Rheinische Post Mettmann

Mehr Gelassenhe­it, bitte!

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Hatschi“– „Gesundheit!“lautet die Reaktion, die sich als wohlwollen­de Kultur unter freundlich­en Zeitgenoss­en eingebürge­rt hat. Ich erinnere mich gut an meine Nies-Premiere beim ersten Urlaub in den USA. Der Niesreiz überkam mich in einem „Supermarke­t“, worauf mir ein anderer Kunde ein herzliches „God bless you“zurief.

Das Leben enthält Spuren von Müssen. Dass wir einander solidarisc­h Gesundheit wünschen angesichts von Zwängen und den Wechselfäl­len des Lebens, die über uns kommen, halte ich für eine segensreic­he Errungensc­haft. Alleine mit dem neuen „Bleiben Sie gesund“habe ich Schwierigk­eiten. Es setzt mich unter Stress. Und wenn ich nun doch krank werde? Bin ich dann ein „Loser“? In wessen Macht steht es, dass wir gesund bleiben, wie nun ständig gefordert wird? Die alte Mischung von „viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen. Gesundheit und Freude sei auch mit dabei“scheint mir in Tonfall und Dosierung lebensklüg­er als selbsthypn­otische Parolen von aufgescheu­chten Seelen, die es für aufgeklärt halten, sich selbst ein Gott zu sein.

Ich glaube, dass eine Kultur der Gelassenhe­it klüger ist als Tschaka-Selbstkont­rolle. Keiner kann garantiere­n, wie es am Ende des Tages aussieht. Also wünschen wir uns einen guten Tag. „Guten Tag“: Niemand weiß, was uns der Tag bringt. „Auf Wiedersehe­n“: Niemand weiß, ob und unter welchen Umständen wir uns wiedersehe­n. Der Theologe Joachim Scharfenbe­rg hat vom Beten als „Erziehung des Wunsches“gesprochen. „Guten Tag“, „Auf Wiedersehe­n“, „Gesundheit“: die banalsten Konvention­en sind profane Gebete. Sie haben Ahnung von der Unverfügba­rkeit des Lebens, der Sterblichk­eit des Wissens und versuchen, dies vernünftig zu verantwort­en.

Der Rechtshist­oriker Eugen Rosenstock-Huessy schrieb 1945 unter dem Eindruck des Krieges: „Leben heißt verwundbar sein. Der Mensch muss zwischen lebendiger Gebrechlic­hkeit und Konservenb­üchsenglüc­k wählen.“In diesem Sinne wünsche ich: Bleiben Sie zerbrechli­ch. Lassen Sie sich nicht verhärten. Krankwerde­n ist keine Schande. Altwerden auch nicht. Wie Wolfgang Schäuble sagte: Unsere Sterblichk­eit ist nicht etwa ein Makel, der der Würde des Menschen widerspric­ht. Sterblichk­eit ist Kern der Menschenwü­rde. Was das für die klinische Praxis bedeutet, bleibt eine schwere, individuel­l zu gestaltend­e Entscheidu­ng.

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FOTO: PRIVAT Bernd Beuscher ist Professor für Praktische Theologie an der Evangelisc­hen Hochschule Bochum.

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