Wenn KI auf der Bühne das Sagen hat
Das Düsseldorfer Schauspielhaus bietet Podcasts über eine künstliche Intelligenz als Regisseur und skurrile Tondokumente an.
DÜSSELDORF So bequem ist der Theaterbesuch in Corona-Zeiten zu Hause. Und so beschränkt und so misslich, aber auch inspirierend fürs Schauspielhaus: Sein neuestes Projekt nämlich sind Podcasts, die an diesem Wochenende auf Sendung gehen. Das hört sich zunächst nicht sonderlich aufregend an, weil inzwischen gefühlt die halbe Welt sich in Podcasts Gehör zu verschaffen sucht und das Kulturangebot virusbedingt überall in den Strom der Daten eingetaucht ist.
Ganz soweit ist es mit „Regie: KI“noch nicht, wobei der Titel dieser Produktion der Digitalen Bürgerbühne jede analoge Darbietung fast zu verbieten scheint. Martin Grünheit, künstlerischer Leiter, und Dramaturg Michael Straeubig sprechen darüber, wie „digitale Tools“nicht nur unser Leben verändern, sondern auch das Theater. Der Gag im neuen Stück: Es gibt keinen Regisseur, jedenfalls keinen analogen. Die Künstliche Intelligenz (KI) hat das Heft in die Hand genommen. Und weil KI von Hause aus doof, aber immens informationshungrig ist, mussten die Schauspieler der Bürgerbühne ihrem Regisseur viel beibringen. So fütterten Angela Cramer-Laschke, Alev Engel, Lara Kebeck, Tilmann Krämer, Jonas Prokopf, Jasmin Schlick, Begüm Sengül und Denise Thoma die KI in Bild und Ton mit all ihren Emotionen: Sie performten Wut und Enttäuschung, Liebe und Überraschung. Eine Kostprobe dazu gibt es im Podcast auch – und es klingt, so ganz ohne Bild, erst einmal befremdlich (um nicht schauerlich zu sagen). Aber: KI erstellt Muster zu den Gefühlsäußerungen. Schritt für Schritt lernt sie, was Schauspielen ist und wie es der jeweilige Schauspieler umsetzt. Und dann beginnt ihre Regie.
Das alles ist ein bisschen unbegreiflich, aber spannend. Der Podcast füttert das Theaterpublikum vor der analogen Premiere irgendwann ganz ordentlich an.
Das Kontrastprogramm dazu liefert uns Ensemblemitglied André Kaczmarczyk. Der erzählt im Podcast „Lost and Sound“– der eine Serie werden soll –, wie er abends zum Theater eilte, spät dran. Und wie er am Pförtner vorbei ins Haus huschen will und gerade noch einen Blick auf den großen Müllcontainer neben dem Eingang wirft. Alte Tonbänder liegen hundertfach darin, zum Teil in Archiv-Schachterln, manche beschriftet, manche nicht. Also steckt er schnell ein paar Exemplare ein und hastet weiter zur Bühne, um sich flugs in König Heinrich VI. zu verwandeln. Doch die Bänder lassen ihn nicht los, und so erbeutet er nach Feierabend weitere Exemplare, leuchtet den Container mit der Lampe seines Handys bei dieser Schatzsuche aus.
Entdeckungen und Kuriosita aus dem Magnettonband-Archiv sind es, die da gerettet wurden. Eine Sensation? Na ja, vielleicht nicht ganz. Aber auf jeden Fall für André Kaczmarczyk, wie er uns im Gespräch mit Dramaturgin Janine Ortiz ans Herz legt. Da der Schauspieler (sehr vorsichtig formuliert) ein unruhiger Geist ist und in Zeiten des Lockdowns an der erzwungenen Untätigkeit litt, hörte er sich Band für Band an. Nun ist Kaczmarczyk gleichermaßen ein Verführer und Theater-Besessener, und so bleibt man gerne auf Sendung. Sicher, es gibt ein paar Perlen unter den geretteten Bändern, wie die Probe der Sprechchöre zur skandalumwitterten „Danton“-Inszenierung von 1970. Der größere Teil des ausrangierten Materials aber sind Geräuscheinspielungen, die damals über große Maschinen wiedergegeben wurden und in den Inszenierungen für Atmosphäre sorgten.
So sitzen wir daheim auf der Couch, hören das Gewitter, wie es vielleicht bei „Hamlet“vor etlichen Jahren tobte, dann rauscht ein Wind durchs Zimmer, von der Ferne her sind Kirchenglocken zu hören, Kühe muhen. War eigentlich ein schöner Theaterabend.