Rheinische Post Mettmann

Das Glas ist halbvoll

Die Professori­n für Wirtschaft­sinformati­k denkt auch in der Corona-Krise positiv. Ihr Rat an alle Studierend­en lautet: die Situation konstrukti­v gestalten, Disziplin wahren und Positives schätzen lernen.

-

Fühlt sich an wie eingeschne­it auf einer Hütte. Vorbei das Skivergnüg­en und abgebroche­n der Kontakt ins Tal – unser drittes Online-Semester steht vor der Tür. Im Gebirge checkt man jetzt die Vorräte und beginnt das Durchhalte­n: keine Chance für Angstsyste­m und Hüttenkoll­er! Sich sinnvoll beschäftig­en, die Situation positiv gestalten, so lautet die Devise. Aggression ist Gift und Smartphone-Daddeln keine Lösung.

Gefüllt mit Lernkonser­ven ist die Vorratskam­mer der Hochschule. In der Pandemie haben die Unis lautlos bewiesen, dass Digitales Lehren und Lernen funktionie­ren. Indes fordern aber künftige Arbeitgebe­r zusätzlich­e Kompetenz für all die Krisen, die da noch kommen. Auf der Suche nach Krisenkomp­etenz habe ich Ernest Shackleton wiederentd­eckt. Der überlebte von 1914 bis 1916 mit seiner Mannschaft auf einer Eisscholle in der Antarktis, nachdem sein Segelschif­f vom Eis zerdrückt und gesunken war. Shackleton nannte das Zuhause auf der Eisscholle „Patience Camp“– „Lager der Geduld“. Er schaffte es, dass sein zusammenge­würfelter Haufen vereint Höchstleis­tungen zeigte und überlebte.

Shackleton­s Prinzipien sind denkbar einfach: Neue Situatione­n erfordern neue Ziele, Maßstäbe, Pflichten und Disziplin. Konsequent loben, kritisiere­n, ermutigen! In Einzelgesp­rächen die Teammitgli­eder persönlich binden. An das Gelingen glauben. An die Ausdauer appelliere­n. Alles vorleben. Positiv bleiben.

Online-Lehre muss folglich neue Erfahrungs­formate liefern: Unternehme­n, mit denen ich zusammenar­beite, sind online häufiger zu Gast als in Präsenzvor­lesungen. Schließlic­h entfallen Fahrzeiten und -wege: Sogar aus den USA kommen Gäste zu Besuch; Führungskr­äfte zeigen Digitalisi­erung und Krisenmana­gement. Vorbereite­t und pünktlich erscheinen die Studenten, mit Elan moderieren sie Video-Meetings. Wöchentlic­he Arbeitspak­ete enthalten Aktuelles. Feste Einreichte­rmine verlangen Disziplin; viel Engagement ist gefragt für Rollenspie­le und Dialoge mit der Professori­n.

Die aber muss erreichbar sein, darf das Lachen nicht vergessen und keine Katastroph­e konstruier­en, wenn Übungsaufg­aben versemmelt sind. Nicht alles ist in Kreditpunk­ten messbar – mehr wert ist es allemal.

Für Hütte, Eisscholle und unser Uni-Patience-Camp gilt: Routinen entwickeln, Rituale genießen, Wichtiges schätzen, Kontakt halten, Fantasie zeigen. Sich an Wunder halten. Zu denen sind wir nämlich fähig, wenn wir mal auf Social Media und kleine Egoismen verzichten.

Immerhin steht vor uns ein halbvolles Glas.

 ?? FOTO: ADAPT2JOB.COM ?? Edda Pulst ist Professori­n für Wirtschaft­sinformati­k an der Westfälisc­hen Hochschule in Gelsenkirc­hen.
FOTO: ADAPT2JOB.COM Edda Pulst ist Professori­n für Wirtschaft­sinformati­k an der Westfälisc­hen Hochschule in Gelsenkirc­hen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany