Wie mit einem Brennglas
Wer die Kirche nur als Verein oder Institution empfindet, wie so oft formuliert, verkennt die Gegenwart Gottes in der Kirche und sieht nur das Fehlverhalten der anderen und hält sich selbst für den besseren Menschen und meint, mit einem Kirchenaustritt jemanden zu bestrafen, was ein völliger Irrtum ist. Wie mit einem Brennglas schaut man auf das angebliche Versagen von Kardinal Woelki und gibt sich mit der jetzt verkündeten Entscheidung des Vatikans nicht zufrieden, dass keine Pflichtverletzung wegen eines nicht gemeldeten Missbrauchsfalls aus 2015 vorliege, weil die Vorverurteilung auf keinen Fall infrage gestellt werden darf. Und ist es innerhalb der Kirche und bei anderen Gutmenschen nicht möglich, noch die restlichen sechs Wochen bis zur Veröffentlichung des zweiten Gutachtens abzuwarten, um dann eine sachliche Auseinandersetzung zu führen? Um Gottes Willen, das darf doch nicht sein, noch nicht einmal unter Bischofs- und Kardinalskollegen! braucht man keine Expertise eines Ethikrats. Es ist bedauerlich, dass der Ethikrat sich so intensiv mit diesem Fall befasst und so viel darüber spekuliert, wie lange wohl noch Unklarheit herrschen wird. Das ist nicht seine Aufgabe, und er ist dafür auch nicht kompetent. (Leider – und auch leider vorhersehbar – wird daraus missverständlich in den Medien, der Ethikrat sei „gegen Sonderrechte für Geimpfte“.) Stattdessen sollte er sich aber klar zu der Frage äußern, was für Geimpfte gilt, wenn sie für andere keine Gefahr mehr darstellen. Und die Antwort kann nur lauten: Dann gelten für sie wieder alle Grundrechte. Denn: Seine Grundrechte darf man ausüben, solange niemand anderes dadurch beeinträchtigt wird. Das hat nichts mit „Sonderrechten“oder mangelnder Solidarität zu tun. Im Gegenteil: Zu wirklicher Solidarität würde es gehören, wenn sich – statt neidisch zu sein – alle freuen, wenn ein (stetig wachsender) Teil der Bevölkerung seine Grundrechte zurückbekommt. Oder als konkretes Beispiel: Will man wirklich völlig sinnlos einem betagten Ehepaar verbieten, gemeinsam seine Enkel zu besuchen, solange pro Haushalt nur ein Besucher zugelassen ist?