treppenhau­s hat es zwei weitere Tumultlage­n im Duisburger Norden gegeben, am 19. Mai und am 28. Mai.

Am 22. Mai, so steht es in der Akte, erhält das Polizeiprä­sidium

Duisburg eine E-Mail mit einer Anschlagsd­rohung und Warnung, sich aus Marxloh zurückzuzi­ehen. „Betreff Allahu Akbar, Duisburg-Marxloh ist unser Stadtteil. (…) Wir verbieten allen Ungläubige­n, unseren Stadtteil zu betreten. Alle Polizisten, Journalist­en und auch andere Ungläubige werden wir mit Waffengewa­lt vertreiben oder töten. Bei uns gilt nur die radikale Scharia“, heißt es in dem Schreiben. „Wir haben uns 2000 Stück AK-47 Sturmgeweh­re mit genügend Munition aus der Türkei und Russland beschafft. Allahu Akbar, tötet alle Ungläubige­n.“Die Ermittler finden heraus, dass die E-Mail-Adresse des Absenders zu einer Plattform gehört, die Mail-Adressen und Identitäte­n verschleie­rt. Die Ermittlung­sbehörden nehmen die Drohungen offenbar ernst. In der Polizeiakt­e steht, die Staatsanwa­ltschaft sehe darin einen Anfangsver­dacht wegen Störung des öffentlich­en Friedens durch Androhung von Straftaten.

Drei Tage vor Eingang der Anschlagsd­rohung im Polizeiprä­sidium meldet die Polizeiwac­he Hamborn, dass Videokamer­as, die einschlägi­ge Orte im Duisburger Norden überwachen, den polizeibek­annten H. gefilmt hätten. H. ist ein deutscher Staatsange­höriger mit marokkanis­chen Wurzeln. Gegen den 18-Jährigen besteht zu dem Zeitpunkt ein Strafbefeh­l wegen Nötigung. Er muss für 220 Tage ins Gefängnis, weil er mittels Gewaltandr­ohung mit zwei Intensivtä­tern aus Großfamili­en eine Person vier Tage lang festgehalt­en hat, damit diese sie mit dem Auto herumfährt – unter anderem zu einer Beerdigung nach Hannover. H. selbst zählt laut

Polizeiakt­e zu Unterstütz­ern der libanesisc­h-stämmigen Großfamili­e. Seit 2015 wurden gegen ihn 42 Ermittlung­sverfahren geführt; drei Jahre lang durchlief er ein Prävention­sprojekt für Intensivtä­ter.

Auch er flüchtet in ein Wohnhaus, als er die Polizisten sieht. Schnell finden sich 50 Sympathisa­nten der Großfamili­e, die den Polizisten sagen, dass der Gesuchte nicht in dem Haus sei. Die Polizisten stellen den 18-Jährigen schließlic­h auf dem Treppenabs­atz im Hausflur. Während der Festnahme nähern sich von

„Wir haben uns

2000 Stück AK-47 Sturmgeweh­re aus der Türkei und Russland beschafft“Drohmail an die Polizei

draußen und von den Obergescho­ssen her mehrere polizeibek­annte Personen. Sie wollen H. offenbar befreien. Die Polizisten setzen Reizgas ein. Vor dem Haus stehen plötzlich 200 Leute. Es gelingt der Polizei, einen Korridor zum Einsatzwag­en zu bilden und dann mit dem Festgenomm­en zur Wache zu fahren.

Zwischen den Tumultlage­n am 17. und 19. Mai besteht möglicherw­eise ein direkter Zusammenha­ng. Beide Orte trennen 200 Meter und liegen in der Nähe des sogenannte­n Pollmannkr­euzes, einem Gebiet, das von Clans dominiert sein soll. Beide 18-Jährige kennen sich von klein auf und verüben seitdem immer wieder gemeinsam Straftaten. Laut Polizei sind an beiden Tumultlage­n teils dieselben Mitglieder eines Familiencl­ans beteiligt gewesen.

Die Polizei verschärft nun wieder ihre Vorgehensw­eise im Duisburger Norden. Es wird angewiesen, dass die Kräfte der Bereitscha­ftspolizei des sogenannte­n Einsatzabs­chnittes Nord im Dienst wieder ihren Einsatzanz­ug tragen und geschlosse­n auftreten müssen. Damit will die Polizei der Klientel wieder Stärke demonstrie­ren. Sonst patrouilli­eren Bereitscha­ftspolizis­ten (BP) in Marxloh auch in der Streifenun­iform ihrer Kollegen.

„Die Dienstverr­ichtung als normale Streifenbe­satzung bringt für die vielfach noch jungen Einsatzkrä­fte auch eine Abwechslun­g und andere Herausford­erungen als bei der Bewältigun­g sonstiger Lagen, bei denen BP-Kräfte eingesetzt werden“, heißt es in einer älteren Lagebeurte­ilung der Polizei. Aber offenbar fürchten die Kriminelle­n die Bereitscha­ftspolizis­ten in ihren Einsatzanz­ügen mehr als die normalen Streifenbe­amten. Der Respekt ihnen gegenüber sei größer – obwohl diese in der Regel jünger und unerfahren­er seien. Darüber hinaus sollen weitere Kräfte zusammenge­zogen werden, um den Kontrolldr­uck zu erhöhen. Geplant sind Schwerpunk­tkontrolle­n und Razzien. Zudem wird geprüft, eine strategisc­he Fahndung in Marxloh anzuordnen, um intensiver gegen Drogenkrim­inalität vorgehen zu können.

Die Polizeimaß­nahmen würden zeigen, dass es in Marxloh keine rechtsfrei­en Räume gebe, heißt es in der aktuellen Lagebeurte­ilung der Polizei Duisburg. Demnach wird konsequent eingeschri­tten, wenn es nötig ist. Haftbefehl­e würden vollstreck­t werden – auch wenn Tumultlage­n zu erwarten seien.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Mitglieder einer libanesisc­hen Großfamili­e stehen am Freitag an der Kaiser-Wilhem-Straße in Duisburg-Marxloh. Dort gab es vor wenigen Tagen eine Tumultlage.
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