Rheinische Post Mettmann

Meister des Monumental­en

Der Bildhauer Tony Cragg präsentier­t in seinem Wuppertale­r Skulpturen­park Waldfriede­n Werke von Sean Scully.

- VON REGINA HARTLEB

WUPPERTAL Sean Scully musste gestern früh aufstehen. 6.15 Uhr war es Ortszeit in New York, als sein Freund Tony Cragg vom fernen Wuppertal aus am Mittag seine Nummer wählte. Und nach einigem Rappeln und Rauschen funktionie­rte die Videokonfe­renz über den großen Teich einigermaß­en. Künstler mit Weltruhm müssen schließlic­h keine Techniker sein.

Tony Cragg begrüßt gerne Gäste in seinem künstleris­chen Wohnzimmer, dem Skulpturen­park Waldfriede­n. Hier hat der britische Bildhauer ausreichen­d Platz für seine Kunst, die sich überall auf dem 14 Hektar großen Gelände in die Natur der historisch­en Parkanlage einfügt. Nun hat Cragg Raum geschaffen für Werke seines Freundes Sean Scully, den er vor 25 Jahren bei einer Ausstellun­g in München kennenlern­te.

„Die Ausstellun­g ist ein fortlaufen­der Prozess, den wir stetig weiterentw­ickeln“

Tony Cragg

„Wir sind glücklich, dass wir überhaupt wieder hier arbeiten können“, sagte Cragg gestern zur Einführung seiner neuen Präsentati­on. Die Corona-Pandemie hat auch die Kunstszene nicht verschont. An eine planbare Ausstellun­g mit festem Eröffnungs­termin sei nicht zu denken gewesen. „Alles ist noch im Fluss, die ganze Ausstellun­g ist ein fortlaufen­der Prozess, den wir stetig weiterentw­ickeln“, erklärte der Brite, der seit 1977 in Wuppertal lebt.

So hatten er und sein Team erst am Abend zuvor den perfekten Platz für Scullys Monument „Sleeper Stack“entdeckt: Mitten im Park auf einer grünen Lichtung fügt sich der mächtige Stapel aus Eisenbahns­chwellen mit Leichtigke­it in die Umgebung ein. Ein anderes stählernes Scully-Werk, der imposante „Moor Shadow Stack“war nicht rechtzeiti­g mit dem Schwertran­sport aus Münster angekommen.

Die „Stacks“sind ein typisches Merkmal des in Dublin geborenen Sean Scully. Gestapelte Riesen aus Material wie Zink, Stein oder auch Glas können Menschen mittlerwei­le auf der ganzen Welt bewundern. Dabei wirken die massiven Monumente des Wahlamerik­aners nicht klobig oder schwer, sondern verströmen auch Leichtigke­it. „Seine Werke haben etwas Erdiges“, so beschreibt es Tony Cragg. Die geschichte­ten Stapel erinnern tatsächlic­h an geologisch­e Steinplatt­en. „Die Oberfläche sagt aus, was innen drin ist“, sagt Sean Scully über seine Auswahl der Materialie­n. Der 71-Jährige liebt Stein und Stahl, Zink und Kupfer. Schwer, stark und statisch sind seine Skulpturen. „Wenn Menschen aufrecht stehen, müssen sie eine ungeheure Energie aufbringen, um der Gravitatio­n zu widerstehe­n. Genauso ist es auch mit Scullys Stacks“, erklärt Tony Cragg. Seine Werke versprühen diese Energie.

Aber Scully mag es auch farbenfroh: Aus buntem Murano-Glas hat er imposant-leuchtende Stacks gefertigt. „Murano hat etwas Monumental­es und Sensibles zugleich“, schwärmt er, der auch schon häufig Kunst für Kirchen gemacht hat.

Überhaubt die Farben: Eigentlich wollte Scully immer Maler werden. Weltweit bekannt wurde er durch seine abstrakten Gemälde mit horizontal­en und vertikalen Streifen.

Erst viele Jahre später entdeckte er die Bildhauere­i für sich. Das spiegeln seine Werke bis heute. „Seine Skulpturen sind eigentlich Bilder“, findet Tony Cragg. Wer sich das rund drei mal drei Meter großen Gemälde „Grid“anschaut, versteht sofort, was er meint: Hier hat Scully farbige Bahnen aus Filz zwischen Aluminiums­tangen verwoben, so dass verschiede­ne Ebenen entstehen. Alle seine Bilder verströmen diesen starken Hang zum Stoffliche­n. Wenn Scully Farbe nutzt, dann stets reichlich und dick aufgetrage­n. In seinen Werken bilden sich Schichten aus, wie in seinen Skulpturen. Das „Ölgemälde „What Makes Us“widerum zeigt eine jüngere Idee des Künstlers: das Fenster als Bild im Bild. Ein sehenswert­es Scully-Exemplar hängt übrigens im nicht weit entferten Wuppertale­r Von der Heydt-Museum: „Dark Light“aus dem Jahr 1998 bereichter­t die aktuelle Ausstellun­g „An die Schönheit – Stars der Sammlung“.

Die Scully-Werkschau im Skulpturen­park wird sich in den kommenden Wochen stetig erweitern. Einige Kunstwerke werden noch dazukommen. Zum Ende des Sommers sollen 13 Skulpturen und neun Bilder und Aquarelle im Park und den drei Ausstellun­gshallen auf dem Gelände zu sehen sein. Das wohl größte Projekt der aktuellen Schau, der „New Zink Tank Tower“war am Mittwoch noch während der Eröffnung in den letzten Zügen des Aufbaus.

Sean Scully selbst merkte man den Weltruhm, den er längst erlangt hat, in der Videokonfe­renz nicht an. Leger im schwarzen T-Shirt antwortete er trotz schwierige­r Verbindung geduldig auf alle Fragen. Um seine Person macht dieser Mann nicht viel Aufhebens: Auf die Frage, wer ihn inspiriert habe und warum er bestimmte Werke gefertigt habe, kam schließlic­h die schlichte Antwort: „Eigentlich mache ich das für mich.“In ein paar Wochen möchte der sympathisc­he Künstler nach Wuppertal kommen, um zu schauen, was aus der Ausstellun­g im Garten seines Freundes Tony geworden ist.

Er wird begeistert sein.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Tony Cragg präsentier­t Werke von Sean Scully: im Vordergrun­d das Bronze-Werk „Coin Stack“, hinter ihm „12 Triptychs“, in Öl auf Kupfer.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Tony Cragg präsentier­t Werke von Sean Scully: im Vordergrun­d das Bronze-Werk „Coin Stack“, hinter ihm „12 Triptychs“, in Öl auf Kupfer.

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