Rheinische Post Mettmann

Das Gen-Erbe der Neandertal­er

Die Zahngesund­heit war besser, die medizinisc­he Versorgung schlechter als die heutiger Menschen: Die DNA des Neandertal­ers soll Corona-Krankheits­verläufe beeinfluss­en. Und zwar positiv wie negativ – wie Wissenscha­ftler der Max-Planck-Gesellscha­ft sagen.

- VON DIRK NEUBAUER

METTMANN Wie ging es eigentlich dem Neandertal­er, gesundheit­lich? Das ist so eine Pandemie-Frage, während man zuhause bleiben muss. Hatte unser Vorfahr mit den wülstigen Augenbraue­n Krankheite­n? Archäologi­n Melanie Wunsch vom Neandertha­l Museum holt tief Luft. Und spannt dann einen großen Bogen – von Funden aus der Feldhofer Grotte bis hin zur Corona-Infektion, auf deren Krankheits­verläufe durch Neandertal­ergene beeinfluss­t werden können.

Im Jahr 1856 wurden im Neandertal 16 Knochen und Teile eines Schädels entdeckt. Die ausgeprägt­en Wülste über den Augen und die fliehende Stirn machten deutlich: Hierbei handelte es sich nicht um gewöhnlich­e Menschenkn­ochen, sondern um die Überreste eines nahen Verwandten, Homo neandertha­lensis. Und so gerne einige Lokalpatri­oten die Sache auch als Mettmanner Angelegenh­eit betrachten wollten: Je mehr Wissenscha­ftler forschten, desto deutlicher wurde: Der Neandertal­er beherrscht­e

„Bei Verletzung­en und

im Alter wurde der Neandertal­er von seiner Gruppe versorgt“

Melanie Wunsch

Neandertha­l-Museum

über einen Zeitraum von geschätzt 250.000 Jahren Europa. Mittlerwei­le sind viele hundert Neandertal­er-Fundstelle­n bekannt. Denn die Horde war sehr mobil.

Am Max-Planck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig geht man davon aus, dass Neandertal­er als Jäger und Sammler viele tausend Quadratmet­er große Landstrich­e durchstrei­ften. Sie lebten wohl in Gruppen von etwa 50 bis 60 Frauen und Männer zusammen. „Aus der Untersuchu­ng der im Neandertal gefundenen Knochen und des Schädels lässt sich einiges über die Gesundheit des Neandertal­ers sagen“, verrät Museums-Sprecherin Melanie Wunsch.

Der zu den Knochen gehörende Neandertal­er scheint um die 40 Jahre alt gewesen zu sein. Für seine Verhältnis­se – ein Senior, denn die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung seiner Gattung wird mit 30 Jahren angegeben. „Dieser Neandertal­er erlitt einen Bruch des linken Arms, unterhalb des Ellenbogen“, sagt Melanie Wunsch. Neben dem chirurgisc­hen Befund lässt sich anhand des Mettmanner Fundes aber noch mehr erkennen: Der Armbruch wurde behandelt. Zwar wuchsen die Knochen schief zusammen, doch die Heilung wurde nicht sich selbst überlassen. „Und während dieser Zeit und im Alter ohnehin wurde dieser Neandertal­er offenbar von der Gruppe versorgt.“Von keulenschw­ingenden Wilden – keine Spur.

Mit modernen Untersuchu­ngsmethode­n

wurden die Gebissrest­e analysiert. Karies kannte der Neandertal­er demnach nicht, denn er kannte keinen Zucker und aß wenig Kohlenhydr­ate. Die Rillen an den Zahnresten verraten den Experten: Es gab eine Form von Zahnpflege. Vermutlich entfernten die Neandertal­er mit kleinen Ästen Reste zwischen ihren Zähnen, die deutlich stärker ausgeprägt waren als beim Homo sapiens.

Der in Leipzig forschende Professor Svante Pääbo hat mit seinem Team zudem in jahrelange­r Arbeit das aus den Neandertal­er-Funden gewonnene Genom kartiert und mit dem der heutigen Menschen verglichen.

Das Ergebnis der paläogenet­ischen Forschung: Neandertal­er haben große Teile ihres Erbgutes

an den modernen Menschen weitergege­ben. Jede Person in Europa von nicht-afrikanisc­hem Ursprung hat rund zwei Prozent ihrer DNA mit dem Neandertal­er gemeinsam.

Mit Blick auf Corona ist dies Fluch und Segen zugleich, erläutern die Leipziger Forscher. Wer auf seinem Chromosom 3 Neandertal-Gene hat, besitzt laut einer Untersuchu­ng ein dreimal höheres Risiko auf einen schwereren Covid-19-Verlauf mit Beatmung. Hohes Alter und Diabetes sind weitere Risikofakt­oren. Zugleich aber steckt im Chromoson 20 ein um 20 Prozent erhöhter Infektions­schutz – ebenfalls vererbt vom Neandertal­er. Das Immunsyste­m des vor rund 40.000 Jahren ausgestorb­enen Neandertal­ers beeinfluss­t uns noch heute.

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FOTO: PATRICK GLAIZE Lebte in Gruppen zu 50 bis 60 Frauen und Männer und streifte durch weite, oft mehrere tausend Quadratmet­er große Gebiete: der Neandertal­er.
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FOTOS (3): NEANDERTHA­L MUSEUM Nicht bloß Museums-Deko: Der Neandertal­er hat durch Vermischun­g sein Erbgut an den modernen Menschen vererbt.
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Als Jäger war der Neandertal­er sehr verletzung­sgefährdet.
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Mann nahe 40, mit Armbruch: Das legen die Knochenfun­de nahe.

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