Der Museen-Marathon im Selbstversuch
Das Ticket Art-Walk-48 ermöglicht den Besuch in sechs Museen – es gilt aber nur zwei Tage. Unser Autor hat die Tour gemacht.
Museen, das sind Orte der Geistigkeit, des stillen Genießens, der Bildung und des gemächlichen Schwelgens in Kunst und Kultur. Sie stehen nicht für Hektik und schnellen Konsum. Was aber, wenn ein Ticket dazu einlädt, sechs Museen in 48 Stunden zu besuchen? Klar, werden Sie sagen, dann sucht man sich drei, maximal vier raus, macht sich zwei schöne Tage und ärgert sich nicht, an den anderen Häusern nur vorbeigelaufen zu sein. Doch der Art-Walk-48 fordert mich heraus, und ich nehme an. Das vorgezogene Fazit: bedingt empfehlenswert.
Erster Stopp ist für mich das K20, weil es wegtechnisch grob die Mitte bildete und mir für einen großen Einstieg in die große Tour geeignet schien. Morgens, zehn Uhr, ein paar Kleingruppen mit Kindern, die zu Picasso, Dix und Schwitters geführt werden, hörbar sind Tiere das Thema. Ein Rentner-Ehepaar kann sich nicht satt sehen an der „Silikat“-Serie von Gerhard Richter, macht Fotos von sich vor den schwindelerregenden Bildern. Ich schaue mir alles gerne an und frage mich, ob ich am Ende des morgigen Tages bereuen werde, mich derart mit Kunst zuzuschütten. Eine kleine Sitzpause im Salon 20, Ledersessel mit Aussicht auf den sonnenbeschienenen Grabbeplatz. Ein Blick aufs Handy, das Programm drängt, ich verbringe nur wenige, kostbare Minuten mit meinen Lieblingsbildern wie Dix „Kunsthändlerin Johanna Ey“, ich habe noch viel vor.
Zur Kunsthalle muss ich nur die Straße überqueren, ich würde vorher gerne einen Kaffee im „Klee’s“trinken, wie ich es vielleicht nach einem normalen Besuch gemacht hätte, aber die Uhr tickt. Ein Schluck Wasser aus der Trinkflasche muss reichen. Ticket zeigen, Bändchen an den Arm, und schon stehe ich im Foyer der Kunsthalle vor dem ersten Rätsel: Die Fotoserie „Speicher II“von Jörg Sasse hängt mir gegenüber, ohne Titel, nur zwei Zettelchen baumeln an Nägeln, „Freizeit“und „Aussicht“. Ein anderer Besucher lässt sich das Ganze von der Dame von der Rezeption erklären, versteht es aber nicht so ganz. Ich auch nicht, ich frage nach. „Es ist wirklich nicht schwer.“Aha, denke ich, 100 Prozent der Besucher, über die ich urteilen kann, haben das Hängungsprinzip nicht begriffen, aber letzteres ist nicht das Problem. Sie steht auf, erklärt es mir vor Ort nochmal, ich beginne, zu begreifen. Die Kurzform: Die Fotos für die Wand werden aus einem davorstehenden Container, in dem sich Hunderte der metallgerahmten Bilder stapeln, ausgewählt, indem ein Zettel von einer benachbarten Wand gezogen wird (Besucher dürfen das nicht, schade), auf dem das Thema und die Nummern der dazugehörigen Aufnahmen stehen. „Das ist Teil des Kunstwerks“, klärt die hilfsbereite Frau auf.
Beeindruckende, bedrückende und komische Aufnahmen von Thomas Ruff, Andreas Gursky, Timm Rautert und Katharina Sieverding fliegen an mir vorbei, Fotos von Sexarbeitern in St. Pauli, Innenansichten, Badezimmer und Doppelporträts, die die Hippie-Werdung der Abgebildeten von den späten 60ern bis 1975 dokumentieren. Man bräuchte mehr Zeit, aber ich muss weiter, weiter, denn das K21 wartet in diesem Fall ausnahmsweise nicht auf mich. Mittagessen auf einem schattigen Platz im kleinen, sonnenbeschienenen Park südlich der Königsallee, und ab geht’s ins Ständehaus.
