Der Vogelmord von Borchen-Dörenhagen
BORCHEN Zwei Verbrechen bewegen das Örtchen Borchen im Kreis Paderborn, eins davon erregt auch überregional Aufmerksamkeit. Es ist nicht die Mordanklage gegen eine Frau, die aus Habgier ihre Mutter getötet haben soll. Für die größeren Schlagzeilen sorgt ein Mordfall, der juristisch gesehen keiner ist.
In Borchen wurde ein Rotmilan getötet. Offenbar ein Opfer im Konflikt zwischen Wildtier und Windkraftgewinnung. Das wäre per se nichts Besonderes, der Deutschen Wildtierstiftung zufolge fallen jedes Jahr 12.000 Greifvögel einem Windrad zum Opfer. Dieser Vogel wurde jedoch getötet, bevor ein Windrad in der Nähe seines Horstes gebaut wurde. Und der Verdacht liegt nahe, dass er im Wege stand.
„Die Fläche ist wie gemacht dafür“, betont der Bürgermeister. „Sie ist garantiert im Visier von Investoren.“Praktisch täglich erwarte er Bauanträge für Windräder dort. Bislang existiert noch keiner. Denn er wäre wohl nicht genehmigt worden, solange der Rotmilan dort brütete.
Ein Vorkommen des so imposanten wie gefährdeten Tiers ist meist das einzig schlagende Argument der Windkraftgegner. Denn die Energiewende ist politisch gewollt, doch vor der Haustür will kaum einer ein Windrad. Viele Kommunen möchten die Genehmigung daher verhindern. Doch wenn sich Investoren wehren, entscheiden viele Gerichte zu deren Gunsten. Entsprechend dem „Windkraft-Privileg“aus Paragraf 35 des Baugesetzbuchs, das Windrädern grundsätzlich Vorrang einräumt. Nur wo ein Rotmilan brütet, wird garantiert keins gebaut. Doch wo ein Rotmilan nicht mehr brütet, ist die Bahn frei.
Mit einem Schrotgewehr wurde das brütende Muttertier erschossen, in seinem Nest. Eine Röntgenuntersuchung bestätigte das. Die Eier sind verloren, zumal das Vatertier vermisst wird. Das Kreisumweltamt stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein wegen „Verdachts der illegalen Greifvogelverfolgung“– ein Straftatbestand nach Paragraf 71 des Bundesnaturschutzgesetzes; bis zu fünf Jahre Haft stehen darauf. Deshalb prüft die Kripo, „ob Ermittlungsansätze zur Identifizierung eines Tatverdächtigen vorliegen“.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter ermittelt wird, ist aber nicht nur „gering“, wie es aus Ermittlerkreisen heißt. Sie liegt bei null. Aufgefunden wurde der Kadaver bereits am 10. April. Wochen später lag
Ein seltener Rotmilan wird bei Paderborn per Schrotgewehr in seinem Nest erschossen. Nun ist der Weg frei für weitere Windräder rund um das Örtchen Borchen. Dort stehen bereits 52 Anlagen. Ein Kampf gegen Windmühlen.
noch nicht einmal der Obduktionsbericht des Tierarztes vor.
Egal aber ist die Tötung des Vogels nicht. Vieles deutet darauf hin, dass es um mehr geht als um sinnlose Tierquälerei. Der Bürgermeister der 13.000-Einwohner-Gemeinde Borchen, Reiner Allerdissen (SPD), sagt sarkastisch: „Möglich ist vieles. Vielleicht ist jemand ganz zufällig in den Wald gegangen, hat sich ganz zufällig unter diesen Baum gestellt und ganz zufällig auf das Nest hoch oben im Baum geschossen mit spezieller Schrotmunition, die auf diese Entfernung noch effektiv ist.“Der 60-Jährige hat wenig Zweifel, dass das Motiv mit dem Ausbau der Windenergie zusammenhängt. Die Äußerung einer Richterin, dass Einschränkungen für Bau und Betrieb von Windrädern „wieder aufgehoben werden können, wenn schützenswerte Arten dort nicht mehr nachgewiesen werden können“, hat ihn erschreckt. In einer Erklärung mit dem CDU-Ortsvorsteher schrieb er: Der Täter habe nur die Situation herbeigeführt, über „die das Gericht laut nachgedacht hat“.
Für eine „Unverschämtheit, die jeglicher Grundlage entbehrt“, hält das Westfalenwind. Das Paderborner Unternehmen produziert mit 80 Windrädern 520 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Die Tötung des Vogels verurteile man. Davon profitieren werde man schon deshalb nicht, weil man in Dörenhagen derzeit keine Windräder plane. Das wiederum verwundert Allerdissen, der die Firma nicht namentlich genannt hatte und beteuert, sie auch nicht gemeint zu haben.
Der Kreis Paderborn erzeugt mehr Strom aus erneuerbaren Energien,
Frank Ahnfeldt von der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne mit
dem toten Rotmilan.
als er verbrauchen kann: Im stetigen Wind drehen sich 513 Räder – kaum irgendwo in Deutschland sind es mehr. 50 weitere Anlagen sind genehmigt, 84 zusätzliche in Planung. Teils sind sie mehr als doppelt so hoch wie der Paderborner Dom. Besonders aktiv sind die Betreiber, vor Ort „Windbarone“genannt und von Gegnern als „Subventionsritter“beschimpft, in der Gemeinde Borchen. 52 Windräder ragen in den Himmel. Allein im Ortsteil Dörenhagen sind es 35 – auf knapp 1500 Einwohner. Und es sollen mehr werden.
Jedem Pächter winken pro Windrad und Jahr zehntausende Euro Erlösbeteiligung. So viel Umsatz schafft Unfrieden, den etwa Westfalenwind auch mit der großzügigen Ausschüttung von Geldern an Vereine abzubauen versucht. Vor alledem warnt Borchens Bürgermeister Allerdissen, den man sich als netten, aber streitbaren und zunehmend verzweifelten Menschen vorstellen muss. Und – Überraschung – als Windkraft-Befürworter. „Wir waren Vorreiter bei Windenergie und das auch gern. Ich hab’ selbst ein Windrad praktisch vor der Haustür stehen“, sagt er, „das juckt mich wirklich nicht.“Dennoch wird ihm angst und bange. Sein Vorwurf: „Kommunen werden vor Gericht entmachtet. Jeder Flächennutzungsplan, mit dem wir den Bau von Windrädern in geordnete Bahnen lenken wollen, wird uns um die Ohren gehauen – teils wegen winzigster Formfehler.“Er betont: „Sämtliche Flächennutzungspläne zur Ausweisung von Windvorrangzonen in NRW sind in den letzten Jahren spätestens vor dem Oberverwaltungsgericht gescheitert!“Dass rechtssichere Nutzungspläne für Kommunen faktisch unmöglich zu erstellen seien, habe die zuständige Richterin in einer Verhandlung sogar offen zugegeben. Das Verwaltungsgericht Minden erklärt auf Anfrage dazu nur, man sei an geltendes Recht gebunden, auch wenn sich dies in lokalen Einzelfällen ungünstig auswirke.
Dass die Planungsversuche der Gemeinden vor Gericht scheitern, liegt nicht daran, dass die Beamten überfordert wären. Wie auch andere Kommunen beauftragt Borchen längst renommierte Fachplaner. „Sechsstellige Beträge investieren wir dafür“, sagt Allerdissen, „doch am Ende gewinnen immer die Investoren.“Eine reine „Verhinderungsplanung“liege ihm fern, beteuert er; selbst jetzt noch, wo seine Gemeinde praktisch umstellt ist von Windrädern. Derzeit sei es aber „unmöglich, den Ausbau der Windkraft auf dem eigenen Gemeindegebiet wirksam zu planen. Also passiert das komplett ungeregelt.“
Allein gelassen fühlt sich Allerdissen vom Kreis Paderborn. Dieser betont seine Machtlosigkeit: Man werde Mal um Mal gerichtlich verpflichtet, neue Windräder genehmigen zu lassen – notfalls über die Köpfe der Bürgermeister hinweg. Allerdissen hält das für widerrechtlich und den Kreis für konfliktscheu.
„In Borchen und drei Nachbarkommunen stehen mehr Windräder als in ganz Baden-Württemberg“, sagt Allerdissen. Die Akzeptanz der Energiewende sinke rapide. „Viele hier haben das Gefühl totaler Ohnmacht, die aber zunehmend kippt in Wut auf Politik und Rechtsstaat.“Wer zu viel Wind erntet, sät Sturm.