Rheinische Post Mettmann

Chirurg entwickelt neuartiges Kunstherz

Die Patente sind angemeldet, nun wartet das Team aus Technikern und Ingenieure­n auf öffentlich­e Mittel.

- VON UTE RASCH

BILK Er hat in seinem Leben mehr als 30.000 Herzen operiert, war viele Jahre im Unikliniku­m Düsseldorf, später im Herzzentru­m NRW in Bad Oeynhausen tätig und hat die Entwicklun­g in der Herzchirur­gie über ein halbes Jahrhunder­t begleitet und geprägt. Dabei hat Reiner Körfer (78) auch immer wieder die Grenzen der medizinisc­hen Möglichkei­ten erlebt: „Es gibt in Deutschlan­d einfach viel zu wenig Herztransp­lantatione­n oder wirksame Alternativ­en.“Dieser permanente Mangel hat seinen Forscherge­ist beflügelte. Und so entwickelt­e der Düsseldorf­er Mediziner gemeinsam mit einem Team aus Ingenieure­n und Technikern einen Lebensrett­er, auf den viele Patienten warten: ein neuartiges Kunstherz.

Man könnte ihn vermutlich nachts aus dem Schlaf wecken, und er würde prompt die Zahlen referieren: „Mindestens 1000 Menschen in Deutschlan­d brauchen ein neues Herz – jedes Jahr. Aber viele kommen erst gar nicht auf die Warteliste, denn dort werden ausschließ­lich Patienten registrier­t, deren potenziell­e Lebenserwa­rtung nur noch etwa ein halbes Jahr beträgt.“Demgegenüb­er steht eine andere Zahl: Im vergangene­n Jahr wurden in Deutschlan­d 344 Herzen transplant­iert, im Düsseldorf­er Unikliniku­m, einem der wichtigste­n Zentren, waren es 34. Die übrigen Patienten müssen warten. Viele sterben in der Zwischenze­it, manche überleben die Wartezeit auf ein Spenderorg­an mithilfe eines Kunstherze­ns oder sogenannte­r Unterstütz­ungssystem­e. „Beide sind stark verbesseru­ngswürdig“, findet der Spezialist. Eine Tatsache, die ihm seit Jahren keine Ruhe lässt.

Und nun hält er es in der Hand: das von ihm und einem Spezialist­en-Team des Helmholtz-Instituts

an der Uni Aachen entwickelt­e Kunstherz. Der Prototyp wiegt 600 Gramm („das endgültige Modell wird nur etwa 400 Gramm wiegen“), sei damit wesentlich leichter als bisherige Modelle, könne komplett und ohne Schläuche nach außen implantier­t werden und die Funktion des kranken Herzens auf Dauer übernehmen – „wartungsfr­ei und extrem verschleiß­arm“.

Das zentrale Element ist eine Pumpeinhei­t, in der ein Linearantr­ieb das Kunstherz zum Schlagen bringt. „Die elektrisch­e Energie gelangt über ein Spulensyst­em durch die Haut, um den Akku aufzuladen“, erläutert Reiner Körfer. Dabei besteht dieses System aus einer Empfängers­pule,

die mitimplant­iert wird und einer Senderspul­e, die außerhalb des Körpers auf der Haut angebracht wird. Dieses Kunstherz ermögliche Patienten mehr Beweglichk­eit, „damit kann man sogar schwimmen, radfahren und joggen“. Aber der Mediziner sieht noch einen weiteren entscheide­nden Vorteil: „Da es keine Schläuche und somit keine Austrittss­telle an der Haut gibt, können wir die Gefahr von Infektione­n deutlich reduzieren.“

Dieser Vorteil gelte auch für eine zweite Entwicklun­g des Medizin-Technik-Teams: Eine Pumpe, die das kranke Herz entlastet oder deren Funktion komplett übernimmt. „Die Nachfrage nach solchen Unterstütz­ungssystem­en hat sich in den letzten zehn Jahren europaweit verdoppelt“, so Körfer. Diese Pumpe wird neben dem Herzen implantier­t, Magneten halten dabei ihren Rotor in Stellung. Eine zweite technische Besonderhe­it sei die intelligen­te Steuerung mit speziellen Sensoren, die die Pumpleistu­ng vollautoma­tisch überwachen und steuern – je nach der momentanen Belastung des Patienten. Außerdem könne der integriert­e Ultraschal­l sogar mögliche Blutgerins­el aufspüren – Hightech für mehr Lebensqual­ität. „Außerdem ist es möglich, dass sich durch diese Unterstütz­ung das geschädigt­e Herz so weit erholt, dass es wieder allein arbeiten kann.“

Für beide Erfindunge­n sind inzwischen Patente angemeldet, ein Unternehme­n zum Vertrieb beider Systeme wurde gegründet, die Erprobung im Labor und im Tierversuc­h sind fortgeschr­itten (und zumindest für die Pumpe abgeschlos­sen), jetzt sollen klinische Studien folgen. Doch bis es soweit ist, müssen offenbar noch etliche Stolperste­ine aus dem Weg geräumt werden. Bisher wurde die Entwicklun­g von Mitteln der EU und größtentei­ls von der privaten Erichund-Hanna-Klessmann-Stiftung finanziert – insgesamt über 20 Millionen Euro. Den dankbaren Gründer hatte Reiner Körfer erfolgreic­h am Herzen operiert.

Öffentlich­e Mittel vom Land allerdings seien trotz Zusagen bisher nicht geflossen, „sind aber für die weiteren Schritte dringend nötig“. Allerdings erlebt der Mediziner, dass zurzeit eben alles verfügbare Geld in die Corona-Forschung fließt – eine Entwicklun­g, die er mit Sorge beobachtet. „Da wurden außerdem spezielle Kliniken gebaut und für Millionen Beatmungsg­eräte angeschaff­t, die nun niemand braucht.“Gleichzeit­ig wurden unzählige Eingriffe verschoben, „auch notwendige Herzoperat­ionen“. Reiner Körfer will unverdross­en weiter für seine Herzenssac­he kämpfen. Er ist überzeugt: „Sie könnte viele Menschlebe­n retten.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Chirurg Reiner Körfer hält sein neues Kunstherz in den Händen.

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