„Es reicht nicht mehr, nicht rassistisch zu sein“
Ron Iyamu spielt am Düsseldorfer Schauspielhaus und setzt sich öffentlich gegen Fremdenfeindlichkeit ein – jetzt mehr denn je.
DÜSSELDORF Ron Iyamu, 28, geboren und aufgewachsen in Hannover, gehört zum festen Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses. Auf seinem Facebook-Account spricht sich der Schauspieler seit Jahren öffentlich gegen Rassismus aus – und steht plötzlich mehr denn je im Rampenlicht. „Ewig bekommt man für das Thema Rassismus nur Ignoranz, und nun wache ich morgens mit Anfragen für Demos und Interviews auf“, schreibt er nach den Ausschreitungen durch rassistische Polizeigewalt in den USA.
Herr Iyamu, nervt es Sie, dass plötzlich alle von Rassismus reden, oder sehen Sie die Aufmerksamkeit als Chance?
Ich sehe es eher als Chance. Es hat natürlich einen Beigeschmack, da sich jahrelang sehr wenig um das Thema gekümmert wurde. Es gibt Leute, die sich noch nie mit Rassismus beschäftigt haben und jetzt anfangen, auf Facebook oder Instagram Dinge zu posten, als hätten sie sich seit Jahren eingesetzt. Aber es ist wichtig, dass sich das Thema verbreitet, und wenn es dadurch Aufmerksamkeit bekommt, dann soll es so sein. Dann geht es auch nicht darum, wer damit angefangen hat oder wer schon länger dabei ist, sondern dass wir es schaffen, alle an einem Strang zu ziehen.
Was denken Sie als Deutscher, wenn Sie die Bilder von George Floyds Tod aus den USA sehen?
Iyamu Es sind, und da geht es vielen anderen in der schwarzen Community nicht anders, entsetzliche Bilder, die aber gleichzeitig nicht überraschen. Polizeigewalt in den Staaten gibt es schon lange, und seitdem es das Internet gibt, verbreiten sich diese Geschichten weltweit. Für jede schwarze Person, die Rassismus erlebt, sind das keine neuen Sachen. Überraschender war eher, dass es so große Aufmerksamkeit in den Medien bekommt.
Woran könnte das liegen?
Iyamu Diese Bilder sind noch viel eindeutiger als andere Videos von Polizeigewalt. Das kann man nicht mehr ignorieren oder sagen: Die Person war selber schuld. Solche Kommentare kommen ganz häufig bei ähnlichen Videos. Hier war das einfach anders, und es hat viele wachgerüttelt. Die Frage ist jetzt: Wie lange hält das an? Und ändert sich dadurch wirklich etwas?
Sehen Sie auch Parallelen zu Deutschland?
Iyamu Auch in Deutschland gab es Fälle, über die immer noch gestritten wird. Besondere Aufmerksamkeit hat ja der Fall Oury Jalloh in Dessau bekommen.
(Anmerkung der Redaktion: Oury Jalloh starb 2005 bei einem Brand in der Gewahrsamszelle eines Polizeireviers. Bis heute sind die Umstände nicht endgültig geklärt.)
Gleichzeitig sehe ich Parallelen darin, dass es auch Rassismus
beim Racial Profiling gibt.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Racial Profiling gemacht?
Iyamu Seit meinem 16. Lebensjahr wurde ich mindestens einmal im Jahr von der Polizei irgendwo rausgezogen. Einmal, als ich durch ein besser betuchtes Viertel gegangen bin, hat mich die Polizei angehalten und wollte meinen Ausweis sehen. Da kamen Erklärungen wie: In letzter Zeit wurde hier eingebrochen, wir kontrollieren verdächtige Personen. Da frage ich mich natürlich, warum die weiße Person fünf Meter weiter nicht verdächtig ist. Ich kann mich auch an eine Situation erinnern, da war ich 18 und stand vor einem Club, zwei Polizisten kamen auf mich zu und fragten nach meinem Ausweis, um mich herum zehn weiße Personen. Die wollten auch schon ihre Ausweise rausziehen, aber nur ich wurde kontrolliert. Ich fragte dann die Polizistin, was es damit auf sich hat. Sie meinte, in der Nähe wäre ein Auto aufgebrochen worden und dass die Täter-Beschreibung auf mich passt. Sie konnte aber beim besten Willen nicht sagen, warum die Beschreibung besser auf mich passen sollte als auf die Leute um mich herum. Da begreift man natürlich schnell: Es geht um die Hautfarbe. Das ist häufig passiert, hat aber nachgelassen. Ich habe beobachtet, dass ich seit der Geflüchtetenkrise mit meinem Hautton uninteressanter geworden bin für die Polizei und Leute, die noch dunkler sind als ich, herausgepickt werden.
Das klingt nach einem schwierigen
Verhältnis zur Polizei.
Iyamu Viele schwarze Personen in Deutschland haben Angst, mit der Polizei in Berührung kommen, weil es keinen Schutz gibt. Wenn ein Polizist oder eine Polizistin beschuldigt wird, dann gibt es interne Ermittlungen. Der Gedanke ist total abstrus, mich bei der Polizei zu beschweren, wenn ich einen Vorfall mit der Polizei hatte. Was vielen darum fehlt, ist eine Außenstelle, in der auch People of Color arbeiten, bei der man auch Polizistinnen und Polizisten anzeigen kann.
Ist es eher dieser strukturelle Rassismus, der weh tut, oder sind es unbedachte Bemerkungen im Alltag?
