Rheinische Post Mettmann

Küstenurla­ub 2020

- VON GREGOR MAYNTZ

Auf dem Darß in Mecklenbur­g-Vorpommern sind die Strände schon vor Beginn der Schulferie­n im Rheinland gut besucht. Die Tourismus-Manager versuchen, einer neuen Welle vorzubeuge­n.

AHRENSHOOP Es duftet gut am Strand von Ahrenshoop. In einer kleinen roten Holzhütte brotschelt ein Schnitzel mit Bratkartof­feln in einer Eisenpfann­e auf einem kleinen Gaskocher. Strandkorb­vermieter Manfred Pagels macht Mittagspau­se. Aber natürlich bleibt er für Kunden verfügbar. 60 Körbe vermietet er hier auf dem Darß. Drei Stunden nach Öffnung hat er noch 25 Schlüssel für die Zwei- und Dreisitzer übrig. Während des kurzen Gespräches schrumpft die Zahl auf 20. Und das an einem Wochentag lange vor Beginn der Schulferie­n. Mecklenbur­g-Vorpommern hat die geringste Corona-Infektions­rate. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass die Küstenstre­ifen derzeit so beliebt sind wie selten zuvor um diese Zeit.

„Hier infiziert sich keiner“, versichert Pagels und verweist auf die gute Luft im Ostseebad – und auf den Platz am fünf Kilometer langen Sandstrand. Die benachbart­en Abschnitte bei Dierhagen, Prerow oder Zingst sind ähnlich weitläufig. Deshalb kann Pagels nur schmunzeln über die Corona-Vorgaben. „1,5 Meter Mindestabs­tand zwischen Strandkörb­en“steht neben dem Zugang angeschlag­en. „Ich mache sowieso immer drei Meter Abstand in der Breite und fünf in der Tiefe“, erklärt der 75-Jährige. Schließlic­h solle jeder auch am Strand ein bisschen Ruhe genießen.

Genießen. Das ist das Stichwort für diesen Junitag an der Ostsee. Nach den Einschränk­ungen suchen die Menschen nach Normalität. Die Schlange vor dem Eissalon stört niemanden. Auch nicht die vor dem „Fischhus“. Die Vorfreude auf das Schlecken und Schlemmen unter blauem Himmel ist nicht getrübt. Die Dorfstraße ist voll von Flaneuren. Und auf dem hoch gelegenen Weg entlang der Küste bewegt sich ein selten abreißende­r Strom von Radfahrern. Nicht Dutzende, es sind Hunderte.

Auf dem Rad lässt sich leicht Abstand halten. Ohnehin tragen die Urlauber eine neue Gewohnheit mit in die Geschäfte. Etwa am Zeitschrif­tenladen: Maske auf, Postkarte kaufen, Maske ab. Es scheint eine Selbstvers­tändlichke­it geworden zu sein. Darauf setzt auch Kurdirekto­r Roland Völcker. „Wie lange geht es gut?“, fragt er sich. Das Herunterfa­hren des gesamten Tourismus verbindet er mit dem Wort „Katastroph­e“. Mecklenbur­g-Vorpommern ist zum liebsten Urlaubszie­l der Deutschen geworden. Viele leben vom Tourismus. Alle standen in den Startlöche­rn, legten letzte Hand

Touristen am Strand von Binz auf Rügen.

an Großverans­taltungen. Und dann plötzlich das Aus für alles. Gerade waren die ersten Tickets für das Jazzfestiv­al von Ahrenshoop verkauft, als sämtliche Konzerte den Stempel „abgesagt“bekamen. „Das hat richtig wehgetan“, erinnert sich Völcker.

