NRW-Wirtschaft will Corona-Kurswechsel
Der Druck auf die Politik nimmt zu, weitere Öffnungsschritte zu ermöglichen. Ärzte warnen hingegen vor einem Kontrollverlust. Die Lockerungen bei Schulen und Kitas gingen bereits schon sehr weit.
DÜSSELDORF Kurz vor den CoronaBeratungen von Bund und Ländern an diesem Mittwoch mehren sich Stimmen, die Öffnungen fordern. Arndt Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, sagte unserer Redaktion: „Spätestens mit den Fortschritten bei der Impfung der besonders gefährdeten Gruppen und der damit verbundenen deutlichen Entlastung des Gesundheitssystems ist es jetzt Zeit für eine Neubewertung der Inzidenzwerte.“Angesichts der massiven wirtschaftlichen, sozialen und bildungspolitischen Schäden und der spürbar nachlassenden Akzeptanz in der Bevölkerung sei das derzeitige Verharren im Lockdown nicht mehr darstellbar. „Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir mit einseitigen Schließungen nicht mehr weiterkommen“, sagte er.
Bund und Länder müssten am Mittwoch einen Kurswechsel herbeiführen. „Wir brauchen jetzt konkrete Schritte und Maßnahmen, die das Ansteckungsrisiko verringern, die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten deutlich verbessern und damit endlich wieder Öffnungen ermöglichen.“Deutschland müsse bei den Schnell- und Selbsttests schleunigst vorankommen. „Das ist natürlich wichtig für die Wirtschaft, aber ganz besonders auch für Schulen und Kindergärten.“
Bund, Länder und Kommunen müssten die digitalen Tools endlich offensiv nutzen. „Gerade die Verbindung von Testergebnissen und QR-Tracing-Apps bietet große Potenziale für mehr Sicherheit beim Einkaufen, bei Gastronomiebesuchen und im sonstigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.“Zudem verlangte er, pragmatischer beim Impfen vorzugehen: „Ungenutzte Dosen müssen nun schnell auch Menschen der jeweils nächsten Prioritätsstufe zugutekommen.“
Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga NRW, Bernd Niemeier: „Wir wollen uns nicht mehr mit Hinhaltetaktiken und dem Verweis auf Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die nicht zu Potte kommen, abspeisen lassen. Wir erwarten eine zeitgleiche, branchenübergreifende Gesamtöffnungsstrategie.“
Niemeier verwies darauf, dass die Gastronomie erfolgreich strenge Hygieneund Schutzmaßnahmen entwickelt und umgesetzt habe. „Auch laut Robert-Koch-Institut weist das Gastgewerbe kein relevantes Infektionsgeschehen
auf, ähnlich wie im Einzelhandel oder bei Friseuren.“Das Infektionsrisiko in Hotels oder bei Zusammenkünften im Freien – wie in einem Biergarten oder auf einer Terrasse – werde mit „niedrig“bewertet, selbst in der Innengastronomie lediglich mit „moderat“. „Das muss aus unserer Sicht Konsequenzen haben zum Beispiel in Bezug auf gleichzeitiges Öffnen mit anderen Branchen oder bei der Frage nach der Möglichkeit, an Ostern Urlaub im Hotel oder einer Ferienwohnung zu machen“, sagte der Dehoga-Vertreter. Außerdem könne die Gastronomie als Ventil funktionieren. „Wenn sich Menschen bei gutem Wetter in der Öffentlichkeit nicht mehr an die Abstandsregeln halten wollen und sich in größeren Gruppen in schlecht kontrollierbaren Parks oder auf Plätzen aufhalten, dann ist nichts gewonnen.“
Der Wirtschaftsrat der CDU forderte eine schnellstmögliche Ausweitung der Schnell- und Selbstteststrategie und plädierte für Öffnungen. „Eine breit angelegte
Teststrategie würde neben der sicheren Wiederaufnahme des Schulbetriebs auch die längst überfällige Öffnung von Geschäften, Museen und Restaurants ermöglichen“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger. An Grenzen und Flughäfen biete der Einsatz von Schnelltests die Möglichkeit, den Liefer- und Personenverkehr zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten wieder ungehindert fließen lassen zu können.
Warnend äußerte sich dagegen der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke. Ein endloser Lockdown sei keine gute Strategie. „Aber ein Kontrollverlust ist noch schlechter.“Man habe jetzt recht weitgehende Öffnungsschritte in den Schulen und Kindertagesstätten vorgenommen. „Lasst uns erst mal sehen, wie sich das auswirkt. Es ist doch besser, zum Beispiel Geschäfte und Gastronomie etwas später zu öffnen mit einer zuverlässigen Perspektive, als zu früh damit zu beginnen und ruck, zuck im nächsten Lockdown zu landen.“
Leitartikel