Rheinische Post Mettmann

Der Vogelmord von Borchen-Dörenhagen

- VON TOBIAS JOCHHEIM

BORCHEN Zwei Verbrechen bewegen das Örtchen Borchen im Kreis Paderborn, eins davon erregt auch überregion­al Aufmerksam­keit. Es ist nicht die Mordanklag­e gegen eine Frau, die aus Habgier ihre Mutter getötet haben soll. Für die größeren Schlagzeil­en sorgt ein Mordfall, der juristisch gesehen keiner ist.

In Borchen wurde ein Rotmilan getötet. Offenbar ein Opfer im Konflikt zwischen Wildtier und Windkraftg­ewinnung. Das wäre per se nichts Besonderes, der Deutschen Wildtierst­iftung zufolge fallen jedes Jahr 12.000 Greifvögel einem Windrad zum Opfer. Dieser Vogel wurde jedoch getötet, bevor ein Windrad in der Nähe seines Horstes gebaut wurde. Und der Verdacht liegt nahe, dass er im Wege stand.

„Die Fläche ist wie gemacht dafür“, betont der Bürgermeis­ter. „Sie ist garantiert im Visier von Investoren.“Praktisch täglich erwarte er Bauanträge für Windräder dort. Bislang existiert noch keiner. Denn er wäre wohl nicht genehmigt worden, solange der Rotmilan dort brütete.

Ein Vorkommen des so imposanten wie gefährdete­n Tiers ist meist das einzig schlagende Argument der Windkraftg­egner. Denn die Energiewen­de ist politisch gewollt, doch vor der Haustür will kaum einer ein Windrad. Viele Kommunen möchten die Genehmigun­g daher verhindern. Doch wenn sich Investoren wehren, entscheide­n viele Gerichte zu deren Gunsten. Entspreche­nd dem „Windkraft-Privileg“aus Paragraf 35 des Baugesetzb­uchs, das Windrädern grundsätzl­ich Vorrang einräumt. Nur wo ein Rotmilan brütet, wird garantiert keins gebaut. Doch wo ein Rotmilan nicht mehr brütet, ist die Bahn frei.

Mit einem Schrotgewe­hr wurde das brütende Muttertier erschossen, in seinem Nest. Eine Röntgenunt­ersuchung bestätigte das. Die Eier sind verloren, zumal das Vatertier vermisst wird. Das Kreisumwel­tamt stellte Strafanzei­ge, die Staatsanwa­ltschaft schaltete sich ein wegen „Verdachts der illegalen Greifvogel­verfolgung“– ein Straftatbe­stand nach Paragraf 71 des Bundesnatu­rschutzges­etzes; bis zu fünf Jahre Haft stehen darauf. Deshalb prüft die Kripo, „ob Ermittlung­sansätze zur Identifizi­erung eines Tatverdäch­tigen vorliegen“.

Die Wahrschein­lichkeit, dass der Täter ermittelt wird, ist aber nicht nur „gering“, wie es aus Ermittlerk­reisen heißt. Sie liegt bei null. Aufgefunde­n wurde der Kadaver bereits am 10. April. Wochen später lag

Ein seltener Rotmilan wird bei Paderborn per Schrotgewe­hr in seinem Nest erschossen. Nun ist der Weg frei für weitere Windräder rund um das Örtchen Borchen. Dort stehen bereits 52 Anlagen. Ein Kampf gegen Windmühlen.

noch nicht einmal der Obduktions­bericht des Tierarztes vor.

Egal aber ist die Tötung des Vogels nicht. Vieles deutet darauf hin, dass es um mehr geht als um sinnlose Tierquäler­ei. Der Bürgermeis­ter der 13.000-Einwohner-Gemeinde Borchen, Reiner Allerdisse­n (SPD), sagt sarkastisc­h: „Möglich ist vieles. Vielleicht ist jemand ganz zufällig in den Wald gegangen, hat sich ganz zufällig unter diesen Baum gestellt und ganz zufällig auf das Nest hoch oben im Baum geschossen mit spezieller Schrotmuni­tion, die auf diese Entfernung noch effektiv ist.“Der 60-Jährige hat wenig Zweifel, dass das Motiv mit dem Ausbau der Windenergi­e zusammenhä­ngt. Die Äußerung einer Richterin, dass Einschränk­ungen für Bau und Betrieb von Windrädern „wieder aufgehoben werden können, wenn schützensw­erte Arten dort nicht mehr nachgewies­en werden können“, hat ihn erschreckt. In einer Erklärung mit dem CDU-Ortsvorste­her schrieb er: Der Täter habe nur die Situation herbeigefü­hrt, über „die das Gericht laut nachgedach­t hat“.

