Rheinische Post Mettmann

Die Geschichte von Heinz und Hilde

Heinz Stolzenber­g und Hildegard Krüll waren bis 1950 eng befreundet. 70 Jahre später fanden sie jetzt wieder zueinander.

- VON MARC INGEL

UNTERBACH Eigentlich mag Hildegard Krüll ja gar keinen Karneval – zu viel Trubel, „das liegt mir nicht so“, sagt sie. Als das Narrentum jetzt aber so langsam wieder in Unterbach einzog, noch lange vor Corona, ließ sich die 90-Jährige dann doch mal überreden und ging hin zu einer Veranstalt­ung im Dorf. Heinz Stolzenber­g lässt dagegen kaum eine Feier aus, auch heute noch, mit 91, nimmt er oft und gerne am gesellscha­ftlichen Leben teil. Doch als er erfuhr, dass Hilde kommen wollte, stockte ihm kurz der Atem. Aber dann zögerte er nicht lange. Immerhin war Hilde seine Jugendfreu­ndin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, es muss so 1947 gewesen sein, lernten sie sich kennen, er 17, sie 15. Er hatte der Schwester den Wagen abgeschlep­pt. Mit 16 durfte Heinz bereits einen Sonderführ­erschein machen, um den Betrieb der Pflegeelte­rn – er kam wie Hilde über die Kinderland­verschicku­ng in die Gegend – am Laufen zu halten. So begegneten sie sich jedenfalls das erste Mal. Dann kam Hilde mal mit in das Stammlokal von Heinz, Am Kikweg, dort wo heute die Ente ist, auch das war eine karnevalis­tische Veranstalt­ung. „Wir kamen ins Gespräch, mochten uns, trafen uns dann öfters“, blickt Heinz zurück.

Es war eine rein platonisch­e Beziehung, wie beide betonen, aber sie haben viel unternomme­n, Heinz und Hilde, damals in dieser schweren Zeit. „Spazieren gehen, vorwiegend, wir haben uns aber auch ganz gerne abends mal gesehen“, sagt Heinz, den in Unterbach alle nur Heini nennen – zumindest seine Skatbrüder.

Spazieren gehen, das machen Heinz und Hilde auch heute viel. Denn seit dieser Karnevalsv­eranstaltu­ng sind sie wieder eng befreundet, so wie vor 70 Jahren, nur anders halt. „Zweimal die Woche, immer mittwochs und samstags, sehen wir uns, dann geht’s erst mal raus und wir machen eine große Runde mit dem Hund“, sagt Hilde, die nicht weit von Heinz in Vennhausen wohnt. Danach gibt’s Kaffee und Kuchen, sie spielen auch schon mal Mensch ärgere dich nicht, unterhalte­n sich aber vor allem viel. Natürlich über damals. „Das ist toll, und das kann ich doch sonst mit keinem mehr“, sagt Heinz. Er hat früher viel Sport getrieben, Tennis (unter anderem Doppel mit Hildes Schwester), Handball, hat gekegelt, „ich hatte viele Freunde – aber die sind alle tot“. Das ist nun mal so in diesem Alter. Er spielt nach wie vor Skat, jeden Freitag, fährt auch noch Auto. Und jetzt hat er ja obendrein Hilde wieder.

Dass sich die beiden aus den Augen verloren haben, lag daran, dass Hilde Anfang der 1950er Jahre eine Schneiderl­ehre an der Kö machte, das war eine ganz andere Welt. Heinz dagegen war im Fuhrgeschä­ft, saß die meiste Zeit im Lastwagen, musste im Nachkriegs-Düsseldorf viel Schutt abtranspor­tieren, arbeitete aber auch für Hildes Vater, der Kartoffeln und Kohl anbaute und es mit seinem landwirtsc­hafltichen Betrieb durchaus zu ansehnlich­em Reichtum brachte. „Wir waren nicht arm“, bestätigt Hilde, allen seinen Kindern hat er später ein Haus gebaut, Hilde lebt noch heute in dem in Vennhausen.

Heinz dagegen hat auch nach 1945 Unterbach – das Dorf blieb weitgehend verschont vom Krieg – nie wirklich verlassen, warum auch?

„Das ist mein Platz hier“, sagt er. Seit 66 Jahren wohnt er in dem Haus an der Rathelbeck­straße. Hilde, sagt er, „ist mir in all den Jahren trotzdem nie aus dem Kopf gegangen“.

Aber wie gesagt: Ihre Wege trennten sich vor 70 Jahren. Heinz heiratete, war 66 Jahre glücklich, ein Sohn und ein Enkel folgten. Auch Hilde fand einen Mann, einen Beamten. Vier Kinder hat sie, dazu ein Dutzend Enkel, „die sind inzwischen auch schon alle verheirate­t. Aber früher, da hatte ich genug zu tun, ich bin daher nicht viel weggegange­n“, sagt Hilde, die lange Zeit im Familienle­ben aufging. Ihr Ehemann starb schon vor 30 Jahren, danach verreiste Hilde viel, kaufte sich ein Pferd, einen Hund, eine Katze. „Mein Mann war nicht gerade tierlieb, das habe ich dann später ausgelebt“, sagt sie. Und doch fehlte noch ein Mensch in ihrem Leben. Aber jetzt ist Heinz, seit anderthalb Jahren ebenfalls Witwer, ja wieder da.

Am heutigen Donnerstag wird Heinz 92 Jahre alt. Der Sohn hat einen Tisch beim Chinesen reserviert. Hilde wird nicht kommen. Sie will die Treffen mit Heinz nicht missen, das reicht ihr, „andere Menschen, große Zusammenkü­nfte, das ist nicht so mein Ding“, erklärt sie noch einmal. Für Heinz ist das vollkommen okay, er genießt die Stunden mit Hilde. Beide sind noch geistig fit und erstaunlic­h rüstig, können zum Beispiel spielend die Treppen im Haus von Heinz hinauf- und hinabsteig­en. Heinz muss stets vorgehen. „Wenn ich fall‘, dann fall‘ ich weich“, sagt Hilde dann immer.

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RP-FOTO: MARC INGEL Heinz Stolzenber­g und Hildegard Krüll sind wieder vereint.

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