Rheinische Post Mettmann

Stunde der Denkmalstü­rmer

In Großbritan­nien tobt ein Kulturkamp­f um Rassismus und koloniale Vergangenh­eit.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Großbritan­nien bereitet sich auf ein heißes Wochenende vor. Die Zahl der Demonstrat­ionen gegen Rassimus und Diskrimier­ung, die unter dem Motto „Black Lives Matter“(Schwarze Leben zählen) stattfinde­n, werden immer zahlreiche­r. Gleichzeit­ig rufen rechtsradi­kale Organisati­onen wie die „English Defence League“zu Gegendemon­strationen auf. Der Londoner Bürgermeis­ter Zadiq Khan befürchtet, dass es am Wochenende in der Hauptstadt zu gewalttäti­gen Konfrontat­ionen kommen wird und beschwört Demonstran­ten, „zu Hause zu bleiben und die Rechtsradi­kalen zu ignorieren“. Vorsichtsh­alber wurde in London das Denkmal von Winston Churchill eingeschal­t. Am letzten Wochenende hatten Demonstran­ten das Monument des Kriegsprem­iers mit dem Wort „Rassist“besprüht.

Es ist die Stunde der Denkmalstü­rmer. Im südenglisc­hen Bristol wurde am letzten Sonntag die Statue von Edward Colston vom Sockel gerissen, durch die Stadt gerollt und dann unter Jubelgesch­rei im Hafenbecke­n versenkt. Edward Colston war ein Sklavenhän­dler im 17. Jahrhunder­t, der seinen sagenhafte­n Reichtum einem Monopol verdankte: Die „Royal Africa Company“, der er vorstand, durfte exklusiv den Sklavenhan­del mit der Neuen Welt organisier­en und transporti­erte Hundertaus­ende Afrikaner nach Amerika. Es wird geschätzt, dass

„Black Lives Matter“: Churchill-Statue in London.

zwischen dem 15. und 19. Jahrhunder­t bis zu 17 Millionen afrikanisc­he Männer, Frauen und Kinder nach Amerika verkauft wurden.

Der Sturz von Colston löste einen Domino-Effekt aus. Waren die ersten Demos im Königreich noch Solidaritä­tsaktionen, mit denen man dem Tod des US-Amerikaner­s George Floyd gedachte, so entwickelt­en sie sich schnell zu Protesten gegen den Rassismus im eigenen Land und insbesonde­re gegen die kolonialis­tische Vergangenh­eit des Königreich­s. Großbritan­nien hat nie kollektiv diese dunkle Seite der nationalen Geschichte aufgearbei­tet. Überall im Land gibt es Statuen und Denkmäler von Personen, die in den Sklavenhan­del verwickelt waren. Viele Kommunen beginnen jetzt zu überprüfen, welche von ihnen entfernt werden sollen. Den Anfang machte am Dienstag London. Dort wurde die Statue des Sklavenhän­dlers Robert Milligan demontiert. „Es ist eine traurige Wahrheit“, sagte Khan, „dass wir eine Menge unseres Reichtums dem Sklavenhan­del verdanken. Aber das müssen wir nicht auch noch auf unseren öffentlich­en Plätzen feiern.“Die Organisati­on „Topple the Racists“hat eine Liste von 78 Denkmälern und Straßennam­en veröffentl­icht und verlangt deren Entledigun­g.

Im rechten Lager provoziert das Reaktionen. Hooligans und Rechtsextr­eme, meldete die „Times“, haben Symphatisa­nten dazu aufgerufen, die Denkmäler zu schützen. Rechtsextr­eme Organisati­onen wie die „English Defence League“wollen am Wochenende in London marschiere­n. Der Justizmini­ster Robert Buckland wies die Amtsgerich­te an, Überstunde­n zu machen, um gewalttäti­ge Demonstran­ten schnell aburteilen zu können.

In Großbritan­nien ist ein lange schwelende­r Kulturkamp­f wieder entbrannt, der früher unter dem Banner des Brexit loderte und jetzt vor dem Hintergrun­d von imperialis­tischer Vergangenh­eit und rassistisc­her Realität erneut aufflammt. Die Lager sind ähnlich: in der einen Ecke die linken, zumeist jungen, urbanen und multikultu­rellen Demonstran­ten, in der anderen Ecke zumeist weiße, ältere, rechtslast­ige und den Brexit verlangend­e Bürger. Großbritan­nien bleibt zerrissen.

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FOTO: AP

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