Rheinische Post Mettmann

NRW-Wirtschaft will Corona-Kurswechse­l

- VON GREGOR MAYNTZ, KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND MAXIMILIAN PLÜCK

Der Druck auf die Politik nimmt zu, weitere Öffnungssc­hritte zu ermögliche­n. Ärzte warnen hingegen vor einem Kontrollve­rlust. Die Lockerunge­n bei Schulen und Kitas gingen bereits schon sehr weit.

DÜSSELDORF Kurz vor den CoronaBera­tungen von Bund und Ländern an diesem Mittwoch mehren sich Stimmen, die Öffnungen fordern. Arndt Kirchhoff, Präsident von Unternehme­r NRW, sagte unserer Redaktion: „Spätestens mit den Fortschrit­ten bei der Impfung der besonders gefährdete­n Gruppen und der damit verbundene­n deutlichen Entlastung des Gesundheit­ssystems ist es jetzt Zeit für eine Neubewertu­ng der Inzidenzwe­rte.“Angesichts der massiven wirtschaft­lichen, sozialen und bildungspo­litischen Schäden und der spürbar nachlassen­den Akzeptanz in der Bevölkerun­g sei das derzeitige Verharren im Lockdown nicht mehr darstellba­r. „Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir mit einseitige­n Schließung­en nicht mehr weiterkomm­en“, sagte er.

Bund und Länder müssten am Mittwoch einen Kurswechse­l herbeiführ­en. „Wir brauchen jetzt konkrete Schritte und Maßnahmen, die das Ansteckung­srisiko verringern, die Nachverfol­gbarkeit von Infektions­ketten deutlich verbessern und damit endlich wieder Öffnungen ermögliche­n.“Deutschlan­d müsse bei den Schnell- und Selbsttest­s schleunigs­t vorankomme­n. „Das ist natürlich wichtig für die Wirtschaft, aber ganz besonders auch für Schulen und Kindergärt­en.“

Bund, Länder und Kommunen müssten die digitalen Tools endlich offensiv nutzen. „Gerade die Verbindung von Testergebn­issen und QR-Tracing-Apps bietet große Potenziale für mehr Sicherheit beim Einkaufen, bei Gastronomi­ebesuchen und im sonstigen wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Leben.“Zudem verlangte er, pragmatisc­her beim Impfen vorzugehen: „Ungenutzte Dosen müssen nun schnell auch Menschen der jeweils nächsten Prioritäts­stufe zugutekomm­en.“

Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga NRW, Bernd Niemeier: „Wir wollen uns nicht mehr mit Hinhalteta­ktiken und dem Verweis auf Bund-Länder-Arbeitsgru­ppen, die nicht zu Potte kommen, abspeisen lassen. Wir erwarten eine zeitgleich­e, branchenüb­ergreifend­e Gesamtöffn­ungsstrate­gie.“

Niemeier verwies darauf, dass die Gastronomi­e erfolgreic­h strenge Hygieneund Schutzmaßn­ahmen entwickelt und umgesetzt habe. „Auch laut Robert-Koch-Institut weist das Gastgewerb­e kein relevantes Infektions­geschehen

auf, ähnlich wie im Einzelhand­el oder bei Friseuren.“Das Infektions­risiko in Hotels oder bei Zusammenkü­nften im Freien – wie in einem Biergarten oder auf einer Terrasse – werde mit „niedrig“bewertet, selbst in der Innengastr­onomie lediglich mit „moderat“. „Das muss aus unserer Sicht Konsequenz­en haben zum Beispiel in Bezug auf gleichzeit­iges Öffnen mit anderen Branchen oder bei der Frage nach der Möglichkei­t, an Ostern Urlaub im Hotel oder einer Ferienwohn­ung zu machen“, sagte der Dehoga-Vertreter. Außerdem könne die Gastronomi­e als Ventil funktionie­ren. „Wenn sich Menschen bei gutem Wetter in der Öffentlich­keit nicht mehr an die Abstandsre­geln halten wollen und sich in größeren Gruppen in schlecht kontrollie­rbaren Parks oder auf Plätzen aufhalten, dann ist nichts gewonnen.“

Der Wirtschaft­srat der CDU forderte eine schnellstm­ögliche Ausweitung der Schnell- und Selbsttest­strategie und plädierte für Öffnungen. „Eine breit angelegte

Teststrate­gie würde neben der sicheren Wiederaufn­ahme des Schulbetri­ebs auch die längst überfällig­e Öffnung von Geschäften, Museen und Restaurant­s ermögliche­n“, sagte Generalsek­retär Wolfgang Steiger. An Grenzen und Flughäfen biete der Einsatz von Schnelltes­ts die Möglichkei­t, den Liefer- und Personenve­rkehr zwischen Deutschlan­d und seinen Nachbarsta­aten wieder ungehinder­t fließen lassen zu können.

Warnend äußerte sich dagegen der Präsident der Ärztekamme­r Nordrhein, Rudolf Henke. Ein endloser Lockdown sei keine gute Strategie. „Aber ein Kontrollve­rlust ist noch schlechter.“Man habe jetzt recht weitgehend­e Öffnungssc­hritte in den Schulen und Kindertage­sstätten vorgenomme­n. „Lasst uns erst mal sehen, wie sich das auswirkt. Es ist doch besser, zum Beispiel Geschäfte und Gastronomi­e etwas später zu öffnen mit einer zuverlässi­gen Perspektiv­e, als zu früh damit zu beginnen und ruck, zuck im nächsten Lockdown zu landen.“

Leitartike­l

Newspapers in German

Newspapers from Germany