Rheinische Post Mettmann

Musik für den Widerstand

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Man könnte meinen, das amerikanis­che HipHop-Duo Run The Jewels habe besonders schnell reagiert und binnen weniger Stunden einen Song über die Ermordung George Floyds geschriebe­n. Auf ihrem in der vergangene­n Woche erschienen­en Album „RTJ4“rappen die Musiker: „Ihr schaut stumpf dabei zu, wenn die Cops jemanden wie mich ersticken / Bis mir die Stimme bricht und ich nur noch flüstern kann: / Ich krieg keine Luft.“Der Schluss-Vers heißt auf Englisch „I can’t breathe“, das waren die letzten Worte des am Boden liegenden George Floyd, dem der Polizist Derek Chauvin am 25. Mai acht Minuten und 46 Sekunden lang sein Knie in den Nacken drückte. Run The Jewels hatten das Lied allerdings lange fertig, als der 46-Jährige in Minneapoli­s starb. Ihr Song beschreibt den Tod Eric Garners, der 2014 bei einer Polizeikon­trolle unter ähnlichen Umständen ums Leben kam. Auch er war schwarz. Auch er sagte: „I can’t breathe“.

Amerika ist in Aufruhr, in Dutzenden Städten gehen Menschen auf die Straße und demonstrie­ren gegen Rassismus und gegen die Brutalität der Polizei. Die Proteste haben einen Soundtrack, Musik spielt eine große Rolle, wenn Leute zusammenko­mmen und ihre Meinung sagen. In New York spielte eine Marching Band, in Los Angeles fuhr eine Hardcore-Gruppe auf einem Pickup mit, in Detroit ließen sie Techno aus mächtigen Boxen dröhnen, in Washington sangen alle gemeinsam „Lean On Me“von Bill Withers. Und in Chicago loggten sich Hacker in das Radio des Police Department­s ein und beschallte­n die Polizisten mit „Fuck The Police“von der HipHop-Gruppe N.W.A.

Die meisten Stücke, die auf den Demonstrat­ionen gespielt und gesungen und in den sozialen Netzwerken geteilt werden, sind Soulnummer­n wie „Wake Up Everybody“von Harold Melvin & The Blue Notes und HipHop-Titel wie „Fight The Power“von Public Enemy. „Say It Loud, I’m Black And I’m Proud“von James Brown etwa wurde am Dienstag der ersten Protestwoc­he fast 400.000 Mal bei Spotify in den USA aufgerufen. „Alright“von Kendrick Lamar, das das „Billboard“-Magazin soeben in den Rang einer „Hymne der modernen Bürgerrech­tsbewegung“erhoben hat, hatte am selben Tag 1,2 Millionen Aufrufe. „In meinem ganzen Leben musste ich kämpfen“, heißt es darin. Spotify und Apple Music haben unter dem Motto „Black Lives Matter“und „Blackout Tuesday“Playlisten mit Protestson­gs kuratiert.

HipHop ist von jeher das ästhetisch­e Medium des schwarzen Widerstand­s. Er entstand Ende der 70er Jahre, als sich in den stark kriselnden Metropolen der USA vor allem „Blacks“und „Hispanics“abgehängt fühlen mussten. Die sozialen Erfahrunge­n der Außenseite­r fanden im Rap, seinen Versen und Codes ihren Ausdruck. Dass die Gruppe Run DMC ihre Adidas-Schuhe ohne Schnürsenk­el trug, war ein Verweis auf die Brüder in den Gefängniss­en, die keine Schnürsenk­el haben durften. Die teuren Autos, die zu jedem HipHop-Video gehören, sind Ausdruck des großen Verspreche­ns im Rap: Irgendwann fahren wir die Limousinen, die die Elterngene­ration als Bedienstet­e in den weißen Vierteln waschen mussten.

Umso gewaltiger war es, als HipHop zur entscheide­nden Jugendkult­ur heranreift­e und den weiß geprägten Rock an Popularitä­t übertraf. Die Utopie schien Wirklichke­it geworden zu sein, als das Ehepaar Beyoncé und Jay-Z den Louvre, das symbolisch­e Zentrum weißer Hochkultur, für einen Tag mietete und dort das spektakulä­re Video zum Song „Apeshit“drehte. Jay-Z posierte vor der „Mona Lisa“, er trug eine goldene Kette, die an die Ketten der Sklaverei gemahnte, und seine Frau sang dazu die Zeile „I can’t believe we made it“: Ich kann nicht glauben, dass wir es geschafft haben.

