Rheinische Post Mettmann

„In Deutschlan­d dauert alles etwas länger“

Der Hellofresh-Gründer erzählt, wie es sich anfühlt, als Start-up an der Börse mehr wert als die Lufthansa zu sein.

- FLORIAN RINKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise zeigte eine Börsennach­richt das ganze Ausmaß der Unsicherhe­it: Der neun Jahre alte Kochboxen-Versender Hellofresh war plötzlich mehr wert als die rund 70 Jahre alte Fluglinie Lufthansa. Statt selbst einkaufen oder ins Restaurant zu gehen, ließen sich die Menschen lieber Lebensmitt­el nach Hause schicken. Das Startup ist einer der Gewinner der Krise.

Herr Griesel, war der Corona-Effekt sofort bei Ihnen spürbar?

GRIESEL Hellofresh ist schon vorher sehr stark gewachsen. So richtig haben wir den Effekt aber erst in der zweiten März-Hälfte gemerkt. Da stieg die Nachfrage nach unseren Kochboxen plötzlich stark an. Gleichzeit­ig haben die Leute auch häufiger bestellt und die Größe der Boxen verändert. Kunden, die vorher drei Mahlzeiten pro Woche bestellt haben, wollten plötzlich fünf haben. Nach dem Motto: Dann ist das schon mal geklärt, da muss ich mich nicht mehr drum kümmern.

Wie haben Sie darauf reagiert?

GRIESEL Wir haben unseren Betrieb stellenwei­se auf ein Drei-SchichtMod­ell umgestellt.

Kunden bekamen von dem Boom nur indirekt etwas mit: Bestellfen­ster wurden nach vorne verlegt und es gab Hinweise, dass manche Zutaten bei Rezepten ersetzt würden.

GRIESEL Am Anfang hatten wir tatsächlic­h Probleme, alle Zutaten von Lieferante­n zu bekommen. Obst und Gemüse kamen zu dieser Jahreszeit nur ganz selten aus Deutschlan­d, sondern eher aus Italien oder Spanien – doch ausgerechn­et die beiden Länder waren besonders von der Corona-Pandemie betroffen. Und dann war eine Zeitlang auch ein Stück weit unklar, ob die Laster überhaupt durch Österreich nach Deutschlan­d fahren können. Wir mussten keine leeren Boxen verschicke­n, aber manche Zutaten waren durch diese Probleme schlichtwe­g in der Stückzahl nicht mehr verfügbar.

Waren die Corona-Effekte in allen Ländern gleich stark zu spüren?

GRIESEL Im Grunde ja. Der Zeitpunkt variierte leicht, je nachdem, wann die Regierunge­n Ausgehbesc­hränkungen oder ähnliches in den Ländern verschärft­en. Aber generell waren die Unterschie­de eher marginal.

Ende März haben 4,2 Millionen Kunden weltweit Ihre Boxen bestellt. Im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum stieg die Kundenzahl um fast 70 Prozent. Wie ist die Lage jetzt?

GRIESEL Wir haben natürlich davon profitiert, dass viele Leute die Lage genutzt haben, um unser Angebot einfach mal auszuprobi­eren. Corona

war der Trigger bei denjenigen, die vorher vielleicht aus verschiede­nen Gründen skeptisch waren. Wir sehen aber auch, dass unser Absatz auf einem ganz anderen Niveau stabil bleibt – obwohl man wieder problemlos in den Supermarkt oder in ein Restaurant gehen kann.

Ihr Börsenkurs ist innerhalb von einem Jahr um 300 Prozent gestiegen. Sie haben mit 33 Jahren ein Unternehme­n aufgebaut, das an der Börse sechs Milliarden Euro wert ist. Was denkt man sich da?

GRIESEL Wir sind natürlich stolz. Wir wussten natürlich, dass unsere Branche etwas weniger krisenanfä­llig ist. So nach dem Motto: Gegessen wird immer. Aber natürlich ist es auch ein Stück weit Glück. Es gibt ja auch unheimlich viele gute Unternehme­n, die jetzt sehr hart getroffen wurden, ohne dass sie etwas falsch gemacht hätten. Insofern muss man da schon ein bisschen bescheiden sein.

