Zwei auf der Bühne, 500 auf den Rängen
Zum ersten regulären Konzert in der Tonhalle unter Corona-Bedingungen spielten Isabelle Faust und Alexander Melnikov Mozart.
Jemand hustet. Beim Stimmen vorm Variationensatz der G-Dur-Sonate KV 379. Irgendwo im zweiten Parkett. Drei, vier Mal. Dann wieder Stille. Atemlos, hoffentlich virenfrei. Noch ein paarmal knarzen die Wirbel beim Intonieren der Darmsaiten. Dann wieder Mozart, pure Kunst. Lange, sehr lange musste das Publikum der Tonhalle diese Momente entbehren, die sich am Dienstagabend erstmals nach vielen Wochen wieder ereignen können. Nicht so sehr das sonst im Konzertsaal allgegenwärtige Hüsteln, Husten,
An den Türen stehen Mitarbeiter und scannen den Code. Kontaktlos. Freundlich. Trotz verordneter und allgemeiner Maskierung
Schniefen ist hier gemeint, auch wenn es bei dieser Premiere besondere Beachtung erfährt. Sondern die Musik: live und so schön. Die Geigerin Isabelle Faust spricht es vor der Zugabe mit einem Lächeln in den Saal: „Wir freuen uns sehr, dass wir wieder da sind.“
So also kann ein Konzert unter Corona-Umständen aussehen: Um 19.40 Uhr reicht die Schlange vor dem Haupteingang der Tonhalle bis fast in den Hofgarten. Zwei Türen sind geöffnet, die die Besucher nach den Blöcken A bis E und E bis H vorsortieren. Nur wenige der Leute, die allein oder als Paar Schritt um Schritt und auf Abstand bedacht sich dem Einlass nähern, haben normale Tickets in Händen. Einige konnten noch kurz vorm Konzert an einer improvisierten Abendkasse erworben werden. Die Regel jedoch ist das Smartphone, auf dem sich der Bestätigungscode befindet; oder ein Blatt Papier aus dem heimischen Drucker mit gleichem
Inhalt. Im Vorfeld gab es nur personalisierte Karten, erworben im Online-Shop und per E-Mail empfangen, nicht übertragbar. An den Türen zum Foyer stehen Mitarbeiter der Tonhalle und scannen den Code. Kontaktlos. Freundlich. Trotz verordneter und allgemeiner Maskierung.
Es sind ein paar Striche auf den Boden gemalt, gespannte Seile geben den Weg vor. Auch im Foyer, in dem nur eine Handvoll Besucher in der Rotunde Platz genommen hat. Kein Wein, kein Sekt, keine Brezeln, kein gemütliches Beisammensein
und Plaudern. Stattdessen: Anstehen, sogar vor dem Männerklo, schließlich ist die Pause gestrichen. Oder der direkte Weg die Treppen hinauf unters Sternengewölbe. Maskenpflicht bis zum Hinsetzen. Die ersten Reihen am Podium bleiben frei, danach jede zweite Reihe und mindestens drei Plätze rechts und links. Man sitzt allein, zu zweit. Nur eine Fünfergruppe fällt aus dem Rahmen.
Dann aber, nachdem Intendant Michael Becker besonders den Abonnenten gedankt hat, die während der Schließung des Hauses auf die Rückerstattung der Ticketpreise verzichteten, ist alles fast normal. Wie in einem schlecht besuchten Konzert. Nur knapp 500 Besucher sind behördlich erlaubt. Der Anblick des Parketts vom Rang aus erinnert an Lochstickerei. Und die Akustik scheint auch luftiger als gewohnt.
Egal. Isabelle Faust, die mit Preisen überhäufte Geigerin mit unprätentiöser Kurzhaarfrisur und absatzlosen Schuhen, und ihr Klavierpartner Alexander Melnikov zelebrieren 80 Minuten Musikgenuss. Mozart pur, vier Sonaten aus der besonders kreativen Schaffensphase der späten 1770er Salzburger Jahre, die eine besondere Balance zwischen Experiment und Konvention an den Tag legen. Das stellt besondere Ansprüche an die Vorbildung der Zuhörer, liegt doch der Reiz einer solchen Werkschau im Wahrnehmen der Details. Welche Freiheit der 22-Jährige der höfischen Konvention abringt, wie er mit den Formen spielt, den Harmonien, den Motiven. Das ist regelrecht erquickend. Und die Duopartner stehen sich in nichts nach, diese Kleinigkeiten nachempfindend in Szene zu setzen. Faust offenbart ein schier
endloses Repertoire an Klangfarben, und das trotz des Rokoko-Korsetts, das sie Vibrato und Dynamik anlegt. Quicke Sechzehntel, Pianissimi fast ohne Bogenkontakt, Empfindsamkeit allüberall. Melnikov spielt auf einem Hammerflügel, einem prächtigen wurzelhölzernen Original von 1815, auf dem er die Pointen der Musik immer wieder mit ungemein geschmackvoller Freiheit zelebriert. Die Beiden sind ein musikalisches Traumpaar.
Ein Konzertabend für Liebhaber und Kenner also, der trotz der widrigen Umstände (vielleicht auch deswegen) zu einem besonderen Erlebnis gerät. Nach dem letzten Ton der abschließenden B-Dur-Sonate KV 378 brandet der Beifall fast wie im vollen Haus, gespickt mit vernehmlichen Bravo-Rufen. Ein weiterer Mozart als Zugabe, bevor sich das Haus gesittet leert. Mit Masken und auf Abstand. Keiner hustet.