Rheinische Post Mettmann

Uhrendieb kommt zu spät zum eigenen Prozess

Der 48-Jährige muss eine stationäre Langzeitth­erapie wegen seiner Drogensuch­t antreten, die ihn in die Beschaffun­gskriminal­ität trieb.

- VON SABINE MAGUIRE

ERKRATH/WUPPERTAL Wegen Uhren-Diebstahls war ein 48-Jähriger vom Amtsgerich­t zu sechs Monaten Freiheitss­trafe verurteilt worden. Dagegen war der Angeklagte in Berufung gegangen – und die wurde nun am Landgerich­t verhandelt.

Mit der Zeit scheint er es dennoch nicht so genau zu nehmen: Alle waren da, nur der 48-Jährige und seine Anwältin fehlten. Beide wussten offenbar nicht, dass die Uhren inmitten der Corona-Krise anders ticken und man wegen der Kontrollen und eines verlangsam­ten Einlasses deutlich mehr Zeit einplanen muss, um noch pünktlich im Gerichtssa­al anzukommen. Seit Tagen wird dort wieder häufiger verhandelt – unter Einhaltung von Abstandsre­geln und durch Abtrennung­en aus Plexiglas hindurch. Maske auflassen oder nicht?

Eine Frage, die Gerichte schon beschäftig­t hat, als es um muslimisch­e Kopfbedeck­ung ging. Gemeinhin gilt: Der Richter will denjenigen sehen können, der vor ihm sitzt. Das wird auch jetzt in den meisten Fällen so gehandhabt – verhandelt wird also üblicherwe­ise ohne Maske. Nun also war der Angeklagte in der Uhren-Angelegenh­eit zu spät gekommen. Wohl auch deshalb, weil sich vor dem Gerichtsge­bäude vor Verhandlun­gsbeginn lange Schlangen bilden.

Gibt es sonst unkomplizi­erte Drehtüren für Justizange­stellte und Anwälte, so müssen jetzt alle Besucher einzeln durch den Sicherheit­sbereich. Nervenzehr­end, wenn man ohnehin in Eile ist. In der Uhren-Sache

war der Berufungsr­ichter jedenfalls kurz davor, den Saal unverricht­eter Dinge wieder zu verlassen, als der Angeklagte und seine Anwältin es dann doch noch dorthin geschafft hatten. Zur Sachlage erfuhr man nur so viel: Es war nicht das erste Mal, dass der Drogenabhä­ngige in die Warenausla­ge eines Discounter­s gegriffen hatte.

In der Aldi-Filiale an der Beckhauser Straße hatte er im Juni vergangene­n Jahres gleich vier Uhren mitgehen lassen – weit ist er damit nicht gekommen. Der Wert des Diebesgute­s

dürfte sich in Grenzen gehalten haben und in diesem Fall waren es eher die lange Vorstrafen­liste und etliche noch laufende Verfahren, die zu einer Freiheitss­trafe ohne Bewährung geführt hatten. Die jedoch hätte der dazu Verurteilt­e wohl ohnehin nicht absitzen müssen.

Vom Berufungsr­ichter war dazu zu hören: „Bei Strafen unter zwölf Monaten gibt es derzeit keine Forderung zum Haftantrit­t.“Auch diese Regelung ist den Problemen inmitten der Pandemie geschuldet, mit denen die Haftanstal­ten zu kämpfen haben. Dort schottet man sich gegen Außenkonta­kte ab, seit März gelten Besuchsver­bote. „Es gibt auch Anträge auf Haftentlas­sung von Insassen, die noch neun Jahre abzusitzen haben – allerdings ohne Aussicht auf Erfolg“, war dazu vom Berufungsr­ichter zu hören.

Dem Uhren-Dieb hatte er zuvor nahegelegt, seine Berufung zurückzune­hmen. Der 48-Jährige wird nun eine stationäre Langzeitth­erapie antreten, um seine Drogensuch­t in den Griff zu bekommen, die ihn in die Beschaffun­gskriminal­ität trieb.

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