Willensstark, kämpferisch und sehr lustig
Ruth Willigalla gründete 1978 den Frauen-Heimatverein Weiter. Jetzt ist sie 90 und blickt zurück auf ein turbulentes Leben.
GERRESHEIM Bei Ruth Willigalla überwiegt klar die Freude über das Leben, über das Alter zu grübeln, ist so gar nicht ihre Sache. 90 Jahre alt ist sie gerade geworden, und ein Besuch in ihrer Gerresheimer Wohnung verdeutlicht, wie positiv diese Frau denkt: „Ich bin so gerne alt. Ich habe nie nach dem Alter gefragt. Das ist doch wirklich nur eine Zahl,“sagt sie. Und das voller Überzeugung. Von ihrer Mutter hat sich Ruth Willigalla eine Menge abgeschaut, wie sie betont: „Sie hatte immer das Radio an, und wenn sie zum Beispiel aufräumen musste, dann tanzte die regelrecht durch die Wohnung, weil es dann einfach viel mehr Spaß macht“
Neugierig sei sie schon immer gewesen, sagt die rüstige Seniorin. Als Jugendliche habe sie den Dachdeckern bei der Arbeit zugeschaut, „das war direkt nach dem Krieg, als wir Frauen und Mädchen sowieso fast alles alleine machen mussten, weil eben kaum Männer da waren. Es gab Eisenbahn- und Busfahrerinnen und Handwerkerinnen.“Sie sei dann auch alleine aufs Dach geklettert und habe es gedeckt. Ihr Motto, das sie ihr Leben lang beibehielt: „Geht nicht, gibt es nicht“, meint sie stark.
Das dachte sie sich auch, als sie im Jahr 1978 zu den Düsseldorfer Jonges marschierte und Mitglied werden wollte. „Das war und ist ja immer noch ein reiner Männerverein, was also tun? Nicht ärgern, sondern handeln! Ich gründete kurzerhand das Pendant, die Düsseldorfer
Weiter“, erinnert sich Ruth Willigalla. Mundartlich gesprochen ist ein Weit ein Mädchen, das Wort leitet sich von Maid ab. „22 muntere Düsseldorferinnen trugen diese Idee des Frauenvereins damals mit. Heute, nach mehr als 40 Jahren, sind Frauen aus den unterschiedlichsten Berufen Mitglied bei den Weitern.“Sie wollen über ihre Heimatstadt, ihre Historie und ihre Lebensgewohnheiten mehr erfahren und aktiv am Düsseldorfer Leben teilnehmen.
Längst hat Ruth Willigalla den Vorstand der Weiter abgegeben und führt langsam ein beschauliches Leben. Vor ihrem Fenster steht eine riesengroße Erle, „ich begrüße sie morgens und verabschiede sie abends, Natur ist etwas Wunderbares,“sagt sie. Zudem sei das „einzig Kriminelle, was ich noch mache, fernsehen“. Sie lacht schallend, während sie das erzählt, überhaupt wache sie morgens schon singend und mit den Füßen zappelnd im Bett auf. „Das Gen habe ich wohl von meiner Mutter.“Diese war es auch, die der Tochter seinerzeit den Rat mit auf den Weg gab, ihr eigenes Geld zu verdienen („Du musst mal deine eigene Rente haben!“) und auch politisch aktiv zu sein. Zur kaufmännischen Angestellten ließ sich Willigalla daher ausbilden, war Redaktionssekretärin und hatte später sogar mit der Awo eine eigene Zeitung für Migranten. Dass sie als SPD-Frau auch für den Düsseldorfer Stadtrat kandidierte, verdankt sie wohl ihrer unbändigen Energie. Aufhalten ließ sie sich nie, „auch wenn mein Mann und meine Söhne sagten: Hast du immer noch nicht genug zu tun?“
„Ich finde es immer noch toll, dass wir die Weiter gegründet haben, Frauen können gar nicht genug trommeln für ihre Belange und netzwerken, das ist schon eine ganz wichtige Plattform“, findet sie, „und Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, ist das A und O.“Groß gefeiert hat sie ihren Geburtstag übrigens noch nicht – natürlich wegen der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. Das hat Ruth Willigalla auf den September verschoben. „Dann freue ich mich, Weggefährten und alte Freunde um mich zu haben und natürlich meine Familie.“Derweil übt sie auf der Mundhamonika. „Das ist super für die Atmung“, sagt Willigalla und gibt eine Kostprobe ihres Könnens. Konzentriert bläst sie die Luft in das Instrument, es ist ein sehnsuchtsvolles Stück, ein bisschen Fernweh kommt auf, es ist das Volkslied „Am Golf von Biskaya“.