Ausgerechnet Spahn: Mister Corona in Auszeit
Als erstes Mitglied des Kabinetts in Berlin hat sich der Bundesgesundheitsminister infiziert. Jetzt muss er die Krise aus der Quarantäne heraus managen.
BERLIN Vielleicht hat Jens Spahn es geahnt. Gespürt, dass auch er in diesem Herbst oder Winter an dieser Krankheit nicht vorbeikommen wird: Covid-19. Immerhin: Es geht hier um den Bundesgesundheitsminister, um den Mann, auf den seit Wochen und Monaten 83 Millionen Bundesbürger schauen, schimpfen, beinahe so, als könnte Spahn selbst die Formel für den ersehnten Impfstoff im Kabinettslabor finden.
Spahn ist ein Mann mit vielen Begegnungen und damit ein idealer Angriffspunkt für ein Virus, das für seine Verbreitung vor allem eines braucht: möglichst viele Kontakte. Spahn organisiert die landesweite Abwehr gegen eine Pandemie. Doch seit Mittwochnachmittag ist auch der CDU-Politiker ein Fall für die Statistik. 11.287 Neuinfektionen haben die Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut gemeldet. Ein neuer, düsterer nationaler Corona-Rekord. Darunter eben auch der Positivtest an jenem Mann, der an vorderster Front jenes Virus vertreiben soll, das den gesamten Erdball in Geiselhaft genommen hat. Spahn soll helfen, dass ein ganzes Land wieder das bekommt, was es sich so sehnlich wünscht: Normalität. Aber jetzt muss auch Mister Corona eine Auszeit nehmen, zumindest von seinen öffentlichen Auftritten.
Was sagt es aus über die Gefahr eines noch viel zu wenig erforschten Virus, wenn selbst hoch- und höchstrangige Politiker, für die von Staats wegen ein besonderer Schutz organisiert werden kann, nicht wirklich geschützt werden können? Abstand ist in diesem Fall eine Währung, ein ernstes Sicherheitsmerkmal. Das Bundeskabinett tagt längst nicht mehr in seinem angestammten Saal, sondern im sehr viel größeren Raum für internationale Konferenzen. So auch am Mittwoch. Dort sei der Abstand zu den Sitznachbarn – auf Anraten des Berliner Gesundheitsamtes – so groß, dass niemand im Saal in Quarantäne müsse, wenn jemand aus der Runde positiv getestet würde.
Spahn hatte diesen Saal mit Mund-Nasen-Schutzmaske betreten – wie alle anderen Kabinettskollegen auch. Und diese Maske dann abgelegt, nachdem er sich gesetzt hatte. Erkältungssymptome habe er gespürt, die sich im Laufe des Tages dann verstärkt hätten, ehe er sich im Bundeswehr-Krankenhaus auf eine Infektion habe testen lassen. Familienministerin
Franziska Giffey (SPD) war die Erste aus der Kabinettsrunde, die noch am selben Tag in einem Schnelltest Gewissheit wollte. Sie saß noch vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz über längere Zeit mit Spahn auf demselben Podium. Ihr Ergebnis: negativ.
Der Gesundheitsminister kann von Amts wegen und erst recht in dieser Lage nicht völlig auf persönliche Kontakte verzichten. Noch vergangene Woche war er unter anderem mit dem Chef des Robert-Koch-Institutes, Lothar Wieler – mit Abstand, aber doch Seite an Seite –, aufgetreten. An diesem Donnerstag stellt Wieler die neuen Zahlen vor. Die Lage sei „insgesamt sehr ernst“, aber noch habe das Land die Chance, die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren. Auf der Landkarte mit den Infektionszahlen für die Landkreise sind beträchtliche Teile von Deutschland rot gefärbt: Rot steht für eine Inzidenzzahl von über 50 bei 100.000 Einwohnern. Noch vor vier Wochen war diese Karte weitgehend in mildes Gelb getaucht. Knallrot ist auch Berlin.
Von dort twittert Spahn aus häuslicher Quarantäne an die Welt draußen. „Ich bin in häuslicher Isolation und erhole mich mit aktuell nur Erkältungssymptomatik.“Er wünsche allen, mit denen er Kontakt hatte,
bei Twitter dass sie gesund blieben. Ein Bundesminister hat beinahe rund um die Uhr Mitarbeiter, Berater, Fahrer oder Personenschützer um sich, Menschen, die wie Pressesprecher, persönliche Referenten oder Büroleiter Spahn mehrmals am Tag persönlich treffen. Sie alle müssen sich nun testen lassen. Kontaktpersonen ersten Grades müssen in Quarantäne – wie der Minister selbst. Immerhin soll das Beispiel Spahn zeigen, dass die teils heftig kritisierte Corona-App doch funktioniert: Nach Spahns Positivtest habe bei seinen Mitarbeitern deren Corona-App rot geleuchtet. Wo sich Spahn tatsächlich infiziert habe, dafür gebe es „keine Indizien“, heißt es.
Abstand gilt immer noch mit als wirksamstes Mittel, die Gefahr einer Absteckung mit dem Virus zu reduzieren, betont RKI-Chef Wieler am Donnerstag noch einmal eindringlich. Jetzt also Spahn, der Gesundheitsminister als Patient. Er gehört mit seinem Alter von 40 Jahren nicht zu einer Risikogruppe, doch dieses Virus ist hinterhältig. Auch junge Hochleistungssportler hat es schon mit einem schweren Verlauf überwältigt. Ausgerechnet jetzt, da die Infektionszahlen nach oben schnellen, muss der Bundesgesundheitsminister die Corona-Abwehr als Pandemie-Manager von zu Hause aus steuern – es dürfte ihn auch bei einem milden Verlauf der Krankheit selbst am meisten schmerzen. Denn er weiß genau: Für den Kampf gegen Corona ist seine Erkrankung kein gutes Signal.
„Ich bin in häuslicher Isolation und erhole mich mit aktuell nur Erkältungssymptomatik“
Jens Spahn