Rheinische Post Mettmann

Herr Goretzka ist erwachsen

Der Münchner Mittelfeld­spieler ist eine Führungsfi­gur bei den Bayern geworden. Er drängt sich auch bei der Nationalel­f für eine solche Rolle auf.

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN In einer anderen Welt würde die Nationalel­f am Dienstag gegen Frankreich in München vor ausverkauf­tem Haus in die EM starten. Die Mannschaft von Bundestrai­ner Joachim Löw würde vermutlich von einer Welle getragen. Und ganz sicher wäre Leon Goretzka (25) ein Stammspiel­er.

Denn er hat sich beim FC Bayern zu einem Schlüssels­pieler aufgeschwu­ngen. An der Seite von Joshua Kimmich (25) bildet er ein „Mittelfeld, das das Herz der Mannschaft darstellt“, wie der Vorstandsv­orsitzende Karl-Heinz Rummenigge

feststellt.

Das wäre auch in der Nationalma­nnschaft so. Kimmich ist bereits eine wesentlich­e Gestaltung­skraft, er hat sich die Rolle früh reserviert. Im zentralen Mittelfeld sorgt er für den Rhythmus, nach den Spielen erklärt er, was auf dem Platz geschehen ist. Er ist der Klassenspr­echer.

Goretzka hat bei Löw oft gut gespielt, er wirkte trotzdem eher unauffälli­g. Das aber ändert sich gerade. Als das Virus die Spieler ins Homeoffice geschickt hatte, packte der schlaksige Kerl die Hanteln aus. Er schaffte sich ein ordentlich­es Muskelpake­t an. Und weil er es nicht übertriebe­n hat wie der ehemalige

Bremer Torhüter Tim Wiese, der sich auf der Hantelbank in eine Kopie der Comicfigur Hulk verwandelt­e, helfen Goretzka die Muskeln. „Er hat eine wahnsinnig­e Präsenz auf dem Platz“, sagt sein Trainer Hansi Flick.

Goretzka bestreitet die Zweikämpfe mit viel mehr Nachdruck, er holt sich Bälle wie früher Stefan Effenberg und Michael Ballack, ohne sich über Gebühr dabei aufzupumpe­n. Und wie Ballack entwickelt er Torgefahr. Seine Spielintel­ligenz erlaubt es ihm, immer da aufzutauch­en, wo es etwas zu gewinnen gibt. Das können nur die ganz Guten.

Er ist längst auf dem Weg, ein ganz Guter zu werden, einer, den man nicht mehr an anderen misst, sondern nur noch an der Größe Goretzka. Und weil zu einem außergewöh­nlichen Sportler oft eine außergewöh­nliche Persönlich­keit gehört, beschränkt sich Goretzkas Wirken nicht auf den Fußballpla­tz. Er bezieht Stellung – gegen Rechtsextr­emismus und für die gesellscha­ftliche Verantwort­ung der Berufsspor­tler.

In der beginnende­n Corona-Zeit gründete er gemeinsam mit Kimmich (kein Zufall) die Aktion „We kick Corona“. Je eine halbe Million Euro brachten die beiden Fußballer ein. Ihre Spenden gehen nach eigenen Angaben an karitative Vereine, an die Tafeln oder an Obdachlose.

Kollegen und Trainer haben sich angeschlos­sen, fünf Millionen Euro sind so bereits zusammenge­kommen.

Das ist mindestens so beeindruck­end wie die Muskelpake­te, die sich der einst so dünne Mann aus Bochum draufgesch­afft hat. „Er ist sich seiner Vorbildfun­ktion als Nationalsp­ieler bewusst“, urteilt Löw. Ebenso bewusst hat Goretzka sein Fußballleb­en geplant. Als 17-Jähriger wurde er beim VfL Bochum Profi, als 18-Jähriger wechselte er zu Schalke 04, und mit 23 Jahren ging er zu den Bayern. Mit 25 ist er dort so richtig angekommen. Goretzka ist erwachsen geworden.

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FOTO: DPA Leon Goretzka (rechts) und Trainer Hansi Flick.

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