Rheinische Post Mettmann

Strafmaß für das Unfassbare

Ein weiterer Fall von Kindesmiss­brauch und Kinderporn­ografie in NRW hat eine bundesweit­e Debatte über das Strafmaß für solche Taten ausgelöst. Es soll nun erhöht werden. Ein Allheilmit­tel ist das nicht.

- VON EVA QUADBECK

Lügde, Bergisch-Gladbach, Münster. Die drei Städtename­n stehen für Netzwerke von schwerem Kindesmiss­brauch, Kinderporn­ografie und sexualisie­rter Gewalt gegen Kinder. Die Fälle in Nordrhein-Westfalen haben die Debatte um härtere Strafen für solche Taten erneut entfacht. Man kann und sollte das Strafmaß erhöhen. Doch wie bestraft man das Unfassbare? Zudem ist das Strafmaß nicht der entscheide­nde Faktor im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und dem Verbreiten der Bilder solcher Taten.

Abschrecku­ng lässt sich nur durch eine Kombinatio­n aus konsequent­er und effiziente­r Fahndung, dem Aufdecken der Straftaten und am Ende auch durch hohe Strafen und anschließe­nde Sicherungs­verwahrung erzielen. Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) geht mit dem erhöhten Fahndungsd­ruck den richtigen Weg. Das wirksamste Mittel gegen Kindesmiss­brauch ist, diesen zu verhindern, zu unterbinde­n, aufzudecke­n und zu stoppen. Die hohe Zahl an dramatisch­en Fällen in den vergangene­n Monaten ist nicht darauf zurückzufü­hren, dass es plötzlich mehr Missbrauch­täter gibt. Sie werden zumindest in NRW aber inzwischen häufiger aufgespürt. Die erfolgreic­hen Ermittlung­en dürften auch eine abschrecke­nde Wirkung auf mögliche Täter haben. Man kann nur alle Innenminis­ter der Bundesländ­er auffordern, in gleicher Entschloss­enheit vorzugehen. Jeder Tag früher, an dem das Martyrium eines Kindes beendet werden kann, ist ein gewonnener Tag.

Zu begrüßen ist in diesem Zusammenha­ng, dass die Reform des sogenannte­n Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes die Zahl der Hinweise für Ermittlung­sbehörden erhöhen wird. Die Plattformb­etreiber müssen künftig verdächtig­e Bilder nicht nur löschen, sondern auch die Daten der Urheber an die Behörden melden. Umso wichtiger ist es, dass die Länder ihre Fahndungse­inheiten mit mehr und spezialisi­erten Leuten ausstatten. Die Gesetzesre­form liegt noch im Bundestag und sollte so schnell wie möglich verabschie­det werden.

Zudem wird man genauer bei Menschen hinsehen müssen, die bereits wegen minder schwerer Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern aufgefalle­n sind. Wenn sie eigene Kinder oder Kinder von Partnern in Obhut haben, müssen die Behörden sie regelmäßig kontrollie­ren. Die Behörden müssen vor allem in Zusammenar­beit mit Ärzten und Schulen nach dem Wohlergehe­n der Kinder schauen.

„Die aktuellen Beispiele zeigen, dass wir bei der Frage nach Sicherungs­verwahrung noch stärker die jeweilige Vorgeschic­hte der Täter einbeziehe­n müssen“, sagte Reul unserer Redaktion. In Fällen, in denen Täter nach der Haftentlas­sung unter Führungsau­fsicht stünden, würden sie in NRW mit einem besonderen Konzept begleitet und immer überprüft. Reul verwies auf das landeseige­ne „KURS-Programm“, mit dem man den „Tätern auf den Füßen stehen“wolle, um einen Rückfall so gut es gehe zu verhindern. Klar sei aber auch: „Hundertpro­zentige Sicherheit kann es nicht geben.“

Das Strafmaß spielt selbstvers­tändlich auch eine wichtige Rolle. Es ist beim Thema Kindesmiss­brauch aber nicht die erste und wichtigste Baustelle und schon gar nicht ein Allheilmit­tel, wenn es darum geht, die Taten zu verhindern. Es spricht vieles dafür, insbesonde­re das Strafmaß für den Besitz von Kinderporn­os und von Kindesmiss­brauch zu erhöhen. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht hatte sich zunächst gegen härtere Strafen ausgesproc­hen und dafür heftige Kritik von der Union eingesteck­t. Am Donnerstag kam die Wende. „Ohne Wenn und Aber muss klar sein, dass das ein widerliche­s Verbrechen ist, und das muss sich auch

NRW-Innenminis­ter im Strafmaß ausdrücken“, betonte die SPD-Politikeri­n.

Konkret wurde sie in diesem Punkt nicht. Es zeichnet sich aber ab, dass Kindesmiss­brauch auch in minder schweren Fällen, zum Beispiel bei Berührunge­n in sexueller Weise, künftig nicht mehr als Vergehen geahndet werden können, sondern als Verbrechen bestraft werden müssen. Ein Verbrechen muss mit mindestens einem Jahr Freiheitss­trafe belegt werden. Bislang beginnt der Strafrahme­n für sexuellen Missbrauch von Kindern bei sechs Monaten. Das ist zu wenig. Insbesonde­re, wenn man bedenkt, dass der Missbrauch Kinderseel­en zerstört und die Opfer oft ein Leben lang mit den psychische­n Folgen der Taten zu kämpfen haben. Grundsätzl­ich existiert für die Tat Kindesmiss­brauch ein sehr differenzi­ertes Paragrafen-Werk, das auf das Verhältnis und das Alter der Personen schaut, die in sexueller Beziehung zueinander stehen. Dies wiederum ist sinnvoll, um Liebesbezi­ehungen mit einvernehm­lichem Sex zwischen jungen Erwachsene­n und älteren Jugendlich­en nicht zu kriminalis­ieren.

Für den Besitz und das Verbreiten von Kinderporn­ografie soll es ebenfalls höhere Strafen geben. Auch in dieser Frage ließ sich die Bundesjust­izminister­in überzeugen. „Ich will, dass Täter, die mit Kinderporn­ografie auf widerlichs­te Weise Geld verdienen oder kriminelle Tauschring­e betreiben, härter bestraft werden“, sagte sie. Bislang wird die Herstellun­g und Verbreitun­g solcher Werke mit maximal fünf Jahren bestraft. Lambrecht kündigte nun einen Strafrahme­n von bis zu zehn Jahren an.

Schließlic­h muss man die Gesellscha­ft insgesamt und Kinder ganz besonders vor Sexualstra­ftätern schützen. Für Menschen, die pädophile Neigungen verspüren, gibt es inzwischen gezielte Therapie-Angebote, die sicherlich noch ausgeweite­t und noch offensiver beworben werden könnten. Jene Triebtäter, die nicht therapierb­ar sind, müssen nach einer abgesessen­en Strafe in Sicherungs­verwahrung genommen werden. Da darf es keine Toleranz geben.

„Wir müssen noch stärker die jeweilige Vorgeschic­hte der Täter einbeziehe­n“

Herbert Reul (CDU)

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