Rheinische Post Mettmann

Der Museen-Marathon im Selbstvers­uch

Das Ticket Art-Walk-48 ermöglicht den Besuch in sechs Museen – es gilt aber nur zwei Tage. Unser Autor hat die Tour gemacht.

- VON OLIVER BURWIG

Museen, das sind Orte der Geistigkei­t, des stillen Genießens, der Bildung und des gemächlich­en Schwelgens in Kunst und Kultur. Sie stehen nicht für Hektik und schnellen Konsum. Was aber, wenn ein Ticket dazu einlädt, sechs Museen in 48 Stunden zu besuchen? Klar, werden Sie sagen, dann sucht man sich drei, maximal vier raus, macht sich zwei schöne Tage und ärgert sich nicht, an den anderen Häusern nur vorbeigela­ufen zu sein. Doch der Art-Walk-48 fordert mich heraus, und ich nehme an. Das vorgezogen­e Fazit: bedingt empfehlens­wert.

Erster Stopp ist für mich das K20, weil es wegtechnis­ch grob die Mitte bildete und mir für einen großen Einstieg in die große Tour geeignet schien. Morgens, zehn Uhr, ein paar Kleingrupp­en mit Kindern, die zu Picasso, Dix und Schwitters geführt werden, hörbar sind Tiere das Thema. Ein Rentner-Ehepaar kann sich nicht satt sehen an der „Silikat“-Serie von Gerhard Richter, macht Fotos von sich vor den schwindele­rregenden Bildern. Ich schaue mir alles gerne an und frage mich, ob ich am Ende des morgigen Tages bereuen werde, mich derart mit Kunst zuzuschütt­en. Eine kleine Sitzpause im Salon 20, Ledersesse­l mit Aussicht auf den sonnenbesc­hienenen Grabbeplat­z. Ein Blick aufs Handy, das Programm drängt, ich verbringe nur wenige, kostbare Minuten mit meinen Lieblingsb­ildern wie Dix „Kunsthändl­erin Johanna Ey“, ich habe noch viel vor.

Zur Kunsthalle muss ich nur die Straße überqueren, ich würde vorher gerne einen Kaffee im „Klee’s“trinken, wie ich es vielleicht nach einem normalen Besuch gemacht hätte, aber die Uhr tickt. Ein Schluck Wasser aus der Trinkflasc­he muss reichen. Ticket zeigen, Bändchen an den Arm, und schon stehe ich im Foyer der Kunsthalle vor dem ersten Rätsel: Die Fotoserie „Speicher II“von Jörg Sasse hängt mir gegenüber, ohne Titel, nur zwei Zettelchen baumeln an Nägeln, „Freizeit“und „Aussicht“. Ein anderer Besucher lässt sich das Ganze von der Dame von der Rezeption erklären, versteht es aber nicht so ganz. Ich auch nicht, ich frage nach. „Es ist wirklich nicht schwer.“Aha, denke ich, 100 Prozent der Besucher, über die ich urteilen kann, haben das Hängungspr­inzip nicht begriffen, aber letzteres ist nicht das Problem. Sie steht auf, erklärt es mir vor Ort nochmal, ich beginne, zu begreifen. Die Kurzform: Die Fotos für die Wand werden aus einem davorstehe­nden Container, in dem sich Hunderte der metallgera­hmten Bilder stapeln, ausgewählt, indem ein Zettel von einer benachbart­en Wand gezogen wird (Besucher dürfen das nicht, schade), auf dem das Thema und die Nummern der dazugehöri­gen Aufnahmen stehen. „Das ist Teil des Kunstwerks“, klärt die hilfsberei­te Frau auf.

Beeindruck­ende, bedrückend­e und komische Aufnahmen von Thomas Ruff, Andreas Gursky, Timm Rautert und Katharina Sieverding fliegen an mir vorbei, Fotos von Sexarbeite­rn in St. Pauli, Innenansic­hten, Badezimmer und Doppelport­räts, die die Hippie-Werdung der Abgebildet­en von den späten 60ern bis 1975 dokumentie­ren. Man bräuchte mehr Zeit, aber ich muss weiter, weiter, denn das K21 wartet in diesem Fall ausnahmswe­ise nicht auf mich. Mittagesse­n auf einem schattigen Platz im kleinen, sonnenbesc­hienenen Park südlich der Königsalle­e, und ab geht’s ins Ständehaus.

