Rekordzahl von Fluggast-Beschwerden
Die Schlichtungsstelle SÖP meldet 35.000 Einsendungen. Hauptgrund: Corona. Abhilfe soll eine App aus NRW schaffen. Bis zu 600 Euro Entschädigung
BERLIN/DÜSSELDORF So viele Menschen wie nie haben sich im Jahr 2020 über Flugausfälle, verschobene Flüge oder Verspätungen beschwert. Das zeigt der unserer Redaktion vorab vorliegende Jahresbericht der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Laut der Zusammenfassung haben vergangenes Jahr Bürger in 34.652 Fällen die SÖP darum gebeten, ihre Rechte gegenüber einer Airline zu klären. „Das war eine regelrechte Welle“, sagt SÖP-Geschäftsführer Heinz Klewe. Im Jahr 2019 waren dagegen nur 21.758 Schlichtungsbitten eingegangen, im Jahr 2018 waren es wegen damals extrem vieler Verspätungen immerhin 28.104 Fälle. „80 Prozent der Fälle haben einen Bezug zur Corona-Pandemie“, heißt es in dem Bericht.
Im Jahr 2017 hatte es dagegen nur 11.817 Fälle gegeben. 2010, als die SÖP noch sehr unbekannt war, hatten nur 1496 Bürger ihre Anliegen wegen Flügen vorgetragen. Die
SÖP mit knapp 60 Mitarbeitenden in Berlin wird von Unternehmen und Verbänden der Verkehrsbranche getragen und ist von der Bundesregierung als neutraler Schlichter anerkannt. Ihr Service ist für die Kunden kostenlos.
Auch aufgrund der vielen Streitereien um Verspätungen und Stornierungen wird nun auch die Fluggastrechte-App verbessert, die die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen Ende 2019 mithilfe der Düsseldorfer Landesregierung gestartet hat. Das gab das NRW-Verbraucherministerium am Freitag bekannt. Demnach können Nutzer mithilfe der App jetzt auch Entschädigungsansprüche prüfen, wenn ein in der Zukunft liegender Flug annulliert wird oder nicht angetreten werden soll. Bisher konnten die Bürger die App dagegen vorrangig nutzen, um ihre Ansprüche zu berechnen, die sie bei bereits stornierten Flügen haben.
Dabei müssen Reisende auf der Oberfläche zuerst Flugnummer und Abflugdaten eingeben. Dann müssen sie eintragen, ob ein Direktflug verspätet war, ob sie einen Anschlussflug wegen einer Flugverspätung verpasst haben und ob ein Streckenflug komplett gestrichen wurde. Bei zurückliegenden Flügen prüft das System dann, was wirklich geschah, um zu klären, ob es einen Anspruch auf eine Entschädigung gibt, bei künftigen Flugverbindungen hängt derweil viel vom Ersatzangebot ab.
Die App hat die Mail- und Postadressen fast aller Airlines gespeichert. So können die Nutzer Musterbriefe mit ihren eigenen Daten ergänzen und an die Fluggesellschaften schicken. Nach einiger Zeit schlägt die App dann vor, sich an die SÖP zu wenden, falls die Airline die Zahlung verweigert. „Die Nutzer sollen ihre Ansprüche möglichst einfach stellen können“, sagt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der NRW-Verbraucherzentrale. Er hat selbst einmal erleben müssen, wie ein Flug nach Danzig massive Verspätung bekam; dafür erhielt er dann entsprechende Kompensation.
Regelwerk Die EU-Fluggastrechte-Verordnung regelt die Ansprüche der Reisenden.
Details Hat ein Flug mehr als drei Stunden Verspätung, liegt der Anspruch auf Entschädigung zwischen 250 und 600 Euro, bei kurzfristigen Stornierungen ebenfalls. Die Airline muss allerdings nicht zahlen, wenn außergewöhnliche Umstände verantwortlich waren.
„Wir machen die Datenübertragung möglichst einfach“, sagt Anke Hering, die die App bei der Verbraucherzentrale NRW mitentwickelt hat.
Bisher haben rund 76.000 Bürger die App heruntergeladen. Damit sie populärer wird, kommen immer neue Anwendungen hinzu: So prüft die Applikation nun auch, welche Ansprüche ein Kunde hat, wenn ein Flug überbucht ist, und gibt Hinweise, wie die Lage ist, wenn man aus eigener Schuld seine Verbindung verpasst. Zudem prüfen die Entwickler, ob auch Suchaufträge für bei Flügen verlorene Koffer aufgegeben werden können.
Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) lobt das Projekt. Sie hat die Länder Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein dazu gebracht, die App mit zu unterstützen. Heinen-Esser: „Ich kann die App nur jedem Flugreisenden als ständigen Begleiter empfehlen.“In der Pandemiezeit würden noch viele Stornos drohen.