„Corona ist ein Brandbeschleuniger“
Marcel Abel, Reiner Nagel und Caspar Schmitz-Morkramer über gute Innenstädte und den Calatrava-Turm. Drei Experten für Planung und Immobilien
STADTMITTE Caspar Schmitz-Morkramer ist in Düsseldorf ein bekannter Architekt, Marcel Abel hat als JLL-Geschäftsführer viele der größten Immobilien-Deals in der Landeshauptstadt abgewickelt. Wir treffen uns im Büro des Maklers im Dreischeibenhaus. Zugeschaltet aus Berlin ist Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.
Herr Nagel, die Bundesstiftung Baukultur widmet sich zwei Jahre lang dem öffentlichen Raum, dessen Wichtigkeit in der Corona-Krise zugenommen hat. Wie gefällt Ihnen vor diesem Hintergrund die neue Düsseldorfer Innenstadt?
NAGEL Sie ist stark vom öffentlichen Raum geprägt und von Autofreiheit, benachbart befindet sich der Hofgarten. Ich bin dort gewesen und es war ein ausgesprochenes Glückserlebnis, sich diesen Bereich zu erschließen.
Der Kö-Bogen hat eine begrünte Fassade und ein begrüntes Dach gebracht, auch zusätzliche Bäume. Aber es ist auch viel versiegelt worden. Zu viel, Herr Abel?
ABEL Aus Marktsicht würde ich sagen: Ja, man würde heute mit dem Thema anders umgehen. Vielleicht wäre ein Hochpunkt besser gewesen und dafür mehr Grün. Als die Konzeption erstellt wurde, war man jedoch noch nicht so sensibel.
In einem Positionspapier zur Rettung der Innenstädte, an dem sich die Bundesstiftung beteiligt hat, geht es um eine attraktive Nutzungsmischung und Mischkalkulationen bei den Mieten. Herr Nagel, wie sehen die Erdgeschosse der Zukunft aus?
NAGEL Im Erdgeschoss der Zukunft sollte es nicht nur Handel geben, sondern auch kulturelle und soziale Nutzungen. Man kann auch Schuleingänge oder Aulen ins Erdgeschoss legen oder Kantinen, denn Erdgeschosse sind Berührungspunkte zwischen öffentlichem und privatem Raum. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Handel die Innenstädte weiter so dominiert wie seit 50 Jahren. Es gibt wegen des Handels auch tote Innenstädte, in Hamburg fehlen etwa die Ergänzungsbausteine für eine vitale Stadt. Der Handel muss innovativer werden. Es gibt in Deutschland keine Pläne für neue Shoppingcenter, wir gehen auf eine neue Kleinteiligkeit zu.
Sie fordern eine stärkere Einbindung regionaler Händler und auch, dass die Städte mehr Einfluss nehmen sollten auf Miet- und Nutzungskonzepte. Ist das überhaupt machbar?
NAGEL In Zusammenarbeit mit Planungsteams haben wir uns gefragt, ob Städte nicht Generalmietverträge für Erdgeschosse abschließen sollten. Dann können sie subventioniert dort Mieter einsetzen, die für den Stadtteil positiv sind. In Paris und Wien wird so etwas gemacht. ABEL In Hamburg wird die Idee der Business Improvement Districts (BID) offensiv umgesetzt. Das wäre auch hier ein gutes Instrument, da die Immobilieneigentümer sich in einem solchen Bereich monetär beteiligen müssen, damit neue Nutzer etabliert werden könnten, die die Straßen attraktiver machen. Gerade für die kleineren Immobilieneigentümer, die um ihre Mieter kämpfen und oft gegen BIDs sind, wäre das langfristig wiederum sinnvoll. SCHMITZ-MORKRAMER Es wird immer behauptet, dass die Innenstädte sterben. Was stirbt, ist ein Geschäftsmodell, das nicht der europäischen Innenstadt entspricht. Sie ist gekennzeichnet dadurch, dass dort gewohnt wird, gearbeitet, dass es Handel gibt, soziale, Bildungs- und kulturelle Einrichtungen. Wir haben den Wandel der Innenstädte eingehend untersucht und festgestellt: Der Handel steht mit dem Rücken an der Wand und ist bereit zum Wandel, die großen Immobilieneigentümer ebenfalls. Die Chance, die jetzt besteht, liegt darin, verschiedenartige Nutzungen in die Häuser und Quartiere zu bekommen. Solidarität könnte entscheidend sein. Unterstützen sich Immobilieneigentümer gegenseitig, um alternative Nutzungen zu ermöglichen, die zwar niedrige Mieten zahlen, aber zur Attraktivität des Viertels beitragen?
Schwer vorstellbar.
SCHMITZ-MORKRAMER Schauen Sie sich die Hohe Straße in Köln an, da können Sie als Händler zwischen zehn und 15 Geschäften aussuchen, so groß ist der Leerstand. Vor zehn Jahren konnte ein Eigentümer noch zwischen 15 Händlern wählen. Die Innenstädte sind uniform geworden, da kann ich auch sonntags im Netz bestellen, was auch der stärkste Tag für den Online-Handel ist.
