„Rasse“soll schnell aus dem Grundgesetz verschwinden
In der Rassismus-Debatte fordern mittlerweile Politiker mehrerer Fraktionen, den Gesetzestext anzupassen. Doch es gibt Widerstand.
BERLIN Im Grundgesetz steht noch immer der Begriff „Rasse“. Obwohl wissenschaftlich längst widerlegt ist, dass es Menschenrassen gibt. Jahrzehntelang nahmen die meisten Bundestagsabgeordneten den Text so hin, die internationale Bewegung gegen Rassismus könnte dem nun ein zeitnahes Ende bereiten. Immer mehr Vertreter unterschiedlicher Bundestagsfraktionen sind dafür, den Begriff „Rasse“aus dem Grundgesetz zu streichen oder zu ersetzen.
In Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und
Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“Das Bundesjustizministerium teilte mit, dass die Passage unter dem Eindruck der Verfolgung etwa von Juden im Nationasozialismus entstanden sei und ein Zeichen setzen sollte gegen den Rassenwahn. Es gebe jedoch „ganz klar keine Aussage zur Existenz verschiedener menschlicher Rassen“, sagte eine Sprecherin. Die Grünen wiederum stören sich an dem Begriff, weil der eine Unterteilung von Menschen in Kategorien manifestiere, die Anspruch und Geist des Grundgesetzes widersprächen.
Mit dieser Position stehen die Grünen und die Linken, die den Begriff „Rasse“bereits vor Jahren aus dem
Grundgesetz tilgen wollten, nun nicht mehr alleine da. Auch aus den Fraktionen von Union, SPD und FDP kommt Zustimmung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) signalisierte Offenheit für die Debatte. Das berichtete Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Zu dieser Frage seien in den vergangenen Tagen „nachdenkenswerte Argumente“vorgebracht worden, fügte er hinzu. Innenminister Horst Seehofer (CSU), der qua Amt auch Verfassungsminister ist, will sich einer Änderung „nicht versperren“.
Doch was könnte stattdessen in Artikel 3 des Grundgesetzes stehen? Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), macht dazu einen neuen Vorschlag:
„Ich bin dafür, dass der Begriff ,Rasse’ aus dem Grundgesetz durch eine andere Formulierung ersetzt wird“, sagte sie. „Hierzu sollten wir den Rat von Verfassungsrechtler*innen, Wissenschaftler*innen und anderen Expert*innen einholen und ihre Vorschläge für eine Neuformulierung im Bundestag und Bundesrat diskutieren“, so Kofler. „Wichtig ist es, eine diskriminierungsfreie Sprache zu finden, die unmissverständlich klar macht, dass unsere Verfassung auch vor Rassismus schützt.“Die Grünen setzen sich dafür ein, den Begriff „Rasse“durch das Wort „rassistisch“zu ersetzen.
Doch nicht nur in der AfD regt sich Widerstand. Sie wirft den Grünen vor, „durch Begriffszensur
der Wirklichkeit einen linken Deutungsrahmen“aufzwingen zu wollen. Statt „Rasse“könne der Begriff „ethnische Herkunft“verwendet werden. Auch in Teilen der Unionsfraktion, deren Zustimmung für eine Verfassungsänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament nötig wäre, gibt es Bedenken. Der rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), hatte gegenüber „Zeit Online“auch Stärken des „Rasse“-Begriffs definiert. „Gerade daraus bezieht er aber seine besondere Wirkkraft und Schutzwirkung, weil er auch noch so abwegige Vorstellungen von vermeintlich vererbbaren Merkmalen einer bestimmten Menschengruppe
erfasst und eine Differenzierung danach verfassungsrechtlich untersagt“, so Luczak. Wann es tatsächlich zu einer Verfassungsänderung kommen kann, ist offen.
Unterdessen wies die NRW-Staatskanzlei darauf hin, dass die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte auch Bestandteil der Landesverfassung und unmittelbar geltendes Landesrecht seien. „In welcher Weise sich eine Grundgesetzänderung daher auch auf die Landesverfassung auswirken würde, lässt sich abstrakt und ohne Bezug zu einem konkreten Änderungsvorhaben kaum verlässlich abschätzen“, sagte ein Sprecher. Auch für das Landesrecht könnte also eine Debatte um den Begriff folgen.