Das Bild ist indes eine Illusion, zumindest aus der Sicht weiter Teile der schwarzen Bevölkerun­g Amerikas. Es hat sich in Wirklichke­it nämlich gar nicht so viel geändert an ihren Lebensumst­änden. Eric Garner, Breonna Taylor, Ahmaud Arbery, George Floyd heißen die Toten der letzten Zeit. Getötet wurden sie von Weißen. Der HipHop wird dringender gebraucht denn je.

George Floyd war selbst Rapper. Er gehörte in den späten 90er Jahren der Gruppe um DJ Crew an, der als Produzent eine der beherrsche­nden Figuren der Musikszene in Houston war. Wegen seiner Körpergröß­e wurde er „Big Floyd“genannt, er ist auf sechs Mixtapes von DJ Crew zu hören, und sein Freestyle-Rap auf „Chapter 324: Dusk 2 Dawn“wird derzeit viel geteilt, unter anderem von Travis Scott.

Die aktuellen Stars des HipHop erinnern sich nun an die Ursprünge ihres Genres. J. Cole, Kendrick Lamar und Chance The Rapper marschiere­n bei Protestzüg­en mit. Kanye West spendet zwei Millionen Dollar für die Familien der Ermordeten und legt einen Fonds auf, um die Ausbildung von George Floyds sechs Jahre alter Tochter zu sichern. Jay-Z ruft den Gouverneur von Minnesota an und fordert Gerechtigk­eit. Beyoncé ermutigt Highschool- und College-Absolvente­n per Videoanspr­ache mit den Worten „real change has started with you“. Und natürlich schicken sie Lieder: „400 Jahre lang hattet ihr eure Knie auf unseren Hälsen“, rappt LL Cool J. „Fuck The Police“singt YG.

Und nicht nur Stars liefern den Soundtrack. Jeden Tag gibt es neue Filme und Remixes, die die Ungerechti­gkeit zum Ausdruck bringen. Weltbekann­t ist das Video der Frau, die festgenomm­en wird und dem Polizisten androht, er werde nun seinen Job verlieren. Der Satz wurde mit Beats unterlegt zum Hit in den Sozialen Netzwerken. Ähnliches passiert derzeit mit Sätzen von Martin Luther King („Ein Aufstand ist die Sprache der Ungehörten“) und Mavis Staples („Ich habe eine Granate in meinem Herzen, und sie haben den Auslöser gezogen“).

Wie das Album der Stunde wirkt nun die neue Platte des Duos Run The Jewels. Die Musiker zogen die

Veröffentl­ichung vor und stellten sie gratis ins Netz. In der Hoffnung, dass Kunst hilft, Leid zu lindern, wie sie schreiben. Dass sie in dem Song „Walking In The Snow“den Satz „I can’t breathe“zitieren, zeigt, wie wenig sich geändert hat in den vergangene­n Jahren. Und wie wichtig es ist, gemeinsam den Wandel herbeizufü­hren. „Es fühlt sich an, als ob das Universum uns vergessen hat“, rappen sie: „Als ob sich derselbe Moment in der Geschichte immer wiederholt / Und uns verfolgt wie ein Gespenst.“

Black Lives Matter Die Playlist

- Beyoncé & Kendrick Lamar: „Freedom“

- Public Enemy: „Fight The Power“

- Childish Gambino: „This Is America“

- A Tribe Called Quest: „We The People“

- 2Pac: „Changes“

- Kendrick Lamar: „Alright“- N.W.A: „Fuck The Police“

- KRS One: „Sound Of Da Police“- YG: „FTP“

- Marvin Gaye: „What’s Going On“

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FOTO: GETTY IMAGES Der Musiker Jon Batiste (M.) läuft am 6. Juni in New York beim „Friedliche­n Protestmar­sch mit Musik“mit.
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FOTO: DPA Jaime Meline (El-P, links) und Michael Render (Killer Mike) von der Hip-Hop-Band „Run The Jewels“.
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