Ist Corona der Brandbeschleuniger
Geschäftsführer des Maklerbüros JLL, Mitglied im Gutachterausschuss Stadt Düsseldorf, Vorsitzender Wirtschaftsbeirat Stadtsparkasse, Handelsrichter, mehrere IHK-Funktionen
Architekt, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, zuvor Abteilungsleiter Stadtplanung der Berliner Senatsverwaltung und Mitglied der Geschäftsleitung der Hafen-City Hamburg
Caspar Schmitz-Morkramer Inhaber eines Planungsbüros mit knapp 100 Architekten, hat in Düsseldorf „New York – The Village“und den Handelsblatt-Bau geplant, aktuell: Heinrich-Campus, Deiker Höfe; zwei Mipim-Awards für die Revitalisierung der Abtei Michaelsberg
für diese Krise?
ABEL Ja. Wir merken doch, dass wir digital viel besser zurechtkommen, als wir dachten. Die Digitalisierung war eine Option, jetzt haben viele den Beweis angetreten, dass sie funktioniert. Nur die starken und gut organisierten Konzepte werden überleben.
In Düsseldorf gab es eine enorme Debatte um den Calatrava-Turm auf der Tuchtinsel. Der Hochhausbeirat hat das Projekt abgelehnt. Was sagen Sie?
SCHMITZ-MORKRAMER Es ist richtig, sich Gedanken über die Tuchtinsel zu machen, sie hat eine Riesenchance als Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt. Ich hatte aber ein Problem mit diesem Entwurf. Ich fand ihn zu massig, die Scheiben- und Segelwirkung falsch und die Ausrichtung des Gebäudes sowie die Einordnung in den Stadtraum. Wir haben an dieser Stelle bereits sehr individuelle Architektur. Ich würde mir dort nicht einen solchen Solisten, sondern eine dienendere Architektur wünschen. NAGEL Das erste Bild der Elbphilharmonie hat die Hamburger begeistert. 80 Prozent haben gesagt, das wollen wir auf jeden Fall haben. Das war der Wow-Effekt, wie es ihn seit Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao gibt. Ich hatte bei Calatrava kein Wow-Gefühl, ich war ein bisschen peinlich berührt, der Entwurf passt nicht zur Nachbarschaft, bezieht sich nicht auf das Dreischeibenhaus, das ja eine Ikone ist, und hat nichts mit Düsseldorf zu tun.
Was hat denn mit Düsseldorf zu tun?
NAGEL Der Rhein, das Wasser, der Naturraum. Auch der Sozialraum
Altstadt, Kö und Kö-Bogen. Dort jetzt eine aufgeständerte Fußgängerzone zu machen und ein Segel zu setzen, erschien mir aus der städtebaulichen Situation heraus überhaupt nicht zwingend. ABEL Ich bin ein großer Hochhaus-Fan. Ein Hochhaus würde dort vom Markt auch angenommen. Aber wenn ein Projekt so polarisiert, dann ist es am Ende auch nicht marktfähig. Zu extrovertiert ist nicht gut, das verschreckt Mieter eher. Das hat man im Medienhafen gesehen, das Colorium stand lange leer.
Wie müsste in der Innenstadt von morgen das Hochhaus aussehen?
SCHMITZ-MORKRAMER In New York wird mit Luftrechten gehandelt. Wenn ich als Stadt zulasse, dass jemand hoch bauen kann, was bekomme ich dafür zurück? Im Taunusturm in Frankfurt hat das Museum für moderne Kunst 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche erhalten, andere Hochhäuser müssen ihre oberste Fläche für die Öffentlichkeit öffnen. Eine Option ist auch, in hybriden Hochhäusern den Sockel öffentlich zu gestalten und darüber unterschiedliche Nutzungen zu stapeln. Stadt wird nicht über spektakuläre Architektur ausgemacht, sondern über das Leben. NAGEL Wir sind in der Hafen-City Hamburg immer sehr restriktiv mit Hochhäusern umgegangen. Ich würde mich einem solchen Vorhaben sehr rational zuwenden und es schrittweise entwickeln. In der Hafen-City haben wir das gemacht. Dort hat David Chipperfield einen mehr als 200 Meter hohen Turm entworfen, den jetzt die Signa-Gruppe realisiert. Das Gebäude ist elegant und hat Wahrzeichencharakter, so etwas wird nicht noch einmal in Hamburg entstehen. SCHMITZ-MORKRAMER Hochhäuser allein stehen nicht für Urbanität. Denken Sie an München, da darf in der Innenstadt gar kein Hochhaus gebaut werden und die Stadt ist wunderschön. Ein Hochhaus kann auch Probleme mit sich bringen. Ein Grund, warum der Gustaf-Gründgens-Platz nicht funktioniert hat und vermutlich auch in Zukunft Probleme haben wird, ist das Dreischeibenhaus. Für mich ist es das schönste Hochhaus in ganz Deutschland. Aber der Windzug auf dem Platz ist enorm.
In Düsseldorf fehlen öffentliche Nutzungen in diesen Bauten. Wie kann man das besser machen?
NAGEL In Skandinavien wird dieses Konzept vermehrt in Kulturbauten umgesetzt, etwa Bibliotheken. Wichtig ist, dass es sich um einen Sozialort handelt, der konsumfrei ist. Vielleicht ist die Tuchtinsel dafür ja ein guter Ort.
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