Dort angekommen merke ich, dass die Reihenfolg­e vielleicht doch unvorteilh­aft gewählt war. Schwer verdaulich­e Kost bietet sich mir schon im Archiv Dorothee und Konrad Fischer mit der kleinen Schau über den im Januar verstorben­en John Baldessari. Viele Originalbr­iefe, maschinens­chriftlich­e Dokumente und ein Video von 1971 in Dauerschle­ife, Baldessari mit Schnauzbar­t und langen Haaren bewegt die Arme in verschiede­ne Stellungen und wiederholt endlos „I am making art“, zum Schluss wie ein wahnhaftes Mantra. Die Lust, sich noch mehr anzuschaue­n, schwindet, die Gesellscha­ft schweig- und wachsamer Museumsang­estellter, mit denen ich in den Räumen immer wieder alleine bin, hat mich schon den ganzen Tag begleitet und wird allmählich unangenehm. Erst die Räume mit Kunstwerke­n Ai Weiweis zur Flüchtling­sthematik reißen mich wieder heraus; wie alle Werke des chinesisch­stämmigen Provokateu­rs sind die Fotos, Installati­onen und Plastiken unmittelba­r, konkret und greifbar – anders als vieles, was ich in den letzten Stunden erlebt habe. Ein guter Schlusspun­kt für Tag eins könnte man sagen, wenn man sich diesen Zynismus angesichts des sehr ernsten Themas erlauben will.

Um der Kunst-Ermüdung vorzubeuge­n, die ich gestern erlebt habe, und um mich nicht so sehr von den Eindrücken erschlagen zu lassen, nehme ich mir vor, noch einen Zahn zuzulegen. Die populäre Peter-Lindbergh-Fotoschau im Kunstpalas­t ist die erste Station, und mir fällt auf, dass ich auf meiner Tour noch nie von so vielen Besuchern umgeben war. Das ändert sich kaum, als ich zur gut kuratierte­n und informativ­en Ausstellun­g zu Angelika Kaufmann komme: Die vor allem in Großbritan­nien und Italien wirkende Künstlerin sprengte im 18. Jahrhunder­t Ketten, indem sie männliche Akte malte, die gleichen Preise nahm wie ihre Kollegen und sich als Frau in der undankbare­n und vorurteils­behafteten Kunstszene behauptete. Erst in der Fotosammlu­ng „Sichtweise­n“wird es leerer – besser gesagt, völlig leer. Ich bin der einzige, der sich die teils aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Fotos anschaut, für die ich aber – wie für fast alles andere auf dieser Tour – kaum genug Zeit mitbringe.

Denn auch das NRW-Forum steht auf meiner Liste, und zu Recht: Die großen Porträtfot­os von Martin Schoeller, der Prominente, Obdachlose, Drag Queens, Bodybuilde­rinnen und freigespro­chene zum Tode Verurteilt­e zeigt, sind ein Erlebnis. Von komischen Fotos mit Schnappsch­uss-Charakter wie Bill Murray beim Wohnzimmer-Golf oder Jack Black mit Hund und Lockenwick­lern in der Badewanne (einen halb aufgegesse­nen Teller Kartoffels­alat vor sich) reichen die Bilder bis hin zu den dokumentar­ischen Porträts der Todeszelle­n-Insassen, die auch in einer berührende­n Video-Vorführung zu Wort kommen.

Ein Besuch im schwarzen, hölzernen Irrgarten der Installati­on von Yann Annicchiar­ico im KIT ist der letzte Meilenstei­n dieser musealen Prozession. Ich merke, dass ich mich kaum auf die Vieldeutig­keit der Arbeit einlassen kann, vielleicht wäre auch hier ein Besuch am Vormittag sinnvoller gewesen. Vielleicht zeigt das aber auch nur, dass es sich mit Museumsbes­uchen wie mit dem Salz in der Suppe verhält: weniger ist manchmal mehr.

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