Breite Kritik an neuen Lockerungen in NRW
Die Opposition warnt vor einem leichtfertigem Umgang mit dem Virus. An vielen Grundschulen ist ein Vollbetrieb ab Montag nicht möglich.
DÜSSELDORF Die Landesregierung stößt mit den für Montag angekündigten weitreichenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen auf Kritik. Hochzeiten und andere Familienfeste dürfen wieder größer gefeiert werden, Bars können unter Voraussetzungen öffnen, Mannschaftssport wird in größerem Umfang erlaubt. Verboten bleiben größere Partys ohne Anlass und große Volksfeste. Die SPD-Landtagsfraktion übte scharfe Kritik. Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte unserer Redaktion: „Bei allem Verständnis für das Bedürfnis zu mehr Alltag und Miteinander: Ich habe bei diesen weitreichenden Lockerungen große Bauchschmerzen.“Daraus werde zu schnell eine leichtfertige Lockerheit. „Schauen Sie sich doch mal selbst in Ihrem Umfeld um. Viele nehmen das Virus schlicht nicht mehr ernst genug.“Man dürfe die Erfolge nicht aufs Spiel setzen.
Auch die Grünen sind skeptisch. Deren gesundheitspolitischer Sprecher Mehrdad Mostofizadeh sagte zwar, es sei in Ordnung, dass man in einigen Bereichen Lockerungen vornehme. „Aber ich hätte mir da deutlich mehr Augenmaß gewünscht. Und vor allem auch, dass nicht nur geöffnet, sondern zugleich konzeptionell weitergearbeitet wird.“Als Beispiel nannte er Pflegeheime und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. „Dort zu öffnen, ist grundsätzlich richtig, aber nur, wenn zugleich auch deutlich mehr Schutzkleidung zur Verfügung gestellt und mehr getestet wird. Da kommt mir vom Land zu wenig.“Außerdem sei nicht nachvollziehbar, dass man nun bei Veranstaltungen von fünf auf bis zu 100 Personen hochgehe. „Da wäre es verantwortungsvoller gewesen, Zwischenschritte einzufügen und deren Wirkung erst einmal auszuwerten“, sagte der Grünen-Politiker. Er verstehe nicht, wieso man beim Hallensport so weitgehend lockere: „Viele der Maßnahmen haben die Signalwirkung für die Bürger, dass sie jetzt weitermachen können wie vor dem Ausbruch. Das könnte ein Trugschluss sein.“
Auch an der Rückkehr der Grundschulen zum Vollbetrieb ohne Abstandsregeln
gibt es massive Kritik: „Einen Normalbetrieb wird es schon aus personellen Gründen nicht geben“, sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, unserer Redaktion. Wie viel Unterricht tatsächlich erteilt werde, sei sehr unterschiedlich. Auch die Betreuung am Nachmittag im Offenen Ganztag (OGS) sei nicht überall gewährleistet. „Viele Eltern wissen erst am Montag, worauf sie sich einstellen können.“Auch Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung NRW, warnte Eltern vor Enttäuschungen: „Kaum eine Schule wird am Montag zum normalen Regelbetrieb zurückkehren können.“
Wie unsere Redaktion erfuhr, müssen Grundschüler ab Montag in der OGS nun doch nicht in derselben Gruppe betreut werden wie im Klassenverband am Vormittag: „Kinder, die an Ganztags- oder Betreuungsangeboten teilnehmen, haben täglich zwei konstante Bezugsgruppen“, heißt es in einer Mail des Ministeriums an OGS-Verantwortliche, die unserer Redaktion vorliegt. Die Zahl der täglichen Kontakte gilt unter Virologen als entscheidender Faktor für die Verbreitung des Virus. Im Schulministerium hieß es am Freitag, grundsätzlich sei ab Montag von einem Regelbetrieb mit Unterricht möglichst gemäß Stundentafel an den Grundschulen auszugehen. Einschränkungen werde es aber in Schule und OGS gegebenenfalls aufgrund von Personalmangel geben. Leitartikel, Nordrhein-Westfalen