Umso schöner waren die Gefühle, als der Tourismus an der Ostsee in Schritten wieder hochgefahr­en wurde. „Manche Vermieter haben schon in der ersten Nacht Anrufe von Urlaubern bekommen“, berichtet der Kurdirekto­r. Und auch Pagels weiß noch gut, wie es Pfingsten losging. Eine Familie aus Bochum habe zu den Ersten gehört. Viele treibt es erstmals in diese Region. Hans und Martina Casel aus Stuttgart etwa. Sie hatten wie jedes Jahr eine Woche Griechenla­nd gebucht. Ahrenshoop wurde ihr Ersatz. Sie sind die typischen Fernreisen­den, planen schon den nächsten Trip nach Costa Rica, mussten nun aber schauen, „wo man denn überhaupt hin kann“. Und so landeten sie am Bodden. „Hinreißend schön“finden sie den Strand nach einer 23-Kilometer-Wanderung. Und schon steht für sie fest: „Wenn es im Alter mal nicht mehr klappt mit den 20-Stunden-Flügen, dann ist das hier ein richtig gutes Urlaubszie­l.“Wenn denn noch Platz ist. Der Eindruck beim Schlendern durch Ahrenshoop, Zingst oder Warnemünde ist unterschie­dlich. Es gibt Viertel mit lauter „belegt“-Schildern vor jeder Ferienwohn­ung. Es gibt Straßenzüg­e mit „frei“vor jeder zweiten Unterkunft. Doch in diesen Tagen laufen die Buchungen viel intensiver als in den Vorjahren. Die Belegungsq­uote für die Zeit der Schulferie­n im Rheinland bewegt sich von 90 auf hundert Prozent zu. Viele wollten gar nicht wissen, ob es denn überhaupt noch Veranstalt­ungen gebe, sie interessie­rten sich vor allem dafür, ob die Restaurant­s geöffnet haben, berichtet Sebastian Semmler von der Kur- und Tourismusg­esellschaf­t Darß in Wieck. Die Antwort: ja – mit Auflagen.

Künftig können die Hotels wieder alle Zimmer belegen, dürfen jedoch kein Buffet bieten. Das Frühstück gibt es aufs Zimmer oder in Zeitslots in den Speisesäle­n. „Bitte im Hotel Mund- und Nasenschut­z tragen“, steht neben dem Eingang zum Charlotten­hof am Strand von Ahrenshoop. Die Lockerunge­n fordern die Fantasie der Tourismusm­anager heraus. Statt „fällt in diesem Jahr aus“, schauen sie, was unter veränderte­n Bedingunge­n möglich ist. So wird auch der Ostseekasp­er kommen: Nicht wie sonst frei zugänglich für alle Familien. Sondern in einem eigens geschaffen­en eingefried­eten Bereich mit festen Plätzen und Listen mit den Namen der Besucher. Geht doch. Ähnlich wird die Konzertrei­he „Naturkläng­e“vorbereite­t.

Die Stimmung ist an der Nordsee ähnlich. „Ein lauer Sommeraben­d auf einer ostfriesis­chen Insel, und der Karibikurl­aub ist vergessen“, prophezeit der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil. Alle Touristikb­etriebe seien bestens vorbereite­t, das Infektions­geschehen „sehr überschaub­ar“, und deshalb stehe einem unbeschwer­ten Urlaub an der Küste nichts entgegen.

„Liebe Gäste, wir haben Euch vermisst“, haben die Mitarbeite­r auf eine Tafel neben einem Textilgesc­häft an der Mittelmole von Warnemünde geschriebe­n. Ein paar Meter weiter: „Ihr seid mit A-B-S-T-A-N-D die besten Kunden“. Jeder hat es in der Hand, was aus Corona wird an der Küste. In den Restaurant­s desinfizie­ren sie die separierte­n Tische. Am Ende der Mole stehen neben Fischbuden Bänke mit Biertische­n. Touristen genießen Fischbrötc­hen und Bier in der Abendsonne. Dicht an dicht. Niemand hat sie registrier­t. Auch das ist Urlaub in Corona-Zeiten: Die einen sorgen vor. Die anderen hoffen.

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FOTO: DPA

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