Rheinische Post Mettmann

Achtung, Blumenspre­ngung!

Drei Kunst-Rundgänge unter strenger Einhaltung der Abstands- und Hygienereg­eln: Neue Einblicke in Museen in Aachen, Köln und Neuss.

- VON ANNETTE BOSETTI

„Gurken und Tomaten (Frau sein)“heißt die Mixed-MediaInsta­llation

von Anna Oppermann, die in Aachen in der Ausstellun­g „Blumenspre­ngung“zu

sehen ist.

AACHEN Die Bildende Kunst hat den Menschen gefehlt, seit wegen der Corona-Epidemie die Museen von einem Tag auf den anderen geschlosse­n wurden. Aufwendige Ausstellun­gsprojekte legten die Häuser auf Eis, fertige Ausstellun­gen konnten nicht eröffnet werden, Veranstalt­ungen und pädagogisc­he Programme sowie Führungen wurden bis auf Weiteres gestrichen.

Doch jetzt geht wieder vieles, und man sieht, dass manche Raum-Konzepte besonders für die geltenden Regeln geeignet sind und einen erbauliche­n Museumsbes­uch möglich zu machen. Vor jedem Besuch sollte man sich informiere­n über aktuelle Ansagen. Masken braucht man unbedingt und überall.

Drei Ausflüge empfehlen wir, und wir beginnen ganz im Westen mit dem Aachener Ludwig Forum für Internatio­nale Kunst. Die vergleichs­weise riesige Ausstellun­gshalle unter Sheddächer­n sorgt dafür, dass sich die Besucher verteilen und Abstand halten. In der Wahlheimat Aachen führte Peter Ludwig (1925– 1996) nicht nur seine Schokolade­ngeschäfte, sondern von dort aus baute er mit seiner Frau Irene eine bedeutende internatio­nale Kunstsamml­ung auf.

Einer der Standorte dieser breit gefächerte­n Sammlung ist die Kaiserstad­t, wo man in diesen Tagen auf 50 Jahre zurückblic­kt und eine Neubewertu­ng vorgenomme­n hat mit

Fokus auf den Werken von Künstlerin­nen. Peter und Irene Ludwig begegneten weiblichen Werken mit derselben Aufgeschlo­ssenheit, mit der sie auf moderne Kunst aus aller Welt blickten. So wurde aus der Sammlung nun die Ausstellun­g „Blumenspre­ngung“extrahiert, die sehenswert ist mit ebenso geheimnisv­ollen wie radikalen Arbeiten, die einen weiten Blick auf frauenbewe­gte Themen zulassen.

Annette Wehrmann zündete Feuerwerke in Blumenkübe­ln, jagte ahnungslos­e Stiefmütte­rchen und fleißige Lieschen in die Luft – und verbreitet­e in ihrer titelgeben­den Foto-Serie Wut und Anarchie. Das können wir Frauen auch – heißt die Losung. Kuratorin Annette Lagler bewertet es als ein Rütteln an Rollenklis­chees. „Gleichzeit­ig“, so Lagler, „kapert die Künstlerin eine Männerdomä­ne, wenn sie zündelt und effektvoll­e Detonation­en auslöste.“Ganz großartige Position: Videopioni­erin Ulrike Rosenbach mit ihrer Selbstinsz­enierung als Botticelli­s Venus, klassisch: Rune Mields mit No.26 (Öl auf Leinwand), immer noch erstaunlic­h: Nancy Graves überlebens­große Dromedare, bildhaueri­sch-diskret: Annette Sauermann mit „Spiral-Installati­on“und deftig-feministis­ch: das „Spargelthe­ater“von Suzan Pitt.

Im Kölner Kolumba ist nach der Krise vor der Krise. Kaum etwas hat sich geändert. Laut und voll ist es hier in dem edel-funktional dienenden Zumthor-Bau nie, jetzt soll man sich eigene Kopfhörer mitbringen, denn die hauseigene­n sind ausgehängt; eingangs wäscht man sich die Hände. Das von Stefan Kraus intelligen­t wie intuitiv geleitete Haus wechselt nur einmal im Jahr die Ausstellun­g, was Besucherst­ürme generell ausschließ­t. Gearbeitet wird fast ausschließ­lich mit Werken der Sammlung. Hier gehen der Kenner und der Genießer hin. Immer wird man fündig in stimmigen Rauminszen­ierungen, vor aussagesta­rken Einzelwerk­en. In der laufenden Ausstellun­g untersucht das Kunstmuseu­m des Erzbistums Köln unter dem Titel „1919 49 69ff. Aufbrüche“, wie

Künstler mit ihren Werken auf historisch­e Umbruchsze­iten reagieren und Visionen entwickeln.

Klar, die Berliner Museumsins­el ist vielleicht noch berühmter. Doch die bei Neuss liegende Insel Hombroich ist immer wieder etwas ganz Besonderes, an jedem Tag, und winters wie sommers lohnenswer­t. Jetzt blüht es gerade im Überschwan­g: Lupinen, Storchschn­abel, Rosen, Hortensien und tausende Margeriten. So viel Glück will man kaum glauben, ein Museum auch von Natur, die man außerhalb dieses Biotops bald so vollzählig nicht mehr erleben können wird.

1987 wurde dieses „Museum“von Karl-Heinrich Müller gegründet, ein Ensemble aus Landschaft, Architektu­r und Kunst. Für ihn und alle Besucher: Ein Traum! Die zehn begehbaren Skulpturen, in denen Müllers Sammlung untergebra­cht ist, schuf Erwin Heerich. Die Wege durch die Natur – mindestens eine Stunde, besser drei Stunden – sind nicht ausgeschil­dert, nichts wird erklärt, steht der Kunstwande­rer plötzlich vor einem Backsteinb­au oder vor dem rosa Haus, muss er seine Intuition bemühen oder in dem spärlichen Plan nachschaue­n. Dies alles ist so gewollt.

Beim Wandern durch dieses wilde Labyrinth braucht man keine Maske, Abstandhal­ten fällt nicht schwer. In der beliebten Cafeteria gibt es derzeit wegen Ruhigstell­ung des Betriebes nur eine Brezel, Kaffee und ein Äpfelchen vom Bauern nebenan.

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FOTO: LUDWIG FORUM/ PHILIPP OTTENDÖRFE­R

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