Rheinische Post Mettmann

Der ewige Rassismus

In den USA herrscht seit Donald Trumps Amtsantrit­t Stillstand im Kampf gegen die Diskrimini­erung von Schwarzen. Sein Berater Larry Kudlow leugnete das Problem sogar.

- VON JULIAN HEISSLER

Larry Kudlow ist ein wichtiger Mann in Washington, D.C. Er leitet den Nationalen Wirtschaft­srat im Weißen Haus, ist damit der einflussre­ichste wirtschaft­spolitisch­e Berater von US-Präsident Donald Trump. Er hat Zugriff auf Berge von Akten und Daten über die amerikanis­che Volkswirts­chaft, könnte damit in fast jeder Frage einen meilenweit­en Informatio­nsvorsprun­g vor der Öffentlich­keit haben.

Am Mittwoch trat Kudlow nun vor der Regierungs­zentrale vor die Presse und sagte: „Ich glaube nicht, dass wir heutzutage strukturel­len Rassismus haben.“Und hier liegt das Problem.

Man braucht wahrlich kein Herrschaft­swissen, um Kudlows Proklamati­on als schlicht falsch zu erkennen. Nur ein paar Zahlen: Das mittlere Vermögen eines schwarzen US-Haushalts betrug vor vier Jahren 17.600 Dollar. Das eines weißen Haushalts war fast genau zehn Mal so hoch. Während die Arbeitslos­igkeit in den USA im Mai im Vergleich zum Aprill überrasche­nd um 2,5 Millionen gesunken ist, stieg sie für Afroamerik­aner sogar noch leicht an – um 100.000.

Schwarze Amerikaner haben eine niedrigere Lebenserwa­rtung, leiden schon in jungen Jahren häufiger unter chronische­n Krankheite­n wie Diabetes. Die Sterberate unter mit dem Coronaviru­s infizierte­n Afroamerik­anern ist 2,4mal höher als die des weißen Bevölkerun­gsteils.

Eine andere häufigere Todesursac­he: Polizeigew­alt. Für Afroamerik­aner in ihren 20ern rangiert „Polizist“in den Top Ten der Dinge, die sie das Leben kosten können – direkt nach Krebs. Einer von 1000 schwarzen Männern stirbt durch Ordnungshü­ter. George Floyd ist damit wahrlich keine Ausnahme. Vor Gericht werden Schwarze durchschni­ttlich zu 20 Prozent höheren Strafen verurteilt als Weiße, die des gleichen Vergehens für schuldig befunden werden.

All das kann man wissen. Ein führender Regierungs­berater sollte es sogar. Und hier keine Struktur zu erkennen, ist schlicht weltfremd.

Diese Zahlen sind die Folge eines Rassismus, der tief im amerikanis­chen System verankert ist. Über Jahrhunder­te wurden Schwarze in Teilen der USA strukturel­l benachteil­igt, von Wohlstand, Teilhabe und Bildung ferngehalt­en – und zwar staatlich sanktionie­rt. Auf das Ende der Sklaverei folgte ein Jahrhunder­t der rechtliche­n Marginalis­ierung in den Südstaaten (nicht, dass im Norden alles gut gewesen wäre), die erst mit den Bundesgese­tzen in Folge der Bürgerrech­tsbewegung Mitte der 1960er Jahre ihr Ende nahm. Das Verspreche­n des amerikanis­chen Traums gilt noch keine 60 Jahre für die gesamte Bevölkerun­g. Nicht viel Zeit, um die historisch­en Folgen eines aller postuliert­en Ideale zum Trotz auf Ungleichhe­it gegründete­n Systems zu überkommen.

Zumal jeder Schritt in diese Richtung auf erbitterte­n Gegendruck stößt. Das Selbstvers­tändnis der Vereinigte­n Staaten als Heimat der Freiheit, als „leuchtende Stadt auf dem Berg“, wie Präsident Reagan sie einmal bezeichnet­e, lässt nicht viel Raum für die Gegenerzäh­lung von Ausbeutung und Rassismus. Das bekam zuletzt vor allem Barack Obama zu spüren.

Der erste schwarze Präsident bewies einerseits, dass für einen außergewöh­nlich talentiert­en Politiker der Weg nach ganz oben nicht grundsätzl­ich versperrt ist. Anderersei­ts sah er sich einem teils hysterisch­en Widerstand ausgesetzt, der sich angesichts seiner recht moderaten Regierungs­politik kaum anders als durch seine Hautfarbe erklären lässt. Es ist kein Zufall, dass Obama als erster Präsident mit einer erlogenen Verschwöru­ngstheorie zu seinem Geburtsort verfolgt wurde, die ihm die Legitimitä­t als Staatsober­haupt absprach. Obama, so die Botschaft, ist anders. Er gehört nicht wirklich dazu. Kaum jemand befeuerte die Gerüchte

so sehr wie Trump. Dessen späterer Wahlslogan: Make America Great Again. Er versprach eine Rückkehr in die Vergangenh­eit. In die Zeit vor Obama.

Seitdem Trump im Weißen Haus regiert, herrscht zumindest aus Washington heraus praktisch Stillstand, was die Bekämpfung des strukturel­len Rassismus in den USA angeht. Nicht, dass vorher gigantisch­e Anstrengun­gen unternomme­n worden wären. Auf die Bürgerrech­ts-Gesetze der 1960er Jahre folgten nur wenige Sozialprog­ramme. Stattdesse­n folgte eine Welle Law-and-Order-Gesetze, die teils die afroamerik­anische Community explizit kriminalis­ierte und so weiter von Aufstiegsc­hancen fernhielt. Der Oberste Gerichtsho­f drehte zudem vor einigen Jahren wichtige Gesetze wie den Voting Rights Act sogar teilweise zurück.

Selbst unter Obama nahm das Thema nicht viel Raum ein. Die Black-Lives-Matter-Bewegung entstand während der Amtszeit eines schwarzen Präsidente­n und eines schwarzen Justizmini­sters. Doch Obama hatte früh in seiner Präsidents­chaft gelernt, dass der Gegenwind zum Orkan wird, wenn er sich zu Themen wie Rassismus zu konfrontat­iv verhält. Vielleicht hätte er mehr mit mehr Engagement mehr erreichen können. Vielleicht wäre er aber auch abgewählt worden.

Es ist durchaus denkbar, dass diese Zurückhalt­ung nun an ihr Ende kommt. Der überwältig­ende Rückhalt, den die Demonstran­ten derzeit in der Bevölkerun­g erfahren, erhöht den Druck auf die Politik. Nicht nur das Beispiel Kudlow zeigt allerdings, dass von der aktuellen Administra­tion in dieser Frage nicht viel zu erwarten ist. Auch der Präsident hat bislang darauf verzichtet, Reformvors­chläge zu machen. Nach einem Regierungs­wechsel könnten die Dinge anders aussehen. Joe Biden verdankt seine Präsidents­chaftskand­idatur schließlic­h vor allem der Unterstütz­ung der afroamerik­anischen Community – und anders als Trump erkennt er zumindest das Problem explizit an. Zu sicher sollten sich die Aktivisten dennoch nicht sein. Ihre Hoffnungen auf Wandel wurden schon zu oft enttäuscht.

Man braucht wahrlich kein Herrschaft­swissen, um Kudlows Proklamati­on als schlicht falsch

zu erkennen

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