Herr der Schwarzen Löcher
Der Astrophysiker Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut bekommt den Nobelpreis für Physik. Er teilt sich die Auszeichnung mit zwei weiteren Wissenschaftlern, die für ihre Forschungen zu den exotischen Objekten geehrt werden.
STOCKHOLM Der Anruf aus Stockholm erreichte Reinhard Genzel am Dienstag während einer Videokonferenz: Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften verleiht dem Astrophysiker für seine Arbeiten über Schwarze Löcher den Nobelpreis 2020 für Physik. Damit ist nach 13 Jahren wieder ein Deutscher unter den Ausgezeichneten. Genzel ist Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Der gebürtige Bad Homburger studierte Physik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Heute gilt er als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Infrarotund Submillimeter-Astronomie: Den Nobelpreis für Physik teilt er sich mit Roger Penrose (Großbritannien) und Andrea Ghez (USA) für ihre Forschungen zu Schwarzen Löchern.
Reinhard Genzel (geboren 1952) und Andrea Ghez (geboren 1965) werden ausgezeichnet für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie. Sie entdeckten, dass ein unsichtbares und extrem schweres Objekt die Umlaufbahnen der Sterne im Zentrum unserer Galaxie beherrscht. Ein massives Schwarzes Loch sei dafür die einzige derzeit bekannte Erklärung. Nach aktuellem Forschungsstand hat das Objekt mit dem Namen „Sagittarius A*“4,1 Millionen Mal mehr Masse als die Sonne.
Roger Penrose, Jahrgang 1931, erfand geniale mathematische Methoden, um Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie zu erforschen, wie das Nobelkomitee mitteilte. Er bekommt den Preis für die Entdeckung, dass diese Theorie zur Bildung von Schwarzen Löchern führt, jenen Monstern in Zeit und Raum, die alles erfassen, was ihnen nahekommt.
Für den Laien sind derartige Dinge ebenso faszinierend wie schwer vorstellbar. Was ist überhaupt ein Schwarzes Loch? Ein Schwarzes Loch hat keine Oberfläche wie ein Planet oder ein Stern. Einfach ausgedrückt ist es tatsächlich eine Art Loch im Weltraum. Es entsteht, wenn das Leben eines großen Sterns (mit mehr als der 20-fachen Sonnenmasse) in einer gigantischen Explosion, einer Supernova, endet. Zurück bleibt kein stabiler Kern, sondern ein Ort extrem dichter Masse. Diese ist so komprimiert und dreht sich derart schnell, dass in der Umgebung eine ungeheure Massenanziehung, die Gravitation, entsteht. Sie ist so stark, dass aus dem Inneren nichts entweichen kann, ist es einmal hineingeraten. Auch Lichtstrahlen können hier nicht mehr austreten. Daher sprechen Wissenschaftler von „Schwarzen Löchern“. Genau genommen ist es so, dass durch die enorme Gravitation Raum und Zeit in unmittelbarer Nähe der komprimierten Materie derart gekrümmt werden, das Licht wie eingesogen wirkt.
Dennoch darf man sich ein Schwarzes Loch nicht wie einen Staubsauger vorstellen, der einfach alles ansaugt. Nur Materie, die ihm sehr nahe kommt, wird unwiderbringlich verschlungen.
Physiker unterscheiden je nach Masse vier verschiedene Arten von Schwarzen Löchern: Die größten haben eine Masse von 10.000 bis einige Milliarden Sonnenmassen. Die kleinsten Schwarzen Löcher sind vergleichbar mit der Masse eines Erdmondes.
Reinhard Genzel teilt sich den Physik-Nobelpreis mit der Amerikanerin Andrea Ghez. Sie ist nach
Marie Curie (1903), Maria Goeppert-Mayer (1963) und Donna Strickland (2018) erst die vierte Frau, die mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wird. Reinhard Genzel und sie nutzten für ihre Messungen und Beobachtungen die leistungsstärksten Teleskope der Welt. Die Wissenschaftler entwickelten völlig neue Methoden, um ins Zentrum der Milchstraße blicken zu können. Normalerweise verhindern Wolken aus interstellarem Gas und Staub die Sicht. Seit Anfang der 90er Jahre konzentrieren sich beide Forscherteams bereits auf die Region Sagittarius A*. Sie kartierten dort die Umlaufbahnen der hellsten Sterne. Die Messergebnisse beider Teams stimmten überein. Beide fanden Hinweise auf ein Objekt von extremer Masse.
Die Freude über die Auszeichnung war am Dienstag in Garching natürlich groß: „Das ist unglaublich, das ist toll, das ist eine Anerkennung für 30 Jahre harte Arbeit einer ganzen großen Gruppe“, sagte Reinhard Genzel im Deutschlandfunk. Und seine Forscher-Kollegin
Andrea Ghez machte klar, dass die Reise zu den Sternen noch lange nicht zu Ende ist: „Wir haben keine Ahnung, was in einem Schwarzen Loch vor sich geht, das ist es, was diese Objekte so exotisch macht.“
Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet traditionell am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Die höchste Auszeichnung für Physiker ist in diesem Jahr mit insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert – das sind eine Million Kronen mehr als im Vorjahr.