Dort angekommen merke ich, dass die Reihenfolge vielleicht doch unvorteilhaft gewählt war. Schwer verdauliche Kost bietet sich mir schon im Archiv Dorothee und Konrad Fischer mit der kleinen Schau über den im Januar verstorbenen John Baldessari. Viele Originalbriefe, maschinenschriftliche Dokumente und ein Video von 1971 in Dauerschleife, Baldessari mit Schnauzbart und langen Haaren bewegt die Arme in verschiedene Stellungen und wiederholt endlos „I am making art“, zum Schluss wie ein wahnhaftes Mantra. Die Lust, sich noch mehr anzuschauen, schwindet, die Gesellschaft schweig- und wachsamer Museumsangestellter, mit denen ich in den Räumen immer wieder alleine bin, hat mich schon den ganzen Tag begleitet und wird allmählich unangenehm. Erst die Räume mit Kunstwerken Ai Weiweis zur Flüchtlingsthematik reißen mich wieder heraus; wie alle Werke des chinesischstämmigen Provokateurs sind die Fotos, Installationen und Plastiken unmittelbar, konkret und greifbar – anders als vieles, was ich in den letzten Stunden erlebt habe. Ein guter Schlusspunkt für Tag eins könnte man sagen, wenn man sich diesen Zynismus angesichts des sehr ernsten Themas erlauben will.
Um der Kunst-Ermüdung vorzubeugen, die ich gestern erlebt habe, und um mich nicht so sehr von den Eindrücken erschlagen zu lassen, nehme ich mir vor, noch einen Zahn zuzulegen. Die populäre Peter-Lindbergh-Fotoschau im Kunstpalast ist die erste Station, und mir fällt auf, dass ich auf meiner Tour noch nie von so vielen Besuchern umgeben war. Das ändert sich kaum, als ich zur gut kuratierten und informativen Ausstellung zu Angelika Kaufmann komme: Die vor allem in Großbritannien und Italien wirkende Künstlerin sprengte im 18. Jahrhundert Ketten, indem sie männliche Akte malte, die gleichen Preise nahm wie ihre Kollegen und sich als Frau in der undankbaren und vorurteilsbehafteten Kunstszene behauptete. Erst in der Fotosammlung „Sichtweisen“wird es leerer – besser gesagt, völlig leer. Ich bin der einzige, der sich die teils aus dem 19. Jahrhundert stammenden Fotos anschaut, für die ich aber – wie für fast alles andere auf dieser Tour – kaum genug Zeit mitbringe.
Denn auch das NRW-Forum steht auf meiner Liste, und zu Recht: Die großen Porträtfotos von Martin Schoeller, der Prominente, Obdachlose, Drag Queens, Bodybuilderinnen und freigesprochene zum Tode Verurteilte zeigt, sind ein Erlebnis. Von komischen Fotos mit Schnappschuss-Charakter wie Bill Murray beim Wohnzimmer-Golf oder Jack Black mit Hund und Lockenwicklern in der Badewanne (einen halb aufgegessenen Teller Kartoffelsalat vor sich) reichen die Bilder bis hin zu den dokumentarischen Porträts der Todeszellen-Insassen, die auch in einer berührenden Video-Vorführung zu Wort kommen.
Ein Besuch im schwarzen, hölzernen Irrgarten der Installation von Yann Annicchiarico im KIT ist der letzte Meilenstein dieser musealen Prozession. Ich merke, dass ich mich kaum auf die Vieldeutigkeit der Arbeit einlassen kann, vielleicht wäre auch hier ein Besuch am Vormittag sinnvoller gewesen. Vielleicht zeigt das aber auch nur, dass es sich mit Museumsbesuchen wie mit dem Salz in der Suppe verhält: weniger ist manchmal mehr.