Iyamu Schwierig zu beantworten. Ich glaube, an Alltagsrassismus hat man sich auf eine ganz traurige Art und Weise gewöhnt. Der gehört
Für Weiße „Exit Racism“von Tupoka Ogette und „White Fragility“von Robin DiAngelo
Für Schwarze „Anleitung zum Schwarz sein“von Anne Chebu
Am Unterhaus des Düsseldorfer Schauspielhauses trifft sich regelmäßig das Kollektiv Schwarzes Haus und bietet einen Safe Space für Schwarze.
zum Leben dazu, der führt zu Mikro-Aggressionen, die einen immer weiter kaputt machen. Aber es schmerzen gerade die größeren Vorfälle, in denen ganz klar Rassismus passiert und ignoriert wird. Für ein Theaterstück haben wir mal Folterszenen gedreht, und ich habe einen Henker gespielt. Da kam nach Drehschluss einer der Kollegen auf mich zu, der hatte ein echtes Cuttermesser in der Hand und hielt es mir lächelnd in den Schritt. Er sagte: Wann schneiden wir dem – N-Wort – die Eier ab? Das sind Situationen, in denen sich Leute witzig fühlen, und ich mich frage: Wie kann es sein, dass ich mir solche Sachen auf der Arbeit anhören muss?
Erleben Sie das häufig in ihrem Beruf als Schauspieler?
Iyamu Ja, und ich glaube, dass das Theater noch viele rassistische und sexistische Strukturen innehat. Ein Regisseur hat mal ganz selbstverständlich gesagt: Der N-Wort macht jetzt das und das. Ich musste dann vor versammelter Mannschaft, als einziger Schwarzer im Raum, die Diskussion lostreten, dass man das N-Wort nicht mehr sagt. Da kommen dann so Argumente wie: Ich habe das schon immer gesagt, bis jetzt hat sich keiner beschwert. Und das von jemandem, der zu einer elitären Gruppe wie Theatermacherinnen und Theatermachern gehört. Solche Situationen sind es, die mich besonders verletzen.
Wie müde wird man, das immer wieder zu erklären?
Iyamu Sehr, sehr müde. Ich habe meine erste Rassismus-Erfahrung an meinem ersten Tag im Kindergarten gehabt und seitdem erlebe ich Rassismus. Es gibt echt Situationen, in denen kann ich nicht mehr. Das Gute ist, dass man sich durchs Internet mit anderen Betroffenen gut vernetzen kann.
Sich Rassismus abgewöhnen, ihn zu verlernen – geht das?
Iyamu Ja, ich glaube, dass man sein Verhalten abtrainieren kann. Gerade jetzt, wo es so viele Medien, so viele Bücher dazu gibt. Es dauert Jahre, und es ist schwierig, aber, wenn man bereit ist, sich die Argumente von Betroffenen anzuhören und zu lernen, dann ist es möglich, diese noch aus dem Kolonialismus stammende Denkstruktur loszuwerden. Mich erinnert das ganz häufig an Sexismus. Ich bin selbst mit Sexismus aufgewachsen, habe Sexismus inhaliert und Strukturen angenommen, bei denen ich irgendwann begriffen habe, dass ich diese Strukturen nicht weiterleben möchte und versuche jetzt, sie mir abzutrainieren.
Der erste Schritt dazu ist ja meist Selbsterkenntnis. Dass man merkt: Ich habe in der Vergangenheit falsch reagiert, falsche Sachen gesagt. Wo fehlt es noch an Selbsterkenntnis?
Iyamu Wo es bei uns Deutschen ganz klar noch an Selbsterkenntnis fehlt, ist zu begreifen, dass Rassismus nicht nur eine Beleidigung ist, sondern viel tiefer geht und in den gesellschaftlichen Strukturen steckt. Zum Beispiel bei Sehgewohnheiten im Fernsehen. Für viele Deutsche ist es oft kein Thema, wenn der Schwarze selbstverständlich den Drogendealer spielt. Wir müssen begreifen, dass auch solche Sachen rassistisch sind. Dazu gehört auch, dass schwarze Körper als exotisch, als fremd wahrgenommen werden. Es hat noch immer keine Selbstverständlichkeit, dass es auch schwarze Deutsche gibt. Darum fragen viele immer noch: Du sprichst total gut Deutsch, wie kommt das? Oder es wird als Kompliment gesehen, als positiver Rassismus. Wenn man zum Beispiel im Club angesprochen wird mit: Ich wollte schon immer mal was mit einer schwarzen Person haben. Und es reicht einfach nicht mehr, nicht rassistisch zu sein.
Was braucht es denn?
Iyamu Auch da geht es wieder um Selbsterkenntnis. Viele sagen sich: Ich bin nicht rassistisch, denn ich benutze das N-Wort nicht. Viele sagen auch: Ich sehe keine Farben. Aber das gibt es nicht. Ich habe eine andere Hautfarbe, das ist vollkommen okay, das muss man nicht ignorieren. Man muss damit einen Umgang finden. Ich habe das Gefühl, viele Leute machen es sich leicht mit solchen Argumenten, damit ist für sie das Thema abgeschlossen. Wenn man sich neutral zum Thema Rassismus bewegt, herrscht ein Schweigen, das wiederum Platz macht für rechte Gruppierungen. Wir sind an einem Punkt, an dem muss sich jeder mit Rassismus auseinandersetzen, wenn es ihm nicht egal ist, dass es Mitmenschen gibt, denen es durch Rassismus schlecht geht. Das ist ein Prozess, aber es gibt mittlerweile viele Bücher, viele Medien, man kann sich informieren. Man muss auch akzeptieren, wenn es schwarze Menschen gibt, die nicht über Rassismus reden wollen, weil es eben so müde macht. Aber es gibt eben auch genug Leute, die informieren und aufklären.