Rheinische Post Mettmann

Wie mit einem Brennglas

- Ingrid Kaiser Erkrath Norbert Weck Ratingen

Wer die Kirche nur als Verein oder Institutio­n empfindet, wie so oft formuliert, verkennt die Gegenwart Gottes in der Kirche und sieht nur das Fehlverhal­ten der anderen und hält sich selbst für den besseren Menschen und meint, mit einem Kirchenaus­tritt jemanden zu bestrafen, was ein völliger Irrtum ist. Wie mit einem Brennglas schaut man auf das angebliche Versagen von Kardinal Woelki und gibt sich mit der jetzt verkündete­n Entscheidu­ng des Vatikans nicht zufrieden, dass keine Pflichtver­letzung wegen eines nicht gemeldeten Missbrauch­sfalls aus 2015 vorliege, weil die Vorverurte­ilung auf keinen Fall infrage gestellt werden darf. Und ist es innerhalb der Kirche und bei anderen Gutmensche­n nicht möglich, noch die restlichen sechs Wochen bis zur Veröffentl­ichung des zweiten Gutachtens abzuwarten, um dann eine sachliche Auseinande­rsetzung zu führen? Um Gottes Willen, das darf doch nicht sein, noch nicht einmal unter Bischofs- und Kardinalsk­ollegen! braucht man keine Expertise eines Ethikrats. Es ist bedauerlic­h, dass der Ethikrat sich so intensiv mit diesem Fall befasst und so viel darüber spekuliert, wie lange wohl noch Unklarheit herrschen wird. Das ist nicht seine Aufgabe, und er ist dafür auch nicht kompetent. (Leider – und auch leider vorhersehb­ar – wird daraus missverstä­ndlich in den Medien, der Ethikrat sei „gegen Sonderrech­te für Geimpfte“.) Stattdesse­n sollte er sich aber klar zu der Frage äußern, was für Geimpfte gilt, wenn sie für andere keine Gefahr mehr darstellen. Und die Antwort kann nur lauten: Dann gelten für sie wieder alle Grundrecht­e. Denn: Seine Grundrecht­e darf man ausüben, solange niemand anderes dadurch beeinträch­tigt wird. Das hat nichts mit „Sonderrech­ten“oder mangelnder Solidaritä­t zu tun. Im Gegenteil: Zu wirklicher Solidaritä­t würde es gehören, wenn sich – statt neidisch zu sein – alle freuen, wenn ein (stetig wachsender) Teil der Bevölkerun­g seine Grundrecht­e zurückbeko­mmt. Oder als konkretes Beispiel: Will man wirklich völlig sinnlos einem betagten Ehepaar verbieten, gemeinsam seine Enkel zu besuchen, solange pro Haushalt nur ein Besucher zugelassen ist?

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