Wie haben Sie das Unternehme­n denn in der Corona-Zeit geführt? Normalerwe­ise sind Sie ja viel im Flieger unterwegs, weil Sie bei Hellofresh für den internatio­nalen Markt zuständig sind.

GRIESEL Das ging eigentlich ganz gut. Ich saß in meiner Wohnung in Düsseldorf im Homeoffice und habe das meiste per Telefon und Videokonfe­renz geregelt. Man hatte morgens, gerade in der Sommerzeit, ein relativ großes gemeinsame­s Zeitfenste­r mit Australien und Neuseeland. Und nachmittag­s gibt es ein gemeinsame­s Zeitfenste­r mit Kanada. Das geht schon – ich musste halt nur genau überlegen, wann ich wen erreichen kann.

Ist das dauerhaft denkbar?

GRIESEL Vorübergeh­end geht das schon. Aber generell ist es keine Lösung, die man in der Form ein halbes Jahr oder ein Jahr machen kann oder sollte. Der persönlich­e Austausch ist ja weiterhin wichtig. Wir haben den Vorteil, dass viele Leute in den Teams der verschiede­nen Länder schon Jahre dabei sind. Daher kennen wir uns auch gut und ich muss nicht zwangsläuf­ig so stark präsent sein. Aber wir hatten durch die Reisebesch­ränkungen auch massive Probleme.

Inwiefern?

GRIESELBei uns kommt es relativ häufig vor, dass Leute mal innerhalb der Länderteam­s wechseln – so wie in einer Konzernkar­riere, wo man auch mal ein paar Jahre ins Ausland geht und dann wiederkomm­t. Das finden unsere Mitarbeite­r super spannend. Aber momentan haben wir zum Beispiel ein paar Fälle, wo wir Leute aus Europa in Neuseeland eingestell­t haben und umgekehrt. Die sitzen momentan fest, weil man zum Beispiel nicht nach Neuseeland kommt. Wir haben den Kollegen jetzt erstmal Verträge für das Land gegeben, in dem sie gerade sind, und versuchen, sie in derselben Zeitzone arbeiten zu lassen. Aber es ist schon sehr komplizier­t.

Hellofresh ist eines der wenigen deutschen Unternehme­n, das in den USA deutlich erfolgreic­her ist als auf seinem Heimatmark­t. Funktionie­rt Ihr Modell in angelsächs­ischen Ländern wie auch Kanada, Australien oder Neuseeland besser als in Europa?

GRIESEL Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. In Europa sind die Menschen in den Niederland­en oder auch skandinavi­schen Ländern auch sehr offen für unser Modell. Deswegen sind wir jetzt auch in Dänemark gestartet.

Und wie viele Kunden haben Sie inzwischen in Deutschlan­d?

GRIESELGen­aue Zahlen verraten wir nicht. Deutschlan­d war aber lange ein Markt, der hinter anderen stark hinterher gehinkt hat. Der Deutsche hat eine gewisse Grundskeps­is: Warum soll ich das machen, hat ja bislang auch funktionie­rt? Mittlerwei­le holt Deutschlan­d definitiv sehr stark auf. Damit haben wir aber eigentlich auch gerechnet.

Wieso?

GRIESELDeu­tschland ist eigentlich selten der Markt in Europa, der Vorreiter bei solchen Entwicklun­gen ist. Das sieht man auch bei anderen Geschäftsm­odellen. Hier dauert einfach alles etwas länger. Aber jetzt kommt es.

 ?? FOTO: HELLOFRESH ?? Thomas Griesel steht im Versandzen­trum von Hellofresh. Beim Kochboxen-Versender kümmert er sich um das internatio­nale Geschäft.
FOTO: HELLOFRESH Thomas Griesel steht im Versandzen­trum von Hellofresh. Beim Kochboxen-Versender kümmert er sich um das internatio­nale Geschäft.

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