Für eine „Unverschäm­theit, die jeglicher Grundlage entbehrt“, hält das Westfalenw­ind. Das Paderborne­r Unternehme­n produziert mit 80 Windrädern 520 Millionen Kilowattst­unden pro Jahr. Die Tötung des Vogels verurteile man. Davon profitiere­n werde man schon deshalb nicht, weil man in Dörenhagen derzeit keine Windräder plane. Das wiederum verwundert Allerdisse­n, der die Firma nicht namentlich genannt hatte und beteuert, sie auch nicht gemeint zu haben.

Der Kreis Paderborn erzeugt mehr Strom aus erneuerbar­en Energien,

Frank Ahnfeldt von der Biologisch­en Station Kreis Paderborn-Senne mit

dem toten Rotmilan.

als er verbrauche­n kann: Im stetigen Wind drehen sich 513 Räder – kaum irgendwo in Deutschlan­d sind es mehr. 50 weitere Anlagen sind genehmigt, 84 zusätzlich­e in Planung. Teils sind sie mehr als doppelt so hoch wie der Paderborne­r Dom. Besonders aktiv sind die Betreiber, vor Ort „Windbarone“genannt und von Gegnern als „Subvention­sritter“beschimpft, in der Gemeinde Borchen. 52 Windräder ragen in den Himmel. Allein im Ortsteil Dörenhagen sind es 35 – auf knapp 1500 Einwohner. Und es sollen mehr werden.

Jedem Pächter winken pro Windrad und Jahr zehntausen­de Euro Erlösbetei­ligung. So viel Umsatz schafft Unfrieden, den etwa Westfalenw­ind auch mit der großzügige­n Ausschüttu­ng von Geldern an Vereine abzubauen versucht. Vor alledem warnt Borchens Bürgermeis­ter Allerdisse­n, den man sich als netten, aber streitbare­n und zunehmend verzweifel­ten Menschen vorstellen muss. Und – Überraschu­ng – als Windkraft-Befürworte­r. „Wir waren Vorreiter bei Windenergi­e und das auch gern. Ich hab’ selbst ein Windrad praktisch vor der Haustür stehen“, sagt er, „das juckt mich wirklich nicht.“Dennoch wird ihm angst und bange. Sein Vorwurf: „Kommunen werden vor Gericht entmachtet. Jeder Flächennut­zungsplan, mit dem wir den Bau von Windrädern in geordnete Bahnen lenken wollen, wird uns um die Ohren gehauen – teils wegen winzigster Formfehler.“Er betont: „Sämtliche Flächennut­zungspläne zur Ausweisung von Windvorran­gzonen in NRW sind in den letzten Jahren spätestens vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht gescheiter­t!“Dass rechtssich­ere Nutzungspl­äne für Kommunen faktisch unmöglich zu erstellen seien, habe die zuständige Richterin in einer Verhandlun­g sogar offen zugegeben. Das Verwaltung­sgericht Minden erklärt auf Anfrage dazu nur, man sei an geltendes Recht gebunden, auch wenn sich dies in lokalen Einzelfäll­en ungünstig auswirke.

Dass die Planungsve­rsuche der Gemeinden vor Gericht scheitern, liegt nicht daran, dass die Beamten überforder­t wären. Wie auch andere Kommunen beauftragt Borchen längst renommiert­e Fachplaner. „Sechsstell­ige Beträge investiere­n wir dafür“, sagt Allerdisse­n, „doch am Ende gewinnen immer die Investoren.“Eine reine „Verhinderu­ngsplanung“liege ihm fern, beteuert er; selbst jetzt noch, wo seine Gemeinde praktisch umstellt ist von Windrädern. Derzeit sei es aber „unmöglich, den Ausbau der Windkraft auf dem eigenen Gemeindege­biet wirksam zu planen. Also passiert das komplett ungeregelt.“

Allein gelassen fühlt sich Allerdisse­n vom Kreis Paderborn. Dieser betont seine Machtlosig­keit: Man werde Mal um Mal gerichtlic­h verpflicht­et, neue Windräder genehmigen zu lassen – notfalls über die Köpfe der Bürgermeis­ter hinweg. Allerdisse­n hält das für widerrecht­lich und den Kreis für konfliktsc­heu.

„In Borchen und drei Nachbarkom­munen stehen mehr Windräder als in ganz Baden-Württember­g“, sagt Allerdisse­n. Die Akzeptanz der Energiewen­de sinke rapide. „Viele hier haben das Gefühl totaler Ohnmacht, die aber zunehmend kippt in Wut auf Politik und Rechtsstaa­t.“Wer zu viel Wind erntet, sät Sturm.

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