„Man muss das Leben leben“
Das Protokoll DJ Theo Fitsos legt seit ein paar Wochen bei Beerdigungen und Trauerfeiern auf. Aufgezeichnet von Claudia Hauser.
Ich weiß noch genau, dass es der 6. März war, an dem ich das letzte Mal im Chateau Rikx Musik gemacht habe – Soul, Funk, Hip-Hop, alles, wozu man schön tanzen und feiern kann. Und dann war Schluss.
Wir dachten ja alle, dass das Leben im Sommer weitergeht. In den Sommermonaten arbeite ich am meisten und lege bei Hochzeiten und Sommerfesten auf. Stattdessen saß ich frustriert auf meinem Sofa und schaltete hin und her. Und dann lief da ein Film mit einer Beerdigungsszene, in der es totenstill war. Vom Regisseur so gewollt, aber ich dachte mir: Warum gibt es am Grab nie Musik? Lieblingslieder des Verstorbenen oder Songs, die seine Freunde mit ihm verbinden.
Ich rief meinen Bekannten Peter Nakaten an, der ist Bestatter. „Mensch, Theo“, sagte er zu mir, „ich frag die Kunden, was sie von Musik bei der Bestattung halten.“Ich meine, es gibt ja Musik bei Trauerfeiern, meistens ist das aber Orgelmusik – und die hört ja niemand, wenn er noch am Leben ist. Also außer eben in der Kirche. Aber im Laufe seines Lebens hört man ganz andere Musik. So viele Songs in so vielen Situationen, an so vielen Orten!
Die Kunden des Bestatters wollten es ausprobieren, und ich habe mir mit der Hilfe von Freunden ein Lastenrad gekauft, das hab ich zum mobilen DJ-Pult umgebaut, mit schwarzem Samtüberwurf. Mein erster Einsatz auf dem Friedhof war sehr ungewohnt. Das ist nicht wie im Club, wo alle die Hände hochreißen und jubeln. Schön ist, dass es die Besoffenen nicht gibt, die spät nachts mit schrecklichen Liederwünschen nerven. Es ist völlig anders mit traurigen Menschen, und am Grab ist das auch für mich jedes Mal ein Kampf – auch wenn ich die Leute gar nicht kenne. Ich leide da mit. Vor allem wenn Kinder dabei sind, die ein Elternteil verloren haben oder Eltern, die ihr Kind beerdigen müssen. Das nimmt mich mit, auch nach 20 Beerdigungen, die ich begleitet habe.
Die Musik, die die Trauernden hören möchten, kann ich in eine Top 5 einteilen: Trude Herr mit „Niemals geht man so ganz“, Frank Sinatras „My Way“– auch oft in der Harald-Juhnke-Version, „Time To Say Goodbye“von Andrea Bocelli, dann „Hotel California“von den Eagles und „Caruso“, gesungen von Luciano Pavarotti, das ist auch ein wirklich geiler Song. Bei der Trauerfeier für einen 80 Jahre alten Mann hab ich „Learning To Fly“von Tom
Petty gespielt, das fand ich ein bisschen skurril, aber es war wohl eines seiner Lieblingslieder.
Was ich lernen musste: Wenn ich im Club einen Fehler mache, interessiert das keinen Menschen. Wenn ich da aus Versehen mal den falschen Knopf drücke, ist das nicht wild. Aber am Grab ist es ein Albtraum, wenn etwas schief geht. Einmal musste ich ein Lied übers Handy abspielen, das ich schnell mit der Box verkabelt hatte, weil es Probleme mit dem Rechner gab. Es waren Nana Mouskouris „Weiße Rosen aus Athen“, das weiß ich noch genau. Plötzlich klingelte mein Handy. Sehr peinlich. Ich hätte mich am liebsten ins offene Grab geworfen.
Für den Winter werde ich mein Lastenrad ausbauen, ich kaufe noch einen Anhänger und einen roten Samtüberwurf. Dann habe ich einen mobilen Weihnachtsmarkt mit Musik und Glühwein, den Firmen für Mini-Feiern buchen können. Die Beerdigungen mache ich weiter, auch wenn mein Geschäft wieder läuft, irgendwann nach Corona...Ich mag das Gefühl, so geerdet zu werden. Ich habe durch diesen
Job das Gefühl für das Wesentliche zurückbekommen. Wenn da Menschen gestorben sind, die 15 Jahre jünger waren als ich, weiß ich, wie unnötig es ist, dass ich mich darüber aufrege, dass mich am Morgen jemand auf Facebook beleidigt hat. Man muss das Leben leben.