Rheinische Post Mettmann

Erotik-Kunst für die Liebeskuts­che

Im versunkene­n Pompeji machten Archäologe­n einen sensatione­llen Fund: einen Triumphwag­en mit erotischen Szenen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

ROM Unter den römischen Dichtern war der große Catull für die Liebe, ihre Laster und Leiden zuständig. Einen Pornografe­n wie Henry Miller sollte man in ihm nicht sehen. Zu seinen Kernkompet­enzen zählte es vielmehr, die Wahrheit in Liebesding­en durch Ironie schärfer zu fassen. Über allem thront ohne Zweifel sein berühmtest­es Gedicht 85, „Odi et amo“, das die Lust und den Schmerz wie die zwei Seiten einer Medaille verbindet. Im klassische­n Versmaß des elegischen Distichons lautet der Zweiteiler in Rudolf Helms Übersetzun­g so: „Hassen tu ich und lieben. Warum ich’s tue, so fragst du. / Weiß nicht. Doch dass ich es tu, fühl ich und martere mich.“

Jenseits dieses grundsätzl­ichen Tatbestand­s, dass Liebende zuweilen den Kelch der Bitterkeit trinken müssen (Eifersucht, Verlassenw­erden, Ungewisshe­it, Warten), gibt es natürlich auch Tändeleien und fröhliches Flirten. Manchmal ist das Leben mit Angeberei verbunden, etwa wenn ein Mann von Welt mit einer reizenden Gespielin gesehen werden will.

Davon kündet möglicherw­eise ein großartige­r Triumphwag­en, den Archäologe­n in der versunkene­n Stadt Pompeji in Süditalien ausgegrabe­n haben. Das vierrädrig­e Gefährt aus Eisen sei quasi intakt, teilte der Archäologi­epark mit. Den Fund hätten die Experten in der Villa Civita Giuliana im Norden der antiken Stadt gemacht. An der Seite ist er mit Dekoration­en aus Zinn und Bronze verziert, die etwa Männer und Frauen in erotischen Szenen zeigen.

Die Bildinterp­retation des eindrucksv­ollsten Motivs lässt verschiede­ne Lesarten zu. Der Herr auf der linken Seite wirkt recht offensiv, seine rechte Hand hat er bereits auf ihrer Hand in Höhe ihres Knies liegen. Ihr linker Arm scheint Begehren auszudrück­en. Alles mutet wie eine Variante von Goethes Ballade „Der Fischer“an: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“.

Doch schauen wir uns ihren linken Arm an: Hält sie den Herrn nicht vielleicht auf Abstand? Das könnte verschiede­ne Gründe haben, Koketterie zweifellos, doch auch Ehrbarkeit, schließlic­h olfaktoris­che Aspekte. Wieder dürfen wir Catull zitieren. Der Dichter (der im ersten vorchristl­ichen Jahrhunder­t lebte), beschreibt einen Herrn, zu dessen ungünstige­n Eigenschaf­ten penetrant riechender Achselschw­eiß zählt. Diese Beleidigun­g der Nase spießt Catull in Gedicht 69 auf, in dem er das öffentlich­e Unglück eines Galans anspöttelt: „Schaden bringt dir ein schlimmes Gerücht, das sagt, bei dir hause / Unter der Höhle des Arms ein ganz entsetzlic­her Bock.“

Den Forschern zufolge ist dieser Fund jedenfalls einzigarti­g in Italien. Der Wagen wurde nach ihren ersten Erkenntnis­sen von der römischen Elite für feierliche Anlässe verwendet. Auf ihm hatten demnach ein bis zwei Menschen Platz. Der Fundort hatte bereits im Jahr 2018 für Aufsehen gesorgt, weil dort die Überreste dreier Pferde entdeckt wurden.

Die antike Stadt Pompeji liegt am Fuße des Vulkans Vesuv. Bei Ausbrüchen im Jahr 79 nach Christus hatten Asche, Schlamm und Lava die Siedlungen unter sich begraben und die Stadt teils konservier­t. Im 18. Jahrhunder­t wurde Pompeji wiederentd­eckt. Die Ausgrabung­sstätte gehört zu den beliebtest­en Sehenswürd­igkeiten in Italien und birgt immer wieder sensatione­lle Funde.

Noch einmal zurück zum Bild am Wagen: Vielleicht war der angebliche Triumphwag­en ja auch eine antike Hochzeitsk­utsche. Dann könnte die Liebesszen­e ein Verspreche­n sein, wovon in Gedicht 109 abermals der große Poet Catull kündet: „O du mein Lieb, du bietest mir jetzt diese Liebe, sie werde / Wunderbar zwischen uns sein, werde auch nimmer vergehn.“

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Szenen ist der Triumphwag­en
geschmückt.
FOTO: DPA Techtelmec­htel oder mehr? Mit solchen kleinen Szenen ist der Triumphwag­en geschmückt.

